Postkolonial gegen Israel

Der von Mbembe in seinem ZEIT-Artikel bemühte W. E. B. Du Bois ist ein Klassiker der postkolonialen Holocaustrelativierung
Der von Mbembe in seinem ZEIT-Artikel bemühte W. E. B. Du Bois ist ein Klassiker der postkolonialen Holocaustrelativierung (Heike Huslage-Koch / CC BY-SA 4.0, © Imago Images / UIG)

Der Fall Mbembe wirft – weit über die mittlerweile wegen Corona abgesagte Ruhrtriennale hinaus – Licht auf einen systematischen Defekt des weltweit reüssierenden Modediskurses namens „Postcolonial Studies“.

Von Ingo Elbe

Über die Einladung des postkolonialen Theoretikers Achille Mbembe zur – mittlerweile wegen Corona abgesagten – Ruhrtriennale ist ein heftiger Streit in den deutschen Feuilletons entbrannt. Nach einigen Kritiken in der Welt und FAZ verteidigten die Süddeutsche Zeitung (SZ) und der Deutschlandfunk Kultur (DLF) Mbembe gegen Vorwürfe, er relativiere den Holocaust und setze Israel mit dem südafrikanischen Apartheid-Regime gleich.

Inzwischen hat Mbembe in der Zeit eine vorhersehbare Antwort publiziert, in der er immer wieder jüdische Traditionen reklamiert und sich in plumper Manier zum Opfer von Spaltungsversuchen und fremdenfeindlichen Projektionen stilisiert.

Beschwörung der Autorität

„Wäre er tatsächlich Antisemit, hätte das längst auffallen müssen“, schreibt Jörg Häntzschel von der SZ. Dieser Satz ist symptomatisch für die Geistesverfassung großer Teile (nicht nur) der deutschen intellektuellen Landschaft. Der Satz erinnert an Inspektor Columbo, der seinen Verdächtigen bisweilen entgegnete: „Wenn Sie recht hätten, würde ich Ihnen zustimmen.“

Tatsächlich ist diese Aussage nichts anderes als ein Autoritätsargument: Man verweist auf die soziale Stellung oder beschwört unspezifisch die vermeintliche Sachkenntnis einer Person, die etwas sagt, um das Gesagte zu legitimieren. Daher reagieren DLF-Kultur und SZ zuerst einmal mit Hinweisen auf das Renommee Mbembes und auf die Tatsache, dass er in Deutschland mit Ehrungen und Preisen geradezu überhäuft wird: Geschwister-Scholl-Preis, Ernst-Bloch-Preis, Gerda Henkel-Preis, Albertus Magnus-Professur Köln, Publikationen im Suhrkamp-Verlag.

Angesichts dieser Armada von Autoritäten – sogar die Laudatio der „Staatsministerin Michelle Müntefering“ findet Erwähnung –, wäre es natürlich peinlich, wenn Mbembe tatsächlich antisemitische Texte verfassen würde. Die Vertreter der politischen und kulturellen Elite müssten sich nicht nur fragen, wie ernst sie den in ihren Sonntagsreden beschworenen Kampf gegen Antisemitismus nehmen, wenn der Gegner mal nicht ein deutscher Rechtsradikaler ist, sondern ein Kollege, der auch noch schwarz ist und aus Kamerun kommt.

Der Fall Mbembe würde zudem ein Licht auf einen systematischen Defekt des weltweit reüssierenden Modediskurses namens „Postcolonial Studies“ werfen, wenn es um das Thema Israel und Antisemitismus geht.

Alles ‚Andere‘

Und hier ist Mbembes Fall leider symptomatisch. In seinem Aufsatz „The Society of Enmity“, auf den sich einige Diskutanten beziehen, sieht Mbembe nämlich überall nur ein und dasselbe Prinzip des „Othering“ am Werk.

Dieser prominent von Gayatri Chakravorty Spivak verwendete, aber der Sache nach auch dem Orientalismus-Konzept Edward Saids zugrundeliegende Begriff bezeichnet das machtbasierte, diskursiv hergestellte Selbstbild einer Gruppe, das eine dichotome, projektive Konstruktion eines minderwertigen ‚Anderen‘ beinhaltet und so die Herrschaft über diesen legitimiert. Verleugnete Selbstanteile werden in die Gestalt des ‚Anderen’ externalisiert: als ‚primitiv‘ und ‚barbarisch‘ gelten dann die anderen, die ‚uns‘ damit bedrohen.

Wichtig ist in diesem Zusammenhang, dass der Inhalt der Projektionen in aller Regel nach dem Muster des gegen Schwarze gerichteten Rassismus modelliert wird und damit abenteuerliche Behauptungen aufkommen, wie die Etienne Balibars, Rassismus gegen Araber sei Antisemitismus [1], oder die Abigail Bakans, Antisemitismus sei Rassismus gegen die als „less than white“ geltenden Juden gewesen. (Heute gäbe es allerdings außerhalb neonazistischer Kreise kaum noch Antisemitismus, weil die Juden nun zur ‚weißen Dominanzkultur‘ gehören würden.) [2]

Nicht der Hauch einer Ahnung ist davon zu vernehmen, dass moderner Antisemitismus gerade der Hass auf den als abstrakt, überassimiliert, überprivilegiert und hypermodern geltenden Juden ist, der die Einheit der Völker zersetze und den Frieden zwischen ihnen gefährde.

Ganz in der Tradition dieses Mainstream-Antirassismus postkolonialer Manier verwischt auch Mbembe in seiner Darstellung jeden Unterschied zwischen Rassismus gegen Schwarze und Antisemitismus. Der bevorzugte ‚Name‘ des konstruierten „störenden Objekts“ sei früher „‚Neger‘[Nègre] und ‚Jude‘“ gewesen. „Heute sind Neger und Juden unter anderen Namen bekannt: der Islam, der Muslim, der Araber, der Ausländer, der Einwanderer, der Flüchtling, der Eindringling, um nur einige zu nennen.”[3]

Jürgen Kaube hat daher recht, wenn er das Prinzip dieses Denkens mit „Alles in einem Topf“ beschreibt, als „Rede, für die Analogie die höchste Form des Denkens ist“. Das Problem dieses Denkens ist nicht nur, dass die poststrukturalistische Ideologie, die ihm zugrunde liegt, im Anschluss an Nietzsche ohnehin alles Denken lediglich als ‚Heer von Metaphern‘ und lebensdienliche Illusion begreift. Hier ist vor allem wichtig, dass es stets (vermeintliche) Gemeinsamkeiten betont, ohne einen klaren Begriff für die Differenzen der dargestellten Ideologien und politischen Praktiken zu haben.

Es ist eine bedauerliche Tatsache, dass der Mainstream der postkolonialen Studien keinen Begriff von Antisemitismus hat und daher auch keinen von der Spezifik des Holocaust. [4] Die Relativierung von Antisemitismus und Shoah ist in diesen Arbeiten Legion, die einem Pfad folgen, der bei Hannah Arendt beginnt [5], auf die auch Mbembe sich in seiner Antwort in der Zeit zentral stützt, und über Michel Foucault, Giorgio Agamben, Etienne Balibar und Edward Said bis zu Mahmood Mamdani oder Judith Butler führt. [6]

‚Decolonizing the Holocaust‘

Der Holocaust erscheint Mbembe in dieser Tradition lediglich als „extreme Version“ eines europäischen Herrschaftsmodells, das in den Kolonien als „Laboratorien […] der Verrohung, des Menschenraubs und der strukturellen Gewalt“ ausprobiert wurde, dann in einem „Bumerangeffekt auf das Zentrum Europas zurückgeschlagen“ sei und zum Aufstieg des NS „beigetragen“ habe. Wie genau das geschehen sein soll, bleibt unklar, ebenso welche „Zäsuren und Kontinuitäten“ es sind, die er diffus anspricht. [7]

Dass der Antisemitismus keineswegs der kolonialen Erfahrung entspringt, muss systematisch verdrängt werden. Und so erwähnt Mbembe mit W. E. B. Du Bois einen Klassiker der postkolonialen Holocaustrelativierung, ohne den heute kaum ein Beitrag dieser Strömung auskommt, und der bereits 1947 behauptete, es habe kein Nazi-Verbrechen in Europa gegeben, das Europa nicht schon lange zuvor an den „colored folks“ verübt habe. [8]

Ein anderer, im postkolonialen Kontext gern zitierter Gewährsmann, ist Aimé Césaire mit der Anklage gegenüber dem weißen Europäer nach 1945, die besagt, „daß im Grunde das, was er Hitler nicht verzeiht, nicht das Verbrechen an sich, das Verbrechen am Menschen […], sondern daß es das Verbrechen gegen den weißen Menschen ist, daß es die Demütigung des Weißen ist und die Anwendung kolonisatorischer Praktiken auf Europa, denen bisher nur die Araber Algeriens, die Kulis in Indien und die Neger Afrikas ausgesetzt waren.“ [9]

Es müsse, so die kanadische Politikwissenschaftlerin Abigail Bakan daran anschließend, Schluss sein mit der „Behauptung der Einzigartigkeit dieses speziellen Holocaust“, der zudem vom „zionistischen Narrativ“ missbraucht werde. [10]

Holocaust überall, Schluss mit dem Gerede über die Besonderheit von Auschwitz, auf zum Kampf gegen Israel – so lautet die weitverbreitete antirassistische Schlussstrichstrategie.

Was ist Holocaustrelativierung?

Auch in Mbembes Texten erscheinen Auschwitz, koloniale Massaker und Apartheid daher nicht wirklich als qualitativ verschieden. In seiner in der Zeit erschienenen Antwort auf die Kritiker wird immer wieder das „Gemeinsame“ zwischen Schwarzen und Juden, ja der Menschheit, beschworen. So wird mit pseudohumanistischem Kitsch verdeckt, dass die Antisemiten damals wie heute die Juden als „Feinde der Völker“ vom Rest der Gattung – jener Menschheit also, von der Mbembe spricht – in Ideologie und Tat konsequent geschieden haben.

Mbembes Verteidiger René Aguigah vom DLF-Kultur kontert mit dem Hinweis, jener erwähne doch die Differenz von „Größenordnung und Kontext“ der Verbrechen: „Das Apartheidsregime in Südafrika und – in einer ganz anderen Größenordnung und in einem anderen Kontext – die Vernichtung der europäischen Juden sind zwei Manifestationen dieses Trennungswahns“, sagt Mbembe. Dass sich historische Phänomene nach Opferzahlen und empirischen Kontexten unterscheiden, ist aber lediglich ein Gemeinplatz von höchster Banalität, da kein historischer Prozess mit einem anderen in dieser Hinsicht völlig identisch sein kann.

Wenn Mbembe und seine Verteidiger den Vorwurf der Holocaustrelativierung (die Mbembe offenbar mit Holocaustleugnung verwechselt, da er sie in seiner Antwort in der Zeit als justiziables, „schreckliches Verbrechen“ bezeichnet) ausräumen oder zumindest abmildern wollen, sollten sie – wenn denn vorhanden – Stellen aus seinem Werk zitieren, in denen dieser klar die qualitativen Differenzen der genannten Ideologien und Verbrechen benennt.

Aus Mbembes Zeit-Artikel hingegen lässt sich kein Hinweis auf eine Ahnung der Präzedenzlosigkeit des Holocausts gewinnen. Ebenso nonchalant wie opak konstatiert er, für ihn habe sich die „Frage einer Debatte über seine Einzigartigkeit oder Singularität nie gestellt“, sowenig wie er sich „in eine Opferlogik“ oder einen „Erinnerungswettbewerb“ begeben wolle, womit er denen, die auf der Präzedenzlosigkeit beharren, implizit genau diesen Wettbewerb vorwirft.

Dämonisierung Israels

Der Orientalismus- oder Othering-Topos ist in weiten Teilen des akademischen und aktivistischen Antirassismus zu einer starren Weltanschauung mutiert, die, ohne noch Fakten zur Kenntnis zu nehmen, auf jedes beliebige politische Phänomen angewendet wird und im Falle Israels dazu dient, die giftigen Ressentiments großer Teile der Linken gegen den jüdischen Staat zu legitimieren.

Auf diesen Aspekt mag Jörg Häntzschel lieber erst gar nicht inhaltlich eingehen: Man könne aus Mbembes Beiträgen zu Israel nur mit „viel Fantasie“ Antisemitismus ableiten, mehr erfährt man nicht.

Es reicht aber völlig aus, Mbembes Text zu lesen, denn dort wird Israel von der ersten bis zur letzten Zeile dämonisiert: Er unterstellt, der Kampf gegen palästinensische Vernichtungsantisemiten und Terrorbanden sei nach dem Muster des Othering zu erklären, also als Externalisierung eines Inneren/Eigenen, das am anderen in Gestalt rassistischer Phantasien bekämpft wird.

Mbembe ignoriert also nicht nur die reale antisemitische Bedrohung, der Israel seit seiner Gründung ausgesetzt ist, er behauptet vielmehr, wie Judith Butler in ihren Texten [11], diese sei eine rein imaginierte Bedrohung – „Windmühlen der Fantasie“ oder ein „Objekt“, das „niemals existierte“. [12] Der Kampf dagegen sei damit nichts als Rassismus oder Apartheid, bzw., wie die von ihm angegebenen Quellen (z.B. Idith Zertal) unterstellen, israelischer ‚Missbrauch‘ des Holocaust für seine Politik gegen die Araber.

Ohne diese „Verschwörung der Asche von Zion“, wie Alain Finkielkraut einst die verschwörungstheoretische Delegitimierung jüdischer Selbstverteidigung im Angesicht von Auschwitz bissig nannte [13], kommen die wenigsten postkolonialen Vertreter aus [14] – bei Mbembe wird sie in einer Fußnote versteckt. Der „Wunsch nach Apartheid, nach Trennung und Abschottung, die Phantasie der Vernichtung“ wird dann auch zuerst und vor allem an der „israelischen Besatzung der palästinensischen Gebiete“ [15] dargestellt, ein Phänomen, das Mbembe in einem Vorwort zu dem Sammelband „Apartheid Israel“ als „größten moralischen Skandal unserer Zeit“ und als „schlimmer als die südafrikanischen Bantustans“ bezeichnet. [16]

Israels Politik der „Besatzung“ sei „viel tödlicher“ als die Apartheid Südafrikas und „sieht aus wie eine hoch technologisierte Jim Crow-cum-Apartheid“, die in „schrittweiser Vernichtung“ enden könne. [17] Israel solle in Frieden leben, lautet sein generöses Zugeständnis, aber zugleich werden Israel alle Maßnahmen zur Selbstverteidigung als illegitime, rassistische, ja letztlich exterminatorische Gewalt ausgelegt – so funktioniert die zeitgenössische Delegitimierung des jüdischen Staates unter renommierten Wissenschaftlern.

Mbembe, der ja Historiker sein soll, fragt nicht ein einziges Mal, wann und warum die Besetzung des Westjordanlandes zustande gekommen ist, wer dieses Land vorher besetzt hielt, und ob es nicht vor allem an PLO und Hamas liegt, dass es dort immer noch keinen palästinensischen Staat gibt – ob es also nicht klare Differenzen zum „Kolonialismus“ gibt, den er als mutiger Intellektueller mit einem „nicht unterschiedslosen“ Boykott Israels bekämpfen will.

Sie wissen nicht, wovon sie reden

Zusammengefasst lautet die ‚Erkenntnis‘ Mbembes: Antisemitismus sei nichts als Rassismus, ‚Juden‘ hießen heute ‚Araber‘ oder ‚Muslime‘, die grundlos von Israel als „überflüssig und gefährlich“ eingeschätzt und in „technofuturistische“ Bantustans eingekerkert würden. Israel betreibe damit eine rassistische Okkupation und – „in vielerlei Hinsicht“ [18] – Apartheidspolitik.

Doppelte Standards, einseitige Beschuldigung Israels, völlige Ignorierung der antisemitischen Bedrohung, Verkehrung von Täter und Opfer, kaum noch unterschwellig zu nennende NS-Analogien – man schlage nach in Natan Sharanskys 3-D-Test, um den Mbembe-Verteidigern nur das Mindeste an intellektueller Anstrengung abzufordern.

Um auf das Autoritätsargument Häntzschels vom Anfang zurückzukommen: So ein Argument hat allerhöchstens dann einen halbwegs rationalen Aspekt, wenn man sagen kann: Diese Autoritäten wissen, wovon sie reden, sie besitzen also Sachautorität, weshalb man sich bei einem Thema, in dem man sich nicht auskennt, auf ihr Urteil verlassen kann. Wenn es um Israel, Antisemitismus und insbesondere den Beitrag des postkolonialen Antirassismus zum heutigen Antisemitismus geht, kann man ganz klar sagen: Sie wissen nicht, wovon sie reden.

Anmerkungen:

[1] Vgl. Balibar, Etienne: Gibt es einen „Neo-Rassismus“?, in: Ders./Wallerstein, Immanuel: Rasse, Klasse, Nation. Ambivalente Identitäten, Hamburg/Berlin2 1992, S. 32f. sowie https://www.mena-watch.com/die-taz-empoert-sich-ueber-kritik-am-hannah-arendt-preistraeger-2017/

[2] Vgl. Bakan, Abigail B.: Race, Class, and Colonialism: Reconsidering the “Jewish Question”, in: Dies./Dua Enakshi (ed.), Theorizing Anti-Racism: Linkages in Marxism and Critical Race Theories, Toronto 2014. Bakan ist hier auf den ersten Blick inkonsistent. Da ihr zufolge Antisemitismus „racism against jews“ ist, die dadurch „less than white” werden (S. 259), dürfte es nach dem „Weißwerden“ der Juden eigentlich keinen Antisemitismus mehr geben. Rechtsradikale sollen ihr zufolge aber „racism against jews“ (S. 258) praktizieren. Zudem soll es sogar in einigen Regionen der westlichen Welt nach wie vor antijüdische rassistische Stereotype geben – ihr fällt das Motiv der „jüdischen Nase“ ein. Gelöst wird das Problem dann in den Critical-Whiteness-Studies in der Regel, indem von ‚nichtsystemischem‘ Antisemitismus/Rassismus geredet wird. Man muss hier weitgehende Begriffslosigkeit konstatieren. Sicher ist sich Bakan allerdings, dass israelbezogener Antisemitismus nicht existiert. Zur Kritik an Bakan und Co. vgl. Berkovits http://www.rote-ruhr-uni.com/cms/texte/article/critical-whiteness-studies-and-the-jewish-problem.

[3] https://www.radicalphilosophy.com/article/the-society-of-enmity, S. 23

[4] Zur Spezifik der Shoah vgl. u.a. Bauer, Yehuda: Die dunkle Seite der Geschichte. Die Shoah in historischer Sicht. Interpretationen und Re-Interpretationen, Frankfurt/M. 2001, Kap. 1-3. Die Spezifik der Shoah besteht weder in der Methode des Tötens, noch in der Zahl der Opfer, sondern in der Intention einer vollständigen Vernichtung aller als Juden bestimmten Individuen aufgrund einer erlösungsantisemitischen Ideologie, die in den Juden das gemeinschaftszersetzende, egoistische, materialistische, abstrakte, böse Element schlechthin, den Feind der Völker, keineswegs ‚Überflüssige‘ oder einfach ‚fremde Untermenschen‘, sieht und die jenseits aller ökonomisch, geopolitisch, bevölkerungspolitisch oder kriegsstrategisch rationalen Handlungsmotive konsequent in die Tat umgesetzt wurde.

[5] Vgl. zur Kritik an Arendt: Elbe, Ingo: „das Böse, das von Niemanden begangen wurde“. Hannah Arendts Konzept der „Herrschaft des Niemand“, in: I. Elbe: Paradigmen anonymer Herrschaft. Politische Philosophie von Hobbes bis Arendt. Würzburg 2015 (http://www.rote-ruhr-uni.com/cms/texte/das-Bose-das-von-Niemanden,555)

[6] Belege dafür u.a. bei Rosenfeld, Alvin H.: Das Ende des Holocaust, Göttingen 2015, sowie Klävers, Steffen: Postkoloniale Normalisierung. Anmerkungen zur Debatte um eine koloniale Qualität von Nationalsozialismus und Holocaust, in: Zeitschrift für kritische Sozialtheorie und Philosophie, Band 5/Heft 1 (2018) (http://www.rote-ruhr-uni.com/cms/texte/article/postkoloniale-normalisierung-anmerkungen-zur-debatte-um-eine-koloniale-qualitat) und in Elbe, Ingo: “… it’s not systemic”. Antisemitismus im akademischen Antirassismus. In: T. Amelung (Hg.): Irrwege. Analysen aktueller queerer Politik. Berlin 2020

[7] Eine systematische Kritik dieser These, die auch postkoloniale Holocaustforscher wie Jürgen Zimmerer oder Dirk Moses vertreten, findet sich in Klävers, Steffen: Decolonizing Auschwitz? Komparativ postkoloniale Ansätze in der Holocaustforschung, Berlin 2019, Kap. 3.2/3.3

[8] Vgl. Du Bois: The World and Africa. An Inquiry Into the Part Which Africa Has Played in World History, New York 1947, S. 23

[9] Zitiert nach Ziai, Aram: Einleitung: Unsere Farm in Zhengistan. Zur Notwendigkeit postkolonialer Perspektiven in der Politikwissenschaft, in: Ders. (Hg.): Postkoloniale Politikwissenschaft- Theoretische und empirische Zugänge, Bielefeld 2016, S. 15

[10] Bakan, a.a.O. S. 262

[11] Vgl. Butler, Judith: Antisemitismus und Rassismus. Für eine Allianz der sozialen Gerechtigkeit, in: Heilbronn, Christian/Rabonovici, Doron/Sznaider, Natan (Hg.): Neuer Antisemitismus? Fortsetzung einer globalen Debatte, Berlin 2019, S. 89f.

[12] https://www.radicalphilosophy.com/article/the-society-of-enmity, S. 23

[13] Finkielkraut, Alain: Die vergebliche Erinnerung. Vom Verbrechen gegen die Menschheit, Berlin 1989, S. 56

[14] Vgl. Rosenfeld, a.a.O., S. 213-241

[15] https://www.radicalphilosophy.com/article/the-society-of-enmity, S. 24

[16] https://www.amazon.com/Apartheid-Israel-Politics-Sean-Jacobs-ebook/dp/B017QL8NDQ#reader_B017QL8NDQ, S. VIIf.

[17] Ebd., S. VIII. Zur Kritik des Apartheids-Vorwurfs vgl. Lozowick, Yaacov: Israels Existenzkampf. Eine moralische Verteidigung seiner Kriege, Bonn 2006, Kap. 7 sowie Danzig, Lilach: Adalah vs. The State of Israel (http://www.izs.org.il/2016/07/adalah-vs-state-israel/) Zum Begriff „Jim Crow“: https://www.britannica.com/event/Jim-Crow-law

[18] https://www.radicalphilosophy.com/article/the-society-of-enmity, S. 24

Dieser Text erreichte die Redaktion nahezu parallel mit dem Beitrag von Alex Feuerherdt „Kein Antisemitismus, nirgends?“ Trotz einer Reihe von Überschneidungen der Kritikpunkte, scheint uns Elbes Schwerpunktsetzung auf eine Kritik der postkolonialen Studien aber einen neuen, wichtigen Aspekt zu berücksichtigen. Der Autor hat soeben einen Aufsatz zum „Antisemitismus im akademischen Antirassismus“ veröffentlicht, vgl. http://www.querverlag.de/irrwege/.

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