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Hotel Stalingrad – Israels Rettung 1948. Teil 18: Die Geschichte von Hank Greenspun, letzter Teil

Der Hank-Greenspun-Platz in Israels Hauptstadt Jerusalem
Der Hank-Greenspun-Platz in Israels Hauptstadt Jerusalem (Quelle: The Jerusalem Foundation)

Die unglaubliche Nachricht. Das Schiff mit den drei Namen. Überraschend wichtige Fracht. Ein treuer Freund Israels.

Zurück im Hotel Del Prado in Mexico City ließ sich Hank Greenspun vollständig bekleidet auf sein Bett fallen. Er könnte jeden Augenblick verhaftet werden, aber das war ihm in diesem Moment egal. Geweckt wurde er vom Klingeln des Telefons. Am anderen Ende der Leitung waren Teddy Kollek und Eliyahu Sacharov.

Kollek klang ängstlich: »Hank, ich habe gehört, dass du chinesische Dokumente benötigst, bevor die Kefalos in See stechen kann. Wir sind mit dem chinesischen Botschafter in Washington befreundet. Vielleicht können wir die Möglich …« – »Das Schiff ist diesen Morgen um sechs Uhr abgefahren«, unterbrach ihn Greenspun. »Alles ist okay.« – »Dies ist nicht der Zeitpunkt für Witze«, brüllte Sacharov. »Die Kefalos muss fahren. Alles hängt davon ab.« – »Sie ist abgefahren«, wiederholte Greenspun. – »Schau, Hank«, bat Kollek, »die Lage ist verzweifelt. B. G. [Ben Gurion; Anm. Mena-Watch] selbst hat uns dringende Botschaften geschickt.« – »Das Schiff ist diesen Morgen abgefahren!«, schrie Greenspun und fügte einen vorab vereinbarten Code hinzu. Aber:

»Keiner von ihnen wollte es glauben. Sacharov fuhr fort, wie eine israelische Fernstrecken-Kassandra den Untergang zu beschwören, während Teddy von Plänen sprach, verschiedene orientalische Würdenträger um Hilfe zu bitten. Ich versuchte, beide zu übertönen und erzählte eine wilde Geschichte von gestohlenen chinesischen Stempeln, Säcken mit Zucker und mordida. Wir klangen wohl eher wie die Marx Brothers als wie ein Trio von Geheimagenten.«

Nachdem alle Atem geschöpft hatten, sagte Kollek zu Sacharov: »Weißt du was, Eliyahu? Ich glaube, Hank meint das ernst. Vielleicht ist das Schiff wirklich abgefahren.«

»Ich unterdrückte einen Fluch, denn ich erinnerte mich an mein eigenes Gefühl des traumhaften Unglaubens, als ich auf dem Wellenbrecher in der Bucht von Tampico gestanden hatte. ›Sie ist weg, Ted‹, beharrte ich, ›sie befindet sich auf dem Weg‹. Als Kollek und Sacharov die Tatsache endlich akzeptiert hatten, konnten sie ihre aufgestauten Emotionen nicht mehr unter Kontrolle halten und schluchzten laut. Ich fügte selbst ein paar Tränen hinzu und war überrascht, dass ich noch welche übrig hatte. Dann sagte ich nüchtern: ›Worüber weinen wir? Wir sollten feiern!‹ – ›Noch nicht‹, mahnte Sacharow, pessimistisch wie immer, ›das Schiff ist noch nicht am Ziel‹.«

Es war der 3. August 1948, als die Kefalos Tampico verlassen hatte. Das offizielle Ziel der Reise war Schanghai, China. Ben-Gurion hatte kurz zuvor einen Bericht erhalten, der lautete: »Es gibt immer wieder Verzögerungen beim Auslaufen des Schiffes. Es ist auf jeden Fall klar, dass diese Ladung keine 32 Panzer enthalten wird.« Weil an Bord der Kefalos noch Platz war, war in aller Eile eine Ladung Flugbenzin von Kalifornien nach Tampico geschickt worden.

Die Fahrt der Kefalos

Wie von Hank Greenspun vorgeschlagen, wurden die Schlote und Aufbauten der Kefalos auf See mit einer anderen Farbe gestrichen. Zudem änderte die Kefalos, mit Zustimmung des panamaischen Konsuls in New York, ihren Namen in M. V Pinzon. Der neue Name musste auch auf die Rettungsboote gepinselt werden. 

Die Dromit (Südländer), wie das Schiff in Israel genannt wurde, war zu fast einem Viertel geladen mit 1.400 Tonnen Zucker, um Briten und UN-Kontrolleure zu täuschen, die das Schiff durchsuchen würden. Dann musste auch noch genügend Treibstoff und Proviant geladen werden. Die Entfernung von Tampico nach Tel Aviv beträgt über 12.000 Kilometer. Während der Fahrt wurden mit auf dem Deck verteiltem Segeltuch zehn Tonnen Regenwasser aufgefangen. Dennoch waren die Wasservorräte drei Tage vor dem Erreichen Israels aufgebraucht.

Große Aufregung in israelischen Regierungs- und Geheimdienstkreisen entstand dadurch, dass die Kefalos mit Erreichen des Mittelmeers am 29. August den Funkkontakt einstellte, was nicht abgesprochen gewesen war. Wegen des großen öffentlichen Interesses, das die Kefalos während ihrer 42-tägigen Liegezeit in Mexiko auf sich gezogen hatte, fürchtete Haganah-Koordinator Shaul Avigur, die Briten würden nach ihr suchen und sie beschlagnahmen.

Am 1. September teilte Avigur allen Mossad-Radiostationen über Funk mit, dass er »sehr besorgt über das Schicksal der Dromit« sei. Er wies sie an, falls sie mit dem Schiff Kontakt aufnehmen würden, es nach Yoram (Jugoslawien) zu schicken. Trotz Avigurs Befürchtungen lief das Schiff am 8. September 1948, zur Zeit des zweiten Waffenstillstands, im Hafen von Tel Aviv ein. Die UN-Kontrolleure entdeckten die Waffen nicht. Die alten mexikanischen Kanonen wurden sofort an die israelische Armee geliefert, wo sie aufgrund ihrer Herkunft den Spitznamen Cucaracha erhielten. Sie wurden allerdings schnell außer Dienst gestellt, nachdem zwei von ihnen explodiert waren.

Luftbrücke zum Negev

Der Flugzeugtreibstoff an Bord der Kefalos war ironischerweise vielleicht von größerer Bedeutung als die Waffen. Er ermöglichte zum einen die Fortführung der Operation Avak (Staub), die am 23. August 1948 begonnen hatte: die Luftbrücke zur Versorgung der im Negev von ägyptischen Truppen eingeschlossenen Israelis mit Lebensmitteln. 

Operation Avak dauerte bis zum 21. Oktober. In dieser Zeit wurden 834 Flüge vom Flugplatz Ekron zu improvisierten Landebahnen im Negev und zurück durchgeführt: Transportiert wurden rund 2.000 Tonnen Lebensmittel, Medizin, Waffen und Treibstoff sowie 2.000 Soldaten. Ausgeflogen wurden rund 5.000 kranke oder ältere Israelis sowie rund 3.000 Soldaten, die eine Pause benötigten oder an den neu eintreffenden Waffen geschult werden sollten. Die riesige Staubwolke, die das erste im Negev landende Flugzeug verursachte, gab der »Operation Staub« ihren Namen.

Eine wichtige israelische militärische Initiative nach dem zweiten Waffenstillstand war die Operation Yoav vom 15. bis zum 22. Oktober. Sie schnitt die ägyptischen Truppen an der Küste von der Straße Jerusalem-Hebron-Be’er Sheva im Landesinneren ab und führte am 21. Oktober zur Eroberung Be’er Shevas, was die spätere vollständige Befreiung des Negev ermöglichte. 

Für beide Operationen wurden die Treibstoffvorräte an Bord der Kefalos benötigt. Sogar die 1.400 Tonnen Zucker waren übrigens sehr willkommen, da zu diesem Zeitpunkt in Israel Zucker knapp wurde und für die nächsten Wochen keine anderen Lieferungen anstanden.

Weil die Kefalos zu groß für den Waffenschmuggel war, wurde sie später zum Transport von jüdischen Flüchtlingen eingesetzt. Sie fuhr zunächst nach Neapel, wo Umbauten zur Massenbeförderung von Passagieren vorgenommen wurden. Am 8. November 1948 verließ Kapitän Oko mit der Kefalos Neapel und fuhr nach Bakar im heutigen Kroatien, wo 4.300 Flüchtlinge aus Osteuropa in Güterwaggons angekommen waren. 

Unter den Passagieren wurden während der Überfahrt auf dem Mittelmeer fünf Eheschließungen und drei Geburten verzeichnet; es gab weder Todesfälle noch schwere Verletzungen. Am 23. November traf das Schiff in Haifa ein. Oko leitete auch eine zweite Flüchtlingsfahrt vom 8. Dezember bis zum 25. Dezember 1945, bei der 3.800 Flüchtlinge sicher nach Haifa gebracht wurden.

Nach 1948

Über die Prozesse, die es 1950 in Los Angeles gegen amerikanische Waffenschmuggler der Haganah gab, werden wir noch sprechen, darum hier nur kurz: Diese juristische Auseinandersetzung endete für Hank Greenspun mit einer Geldstrafe von 10.000 Dollar, welche die Jewish Agency bezahlte, glimpflich.

Ebenfalls 1950 erwarb er die Zeitung Free Press und machte daraus die noch heute existierende Tageszeitung Las Vegas Sun. Bis zu seinem Tod 1989 schrieb er eine regelmäßige Kolumne unter dem Titel Where I stand (eine ironische Anspielung auf die Meinungsspalte From where I sit der Konkurrenzzeitung Las Vegas Review-Journal) und griff dort unter anderem Senator Joe McCarthy an.

Laut seinem Sohn Brian Greenspun blieb er einer der wichtigsten Ansprechpartner israelischer Regierungen in den USA. Als Greenspun am 22. Juli 1989 im Alter von 79 Jahren in Las Vegas starb, nannte Shimon Peres ihn »einen Helden unseres Landes und einen Kämpfer für die Freiheit, einen Mann mit großem Geist, der mit seinem Verstand und seiner Seele gekämpft hat; einen Mann mit großer Überzeugung und großem Engagement«.

In einer Würdigung Greenspuns, die Ed Koch, New Yorks Bürgermeister zwischen 1978 und 1989, im Jahr 2000 in der Las Vegas Sun veröffentlichte, schreibt er:

»Greenspun half auch bei der Umsiedlung äthiopischer Juden nach Israel und legte den Grundstein für den Frieden im Nahen Osten, einschließlich der Unterstützung der Bemühungen, die zum historischen Besuch des ägyptischen Präsidenten Anwar Sadat in Israel führten.«

Welcher Art die erwähnte Hilfe war, sagte der 2013 verstorbene Koch nicht, und der Verfasser fand keine detaillierteren Informationen dazu. Laut Brian Greenspun drängte sein Vater den damaligen Ministerpräsidenten Menachem Begin während dessen Amtszeit (Juni 1977 bis Oktober 1983) dazu, Frieden mit Saudi-Arabien anzustreben. Sein Vater habe ihm die Anekdote erzählt, als Begin einmal zu ihm gesagt habe: »Hör auf, mich anzuschreien!«, woraufhin sein Vater erwidert habe: »Ich höre auf zu schreien, wenn du mir zuhörst.«

Ehrung in Jerusalem

Hank Greenspun wurde von Israel mit den höchsten Auszeichnungen bedacht. Im April 1993 wurde der Platz, von dem aus man in den Botanischen Garten der Hebrew University in Jerusalem gelangt, nach ihm benannt: Hank Greenspun Plaza. Die Einweihungsfeier fand unter Beteiligung von Shimon Peres und Teddy Kollek statt, zu einer Zeit, als Teddy Kollek noch Bürgermeister von Jerusalem war. »Hank Greenspun war ein außergewöhnlicher Mann und ein großartiger Freund«, sagte Teddy Kollek:

»Wir wussten, dass es keinen Staat Israel geben würde, wenn wir den israelischen Verteidigungskräften die Ausrüstung nicht liefern könnten. Ohne unsere amerikanischen Freunde wie Hank wäre der israelische Unabhängigkeitskrieg verloren gewesen. Viele Jahre sind vergangen, aber niemand in Israel wird je vergessen, was Hank für uns getan hat. Jedes Mal, wenn ich die Hank Greenspun Plaza besuche, erinnere ich mich mit Dankbarkeit und großer Bewunderung an Hank. Er war ein großer und treuer Freund Israels.«

Der Platz vor dem Botanischen Garten sei der richtige Ort, um seinen Vater zu ehren, sagte Brian Greenspun in einem Interview: »Das ist der Ort, wo etwas wächst.«

In der Serie »Hotel Stalingrad – Israels Rettung 1948« bisher erschienen:

Teil 1: Exodus
Teil 2: Bab el-Wad
Teil 3: Kyrus
Teil 4: Ad Halom
Teil 5: Liebesgrüße aus Moskau
Teil 6: Jan Masaryk
Teil 7: Operation Balak
Teil 8: Golda Meyerson in Amerika
Teil 9: Jaffa Oranges
Teil 10: Die Geschichte von Hank Greenspun, erster Teil
Teil 11: Die Geschichte von Hank Greenspun, zweiter Teil
Teil 12: Die Geschichte von Hank Greenspun, dritter Teil
Teil 13: Die Geschichte von Hank Greenspun, vierter Teil
Teil 14: Die Geschichte von Hank Greenspun, fünfter Teil
Teil 15: Die Geschichte von Hank Greenspun, sechster Teil
Teil 16: Die Geschichte von Hank Greenspun, siebter Teil
Teil 17: Die Geschichte von Hank Greenspun, achter Teil
Teil 18: Die Geschichte von Hank Greenspun, letzter Teil

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