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Hotel Stalingrad – Israels Rettung 1948. Teil 14: Die Geschichte von Hank Greenspun, fünfter Teil

Das Flamingo Hotel in Las Vegas, für dessen Besitzer, Bugsy Siegel, Greenspun arbeitete. (© imago images/piemags)
Das Flamingo Hotel in Las Vegas, für dessen Besitzer, Bugsy Siegel, Greenspun arbeitete. (© imago images/piemags)

Ein mexikanischer Starjournalist glaubt nicht, dass Hank Greenspun tatsächlich im Auftrag von Chinas Nationalisten Waffen kauft. Greenspun muss eine neue Räuberpistole erfinden. Ärger gibt es wegen seiner eskalierenden Hotelrechnung.

Die Waffenkäufe der Haganah in Mexiko wurden von zu viel Publicity begleitet. Die New York Times berichtete am 20. Juli 1948 von Kanonen und Maschinengewehren, die »eine jüdische Gruppe« laut »unbestätigten Berichten« von den USA über Mexiko nach Palästina bringe. Die mexikanischen Zeitungen berichteten in Schlagzeilen über Hank Greenspuns Treffen mit General Cuenca. Greenspun schreibt:

»Wie üblich stifteten sie überall Verwirrung: Den meisten Berichten zufolge hatte der chinesische Agent ›Coronel Greenspun‹ einen Ozeandampfer entführt, um Waffen von großem Wert zu schmuggeln, und dabei nicht nur den Kapitän erschossen, sondern eine blutige Spur von Leichen hinterlassen.«

Zehn Tage nach dem Gespräch im Präsidentenpalast, während Greenspun noch immer Mexiko nach Waffen durchkämmte, beschloss die einflussreiche Wochenzeitung La Semana, den mysteriösen jüdisch-chinesischen Oberst zu »entlarven«, und schickte ihren Top-Autor und einen Fotografen in die Suite des Hotel Reforma in Mexico City, wo Greenspun und Eliyahu Sacharov wohnten.

Beide waren, wie Greenspun schreibt, »sichtlich nervös« und hatten »offenbar Angst, dass sie Teil meiner ›Spur von Leichen‹ werden könnten«. Sacharov erging es nicht viel besser: Er beobachtete besorgt, wie Greenspun die beiden hereinführte, ihnen große Drinks in die Hand drückte und sie es sich in Sesseln bequem machen ließ, »wobei ich all meinen Charme versprühte, den ich aufbringen konnte«.

Bald wurde klar, dass der oberste Schreiber von La Semana nur über rudimentäre Englischkenntnisse verfügte, die in etwa jenem Spanisch entsprachen, das Greenspun aufgeschnappt hatte, und sein nervöser Zustand machte es nicht einfacher. Doch als er nach seinem dritten Drink griff, war er ruhig genug, um in einer leicht beschwipsten Mischung aus beiden Sprachen zu sagen, nicht an die chinesischen Verbindungen zu glauben. Wer glaubt das schon?, ging es Greenspun durch den Kopf. Vielleicht würde es helfen, legte er eine weitere falsche Spur?

»Ich leerte mein Glas und tat so, als wäre ich genauso beschwipst wie er: ›Sie sind muy intelligente, Señor. Ich bin überhaupt kein coronel. Und ich bin nicht hier, um fusiles für die Chinesen zu kaufen …‹ Eliyahu Sacharov zischte wie ein undichter Heizkörper und versuchte, mich zum Schweigen zu bringen. ›Und ich bin nicht wegen der Juden hier‹ … Die Knöchel knackten scharf, als Sacharov die Hände rang. Der Journalist kritzelte vor sich hin, begierig darauf, seiner Konkurrenz  mit einem Scoop zuvorzukommen, während sein Freund, der Fotograf, eine Salve von Blitzlichtern abfeuerte. Ich blickte auf allen Fotos wohlwollend, in der Hoffnung, dass meine nächsten Worte das feindliche Lager in völlige Verwirrung stürzen würden.«

Greenspun wandte sich an den Journalisten und sagte:

»Der Mann, den ich vertrete, ist viel zu bescheiden, um den Ruhm für seine Taten einzuheimsen.« Er machte eine Pause, um die Spannung zu steigern. »Doch ich werde die Wahrheit sagen. Ich bin hier, um Waffen für die Araber zu kaufen, und mein Sponsor ist jener große Philanthrop, Humanist und Prinz unter den Menschen: Miguel Abed.« Der Journalist ließ den Stift fallen. »Ich kann es nicht glauben!« – »Es ist wahr. Dieser Mann kann es bezeugen …« Greenspun deutete auf Sacharov: »Er ist ein Araber.« Sacharov verschluckte sich. »Sprich zu dem Mann auf Arabisch«, befahl ihm Greenspun. Der in Jerusalem geborene, sprachbegabte Sacharov wiederholte die Aussagen in der Muttersprache von Miguel Abed. Der Reporter, der arabische Laute wiedererkannte, nahm den Stift und schrieb. »Das Interview ist nun beendet«, sagte Greenspun. »Dies ist alles, was wir im Augenblick enthüllen können.«

La Semana druckte das Interview ab, gemeinsam mit Fotos von Miguel Abed und seinen beiden »Vertrauten«, Sacharov und Greenspun.

»Ganz Mexico City – vor allem Sacharov – erwartete, dass Abed an die Decke gehen würde. Interessanterweise hat er die Story nie in Abrede gestellt. Laut zuverlässigen Quellen war seine erste Reaktion diffuse Wut; dann, als er Telefonanrufe bekam, merkte er, dass die arabische Bevölkerung ihn plötzlich in den Rang eines idealistischen Helden erhoben hatte. Der Schuh passte nicht, aber er versuchte ihn zu tragen.«

Bald darauf trennten sich Greenspun und Sacharov. Nicht aus operativen Gründen, sondern weil sie sich zerstritten hatten wegen des Geldes, das Greenspun im Hotel verprasste. Sacharov lebte stets sehr sparsam. Wenn er in seiner Zeit in New York nicht im Hotel 14 bei Teddy Kollek wohnte, dann im Commodore Hotel in der 42. Straße, wo ein Zimmer fünf Dollar die Nacht kostete, Frühstück inbegriffen. Als er sich vor seiner Reise nach Mexiko in Los Angeles aufgehalten hatte, um sich dort um ein Visum zu bemühen, hatte, wie Sacharov in seiner Autobiografie schreibt, ein Freund ihn eigentlich im Beverly Wilshire einquartieren wollen, einem Luxushotel in Beverly Hills. Sacharov erinnert sich:

»Was für ein Zimmer! Es war eine prächtige Suite mit extravagant gestalteten Möbeln und jeder Art von Prunk. Alles sah aus, als gehöre es in ein Museum.«

Sacharov erfuhr, dass eine Nacht in der Suite 25 Dollar kostete, mehr als das Doppelte des ihm pro Tag bewilligten Geldbetrags. Er erklärte der Rezeptionistin, die, wie sich herausstellte, Jüdin war, seine Verlegenheit, und sie war entgegenkommend, stornierte nicht nur die Buchung, sondern buchte für ihn sogar ein Zimmer in einer preiswerten Hotelkette. Es stellte sich heraus, dass der Freund, der die Buchung vorgenommen hatte, geplant hatte, die Rechnung zu übernehmen, doch Sacharov lehnte dankend ab: »In dieser Traumsuite im Beverly Wilshire fühlte ich mich unwohl und völlig fehl am Platz.«

Greenspun hatte eine andere Lebenseinstellung. Die Armut hatte er vor allem in seiner Kindheit und Jugend kennengelernt. Sein Vater war ein Talmudgelehrter, der seine einzige geregelte Anstellung während des Ersten Weltkriegs gehabt hatte, als er hölzerne Gewehrschäfte für Winchester hergestellt und dafür neun Dollar pro Woche erhielt. Sein anschließendes Geschäft als selbstständiger Schnitzer und Verkäufer von hölzernen Bilderrahmen war ein Flop und so musste die ganze Familie mithelfen, Geld zu verdienen. Die Familie lebte im Armenviertel von New Haven. Als Greenspun 1930 volljährig war, hatte die Zeit der Depression begonnen. Nach seiner Rückkehr aus dem Zweiten Weltkrieg in Europa hatte er vom sparsamem Leben endgültig die Nase voll. Er kaufte sich einen Buick und reiste durchs Land. Im September 1946 kam er zum ersten Mal nach Las Vegas:

»Ich glaube, es war Liebe auf den ersten Blick … Ich reagierte auf typische Weise mit einer plötzlichen, instinktiven Entscheidung. Ich checkte im Last Frontier Hotel ein, ging im Pool schwimmen, stieg aus dem Wasser, rief Barbara an und verkündete jubelnd: ›Pack alles ein, Baby, und komm mit! Wir werden nicht mehr zurückkehren.‹«

In Las Vegas fand Hank Greenspun einen Job als Presseagent für das Flamingo Hotel and Casino, das erste moderne Resort, das sich auf dem Las Vegas Strip etabliert hatte. Greenspun arbeitete mit dem Mafioso Bugsy Siegel, dem Kopf hinter dem Flamingo, zusammen. Später sagte Greenspun, keine Ahnung von Siegels zwielichtiger und gewalttätiger Vergangenheit gehabt zu haben. »Greenspun war eine schillernde Figur mit Verbindungen zur Elite der Gesellschaft von Las Vegas«, schreibt Sacharov.

»Er war ein enger Freund des jüdischen Gangsters Bugsy Siegel und brachte Siegel sogar dazu, einen Teil seines eigenen Geldes zu spenden und bei seinen vielen Freunden zusätzliche Mittel für die Haganah zu beschaffen.«

Auch während der Haganah-Geheimoperation in Mexiko wollte Greenspun offenbar nicht völlig auf das Flair des Las Vegas Strip verzichten. Freimütig gibt er zu:

»Einige Tage später verlegte ich mein Hauptquartier in das viel beeindruckendere Hotel Del Prado und verwandelte meine Suite in ein rund um die Uhr geöffnetes Bewirtungszentrum für Militär- und Marineoffiziere, ambitionierte Politiker und Journalisten. Ich ging ständig zwischen ihnen hin und her und versuchte, ein Klima des guten Willens gegenüber der Kefalos und ihrer baldigen Abfahrt zu schaffen. … Die cuenta für die Speisen und Getränke meiner Gäste nahm bald Ausmaße an, die Eliyahu Sacharov schockierten. Da er an die palästinensischen Aufrufe zur Sparsamkeit gewöhnt war, erschienen ihm die Rechnungen, die meine ausgelassenen Gäste produzierten, fast unmoralisch. Wir stritten darüber, bis ich Teddy Kollek anrief und vorschlug, dass Sacharov seine Talente besser in New York einsetzen sollte.«

Kollek stimmte zu, und Sacharov reiste ab. Sacharov war bislang derjenige gewesen, der hin und wieder nach Tampico am Golf von Mexiko gereist war, um dort Kontakt zum Kapitän der Kefalos zu halten, der dort mit seiner Crew insgesamt 42 Tage lang vor Anker lag. Nun musste Hank Greenspun dies selbst übernehmen. Er sollte auf einen schlecht gelaunten Kapitän treffen.

In der Serie »Hotel Stalingrad – Israels Rettung 1948« erschienen:

Teil 1: Exodus
Teil 2: Bab el-Wad
Teil 3: Kyrus
Teil 4: Ad Halom
Teil 5: Liebesgrüße aus Moskau
Teil 6: Jan Masaryk
Teil 7: Operation Balak
Teil 8: Golda Meyerson in Amerika
Teil 9: Jaffa Oranges
Teil 10: Die Geschichte von Hank Greenspun, erster Teil
Teil 11: Die Geschichte von Hank Greenspun, zweiter Teil
Teil 12: Die Geschichte von Hank Greenspun, dritter Teil
Teil 13: Die Geschichte von Hank Greenspun, vierter Teil

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