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Hotel Stalingrad – Israels Rettung 1948. Teil 15: Die Geschichte von Hank Greenspun, sechster Teil

Im mexikanischen Tampico kamen Greenspun und Kapitän Oko alles andere als gut miteinander aus. (© imago images/Pond5 Images)
Im mexikanischen Tampico kamen Greenspun und Kapitän Oko alles andere als gut miteinander aus. (© imago images/Pond5 Images)

Wie die Haganah die Kefalos kaufte. Guter Draht nach Panama. Ein zorniger Kapitän. Warum das Waffenschiff mit Zucker beladen wird.

Am 21. Juni 1948 schreibt David Ben-Gurion in sein Tagebuch: »Das Schiff wurde in Kanada gekauft, es heißt Kefalos (Flagge von Panama) und wurde nach Mexiko geschickt. Es wird 38 M-5 Panzer und 32 75 mm Kanonen, Maschinengewehre und Bomben für Flugzeuge mitbringen. Sie könnten am Ende des Waffenstillstands eintreffen.«

Was Ben-Gurion zu diesem Zeitpunkt noch nicht weiß: Es sind keine Panzer an Bord der Kefalos, die Kanonen stammen zum Teil aus der Zeit des Ersten Weltkriegs, und die Kefalos wird erst zwei Monate später, am 8. September, in Tel Aviv eintreffen – während des zweiten Waffenstillstands.

Die Kefalos war ein 6.000-Tonnen-Frachter und das siebte und letzte Schiff, das die Haganah im Mai 1948 erwarb. Es war das einzige, das in Amerika gekauft wurde. Zu den in Europa angekauften gehörte etwa die Nora, die am 1. April 1948 die erste Ladung mit tschechoslowakischen Waffen nach Tel Aviv gebracht hatte.

Die Kefalos war 1917 unter dem Namen Dicto in Kalifornien in Dienst gestellt worden. Die aus Eli Shalit und Raphael Recanati bestehende Beschaffungsorganisation der Haganah in New York hatte sie einem in Kanada lebenden Griechen für 190.000 -Dollar abgekauft; Recanati war dafür selbst nach Kanada gereist. Registriert wurde das Schiff für eine in Panama ansässige Tarnfirma namens Manuel Enterprises.

Der Gangster aus Miami

Warum ausgerechnet Panama? Das erklärt der Historiker Robert Rockaway, Spezialist für jüdische Geschichte in den USA, in einem im April 2018 im Tablet Magazine veröffentlichten Beitrag: Reuven Dafni, der ebenfalls für die Haganah in den USA tätig war und später Israels erster Konsul in Los Angeles werden sollte, hatte von einem jüdischen Anwalt aus Miami den Tipp bekommen, dass ein jüdischer Gangster namens Sam Kay, der sein Büro im selben Gebäude hatte wie der Anwalt, der Haganah vielleicht helfen könne. »Der Anwalt war der Meinung, dass es sich lohne, den Mann aufzusuchen, da wir nichts zu verlieren hätten«, sagte Dafni in einem Interview, das er Rockaway im Jahr 2003 gab, zwei Jahre vor Dafnis Tod. An den Besuch im Büro des Gangsters – er hatte sich vorher angemeldet – erinnerte sich Dafni im Interview wie folgt:

»Als ich eintrat, sah ich nur die Füße von jemandem auf dem Schreibtisch, eine Zeitung und Zigarrenrauch, der hinter der Zeitung hervorquoll. Nachdem ich ein paar Minuten still dagestanden hatte, räusperte ich mich ein paar Mal. Die Zeitung wurde heruntergelassen und Sam sagte: ›Setzen Sie sich und sagen Sie mir, was Sie wollen.‹ Also sagte ich es ihm. Als ich fertig war, meinte er, dass er mir helfen würde. Dieser Sam war ein guter Freund des Präsidenten von Panama. Sie standen sich sehr nahe. Und Sam kontaktierte ihn für uns. Von da an waren alle unsere Schiffe, die Waffen nach Israel transportierten, in Panama registriert und fuhren unter panamaischer Flagge. Das war eine sehr, sehr große Hilfe für uns.«

Wieso hat der Mafioso Sam Kay Israel geholfen? Dafni glaubte, den Grund zu kennen:

»Er hatte eine Tochter im heiratsfähigen Alter, aber sie hatte es schwer, jüdische Jungen kennenzulernen, aufgrund dessen, was ihr Vater war. Ich glaube, er half uns, weil es für ihn ein Weg war, in der jüdischen Gemeinschaft akzeptiert zu werden. Als bekannt wurde, dass er uns half, änderte sich die Haltung der jüdischen Gemeinde ihm gegenüber. Seine Tochter ging mit jüdischen Jungen aus und heiratete schließlich einen.«

Rockaway fügte der Theorie eine akademische Spekulation hinzu:

»Vielleicht kann die Hilfe für Israel als eine spätere Version der Tradition des jüdischen Gangsters gesehen werden, der sein Viertel vor Antisemiten beschützt. Nach dem Zweiten Weltkrieg stand der jüdische Staat symbolisch für das jüdische Viertel. Indem er Israel gegen seine Feinde verteidigte, verteidigte der jüdische Gangster immer noch sein Volk gegen Judenhasser.«

Kapitän Oko

Die Operation, die Waffen aus Mexiko nach Israel zu transportieren, wurde von der Haganah »Dromi« (Süden) genannt, und das Schiff »Dromit« (Südländer). Von Kanada aus hatte die Kefalos zunächst den Hafen von Brooklyn angelaufen, wo einige Reparaturen vorgenommen wurden, die aber wegen der Dringlichkeit der Mission längst nicht so umfassend waren, wie der Kapitän, Adolph S. Oko jr., sich das gewünscht hatte.

Oko war ein jüdisch-amerikanischer Seefahrer, den die Haganah angeheuert hatte. Im zivilen Leben der 1930er besaß er eine Werbeagentur, doch nach dem Angriff der Japaner auf Pearl Harbor hatte er sich 1942 zur US-Marine gemeldet und während des Kriegs Transportschiffe gesteuert.

Mit an Bord der Kefalos als Matrosin und Krankenschwester war seine Frau Gladys Zemple Oko. Es fuhren fünf Haganah-Mitglieder mit, die aber den Anweisungen des Kapitäns und der Crew zu folgen hatten. Wie der Historiker Renato Barahona herausgefunden hat, bestand die Crew zum großen Teil aus spanischen Republikanern im Exil, darunter viele Basken. Barahonas Forschungsinteresse, das in einem Buch über die Kefalos mündete, rührt daher, dass sein Vater einer dieser Matrosen war. Barahona sagte:

»Zu der Geheimoperation gehörte eine umfangreiche Kooperation zwischen verschiedenen Diasporas. Um den Erfolg des Unternehmens sicherzustellen, arbeiteten Juden mit spanisch-baskischen Crewmitgliedern zusammen.«

Am 14. Juni 1948 verließ die Kefalos New York mit dem angeblichen Ziel Montevideo. Unterwegs war die Crew informiert worden, dass man einen Zwischenstopp in Tampico (Mexiko) einlegen würde, um einige »kleinere Reparaturen« vorzunehmen und Ware an Bord zu nehmen. In Tampico lag die Kefalos 42 Tage vor Anker. Kapitän Oko war die meiste Zeit davon an der Ruhr erkrankt.

Oko übte harsche Kritik an dem Ort, an dem das Schiff vor Anker lag, nämlich beim Marktplatz, zu dem viele Syrer und Libanesen kamen und »die Gefahr von Sabotage sehr real war«. Er beklagte sich auch über die schlechte Qualität der gekauften Waffen, über die Fähigkeiten derjenigen, die für den Kauf jener Waffen ausgewählt worden waren, sowie über diejenigen, welche die gesamte Operation in Mexiko leiteten. Sie hätte »nicht in schlechteren Händen sein« können als in jenen von Hank Greenspun, so Oko.

Greenspun schreibt in seiner 1966 erschienenen Autobiografie, dass er leider erst nach dessen Tod 1963 erfahren habe, was Oko geleistet hat: »Er hat mehr als 7.000 verzweifelte Menschen nach Israel gebracht und war zu so gut wie jedem Opfer für die jüdische Sache bereit.« In Tampico im Sommer 1948 hätten sie sich leider »unter spannungsgeladenen Umständen« getroffen, bedauerte Greenspun rückblickend.

Streit auf der Kefalos

Greenspun ging an einem Wachmann vorbei auf die Kefalos, wo ein Mann in Kapitänskleidung – es war Kapitän Oko – ihm sagte, es seien keine Besucher auf dem Schiff gestattet. »Ich bin kein Besucher. Ich bin Hank Greenspun.« – »Greenspun!«, rief Oko. »Es wird auch allmählich Zeit, dass Sie uns einen Besuch abstatten. Sacharov war hier und hat mir zugehört, aber nie etwas getan. ›Sag das Greenspun‹, hat er immer gesagt. ›Sag das Greenspun.‹ Und wo war der große Oberst Greenspun? Lebt wie ein König – ein orientalischer Sybarit! – in einem feinen Hotel in Mexico City.« — »Sybarit! Ich reiß mir den Arsch auf, um deinen stinkenden Kahn zu füllen!« – »Du nennst mein Schiff einen Kahn? Ha, du zügelloser Hypokrit!« – »Hören Sie zu, Oko, ich bin jetzt hier. Also sagen Sie mir, was soll das ganze Gezicke?« – »Ich will hier abhauen! Mein Schiff und seine Besatzung verrotten, mit jeder Stunde, die wir hierbleiben, wird es schlimmer. Die Hälfte der Männer ist an Ruhr erkrankt, der Rest betrinkt sich in den Cantinas und Bordellen am Hafen oder sitzt im Knast. Wenn wir nicht bald den Befehl zum Auslaufen erhalten, wird es keine Crew mehr geben. Dann werden eure Kanonen nie aus der Bucht von Tampico herauskommen.« –»Die letzten vier Eisenbahnzüge werden gerade beladen. Sie werden jeden Tag in Tampico erwartet. Sobald sie da sind, könnt ihr abfahren.«

»Wir haben jetzt schon genug Ladung.« – »Habt ihr nicht. Und selbst wenn, müssen wir noch eine Genehmigung einholen, bevor ihr auslaufen könnt. Bei der derzeitigen politischen Lage ist das nicht einfach. Deshalb tue ich mein Bestes, um ein wenig Einfluss für unsere Seite zu bekommen – das, was Sie ›sich ausleben‹ nennen. Hören Sie mal, Oko, warum besprechen wir das nicht beim Abendessen? Tito und ich wohnen im Imperial, an der Ecke Calles Estado und Aurora …« – »Das beste Hotel in Tampico!« schaltete sich Frau Oko ein. »So einen Luxus können wir uns nicht leisten. Wir bringen ein echtes Opfer für die Sache.«

»Das taten sie«, reflektierte Greenspun siebzehn Jahre später:

»Und ich auch. Aber tragischerweise wussten wir nichts von den jeweiligen Hintergründen des anderen, nicht einmal den seltsamen Zufall, dass Oko und ich beide Journalisten und PR-Männer waren, die ursprünglich aus New York stammten und in die lebendigsten Städte des Westens, San Francisco und Las Vegas, gezogen waren. Jetzt arbeiteten wir verzweifelt hart an entgegengesetzten Enden desselben Unternehmens und hatten wenig Verständnis für die Probleme des anderen und noch weniger Geduld.«

Beim Abendessen sprach Oko seine große Sorge an: »Selbst, wenn es mir gelingt, den Anker zu lichten und aus diesem Sumpf herauszukommen – nicht, dass ich an Wunder glaube! –, was passiert danach?« Er deutete auf die Lichter des Hafens. »Wenn wir auf See sind, meinen Sie, die Engländer lassen uns dann vorbei? Ich habe die Zeitungen gelesen: ›Greenspun kauft Kanonen! Greenspun kauft Maschinengewehre! Greenspun belädt die Kefalos für die Juden, die Chinesen, die Araber!‹ Glauben Sie nicht, dass die Briten auch Zeitungen lesen können? Sie werden nicht auf ihrem Hintern herumsitzen, während eine Ladung Munition nach Palästina geht, und sie wissen verdammt gut, dass ich mit diesem langsamen Schiff nicht nach China fahren werde!«

»Natürlich wissen sie das! Die Geschichte mit den Chinesen ist nur ein kleiner Trick, um das Gesicht der mexikanischen Regierung zu wahren.« – »Großartig. Die werden ihr Gesicht wahren und wir werden unseren Arsch verlieren. Die Briten werden an Bord gehen und das Schiff durchsuchen, sobald die Kefalos die mexikanischen Gewässer verlässt. Selbst, wenn ich das Glück habe, ihnen zu entkommen und es hinüberzuschaffen, habe ich keine Chance, an Gibraltar vorbeizukommen. Die Bastarde werden uns aus dem Wasser pusten!«

Eine süße Idee

Greenspun knabberte an einer kalten Zigarre und dachte nach. »Kapitän Oko, in den letzten Tagen habe ich einige Frachtangebote für Israel erhalten, darunter hundert Tonnen Zucker in Hundert-Pfund-Säcken. Zwar würde ich den ganzen Platz lieber für Munition verwenden, aber der Zucker könnte sein Gewicht in Waffen wert sein. Wir legen die Säcke über die Kisten mit Waffen und Munition und stellen gefälschte Papiere aus, dass Sie Zucker zu einem Mittelmeerhafen, vielleicht einem türkischen Hafen, transportieren. Wenn ihr dann Tampico verlassen habt, könnt ihr einen anderen Namen auf den Bug malen und den Schlot und die Aufbauten in einer anderen Farbe anmalen.«

»Mit einer halben Besatzung?« – »Stellen Sie andere ein.« – »Wo und womit? Ich verfüge nicht über unbegrenzte Mittel wie Sie.« – »Ich stelle die Mittel zur Verfügung und sorge dafür, dass Willie Sosnow mit Ihnen zusammenarbeitet. Er wird sich um die medizinische Versorgung der Crew kümmern und Ihnen helfen, neue Männer zu finden. Und ich sorge dafür, dass der Zucker so schnell wie möglich geschickt wird. Bis er eintrifft, sollten wir die Freigabe haben. Dann können Sie abhauen.«

Kapitän Oko beruhigte sich, offenbar besänftigt. Tito Rivera und Greenspun flogen zurück nach Mexiko City, wo alles unter Kontrolle zu sein schien. Alejandro Paredes kümmerte sich währenddessen um die letzten Munitionsladungen, und da Rivera die Zuckerlieferung organisierte, gab es wenig, was Greenspun tun konnte. »Ich fühlte mich ausgelaugt, erschöpft, deprimiert und war zunehmend besorgt über die Situation zu Hause«, schreibt er. Der Grund:

»Die letzten Telefonate hatten mir deutlich vor Augen geführt, dass Barbaras fast schon heilige Geduld schließlich am Ende war. Sie kehrte im wahrsten Sinne des Wortes ›die Irin raus‹ und war, wie ich selbst, bereit, impulsiv zu handeln. Ich dachte stundenlang darüber nach; dann, mit vielen Bedenken, stieg ich in ein Flugzeug nach Las Vegas, entschlossen, an der Heimatfront für Ruhe zu sorgen und zwei Tage später zurückzufliegen. Was könnte in zwei Tagen schon schiefgehen, fragte ich mich, was nicht schon vorher schiefgegangen war?«

In der Serie »Hotel Stalingrad – Israels Rettung 1948« bisher erschienen:

Teil 1: Exodus
Teil 2: Bab el-Wad
Teil 3: Kyrus
Teil 4: Ad Halom
Teil 5: Liebesgrüße aus Moskau
Teil 6: Jan Masaryk
Teil 7: Operation Balak
Teil 8: Golda Meyerson in Amerika
Teil 9: Jaffa Oranges
Teil 10: Die Geschichte von Hank Greenspun, erster Teil
Teil 11: Die Geschichte von Hank Greenspun, zweiter Teil
Teil 12: Die Geschichte von Hank Greenspun, dritter Teil
Teil 13: Die Geschichte von Hank Greenspun, vierter Teil
Teil 14: Die Geschichte von Hank Greenspun, fünfter Teil

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