Israel prüft die Möglichkeit, einen neuen Grenzübergang zum Gazastreifen zu eröffnen, um humanitäre Hilfe direkt in den nördlichen Teil der Enklave zu liefern.
Ein nördlicher Grenzübergang würde die aktiven Kampfzonen im südlichen und zentralen Gazastreifen umgehen, erklärten zwei Beamte in Jerusalem am Dienstag gegenüber NBC News. Nach israelischen Schätzungen hat die Hamas bis zu sechzig Prozent der Hilfsgüter, die in den Gazastreifen gelangen, für sich selbst eingezogen.
Während die Pläne noch nicht endgültig feststehen, heißt es, der neue Grenzübergang soll in der Nähe des Kibbuz Be’eri im Südwesten Israels eröffnet werden. Be’eri war eines der am stärksten betroffenen Gebiete der Hamas-Terrorangriffe vom 7. Oktober, bei denen etwa 1.200 Israelis massakriert und Tausende weitere verwundet wurden. Etwa dreißig Prozent der 1.100 Einwohner des Kibbuz wurden entweder ermordet oder als Geiseln nach Gaza verschleppt.
Nach den Angriffen stimmte das israelische Sicherheitskabinett für einen Vorschlag, alle Kontakte zu dem von der Hamas regierten Küstenstreifen abzubrechen. Alle israelischen Grenzübergänge zum Gazastreifen blieben monatelang geschlossen, nur der ägyptische Grenzübergang Rafah vom Sinai aus blieb geöffnet. Am 15. Dezember letzten Jahres genehmigte das Kabinett die Wiedereröffnung des Kerem-Shalom-Übergangs zum südlichen Gazastreifen.
Der NBC-Bericht vom Dienstag erschien inmitten des wachsenden Drucks zahlreicher westlicher Länder, mehr humanitäre Hilfe in die Enklave zu lassen. »Die Vereinigten Staaten haben sich verpflichtet, alle Hebel in Bewegung zu setzen, um weitere Hilfsgüter zu den Menschen in Gaza zu bringen, die sie dringend benötigen. Wir werden nicht tatenlos zusehen. Wir werden nicht nachlassen«, twitterte US-Präsident Joe Biden am Dienstag.
Israelische Lieferungen
Ende vergangenen Monats beschloss Israels Kriegskabinett, humanitäre Hilfsgüter direkt in den nördlichen Gazastreifen zu transportieren, um die Hamas zu umgehen. Ein israelischer Beamter erklärte gegenüber lokalen Medien, dass das Pilotprojekt bereits in dieser Woche starten könnte.
Die Entscheidung Israels, neue Methoden für die Lieferung von Hilfsgütern zu testen, wurde durch eine tödliche Massenpanik in Gaza-Stadt am 29. Februar noch verstärkt. Bei dem Vorfall stürmten Zivilisten aus dem Gazastreifen Lastwagen mit Hilfsgütern, wie von den israelischen Verteidigungsstreitkräften (IDF) veröffentlichte Luftaufnahmen belegen.
Der neue Plan sieht vor, dass Lastwagen mit Hilfsgütern für die bereits von den israelischen Verteidigungsstreitkräften eroberten Teile des Gazastreifens den 2011 endgültig geschlossenen Grenzübergang Karni bei Gaza-Stadt passieren werden. Jerusalem erwägt, die Lastwagenkonvois mit Lebensmitteln und Medikamenten von IDF-Truppen sichern zu lassen, anstatt sie an lokale Wachen zu übergeben, sagte ein israelischer Beamter am Sonntag gegenüber der Times of Israel.
Umgehung der Hamas
Einen Tag zuvor hieß es in einem Bericht der in London erscheinenden, arabischen Zeitung Asharq Al-Awsat, der Leiter des Koordinators für Regierungsaktivitäten in den Gebieten (COGAT), Ghassan Alian, sei in Kontakt mit Clan-Führern in Gaza, die nicht mit der Hamas in Verbindung stehen, getreten, um mit ihnen den Schutz der humanitären Hilfskonvois durch lokale bewaffnete Gruppen zu organisieren. Dem Bericht zufolge lehnten die meisten Gruppierungen diesen Vorschlag ab; abgesehen von der Zustimmung eines großen Clans, ein weiterer werde den Vorschlag prüfen.
Quellen in der Hamas sollen Asharq Al-Awsat mitgeteilt haben, dass die Terrorgruppe über ausreichende Informationen über die Kommunikation zwischen Israel und den lokalen Clans verfüge. Den Aussagen zufolge überwache die Hamas die Aktionen der lokalen bewaffneten Clanführer, bezeichne deren Aktivitäten als Verstöße, deren Ziel es sei, Chaos, Sabotage und Aufwiegelung zu verursachen. Die Quellen behaupteten auch, dass die Hamas-Führung beschlossen habe, gegen die lokalen Gruppen vorzugehen, die »für ihre Aktionen bezahlen werden«.
Die Vereinbarung ist Teil eines größeren Plans für eine Zusammenarbeit zwischen den IDF und den lokalen Clans im Gazastreifen, um eine Alternative zur Hamas-Regierung aufzubauen. So gaben israelische Beamte im Februar bekannt, sie seien an der Einrichtung von palästinensisch geführten humanitären Kanälen interessiert, die nicht mit der Hamas verbunden sind.
Israelische Beamte erklärten, dass die geplanten humanitären Zonen in Bezirken des Gazastreifens liegen würden, aus denen die Hamas vertrieben wurde, der letztendliche Erfolg aber davon abhänge, ob Israel sein Ziel erreicht, die islamistische Gruppierung in dem Küstengebiet zu zerschlagen.