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Tankstopp: Die Golfstaaten müssen ihre Wirtschaften diversifizieren (Teil 2)

Das Zeichen des Gulf Cooperation Council, dem Dachverband der Golfstaaten. (© imago images/Panthermedia)
Das Zeichen des Gulf Cooperation Council, dem Dachverband der Golfstaaten. (© imago images/Panthermedia)

Um ihre Wirtschaften breiter aufzustellen, setzen die Golfstaaten auf Asien, erneuerbare Energien und Kooperation mit Israel.

Die Vereinigten Arabischen Emirate und Saudi-Arabien haben als erste erfolgreich ihre Bemühungen intensiviert, mehr Auslandsdirektinvestitionen (FDI) anzuziehen, indem sie die Beschränkungen für ausländisches Eigentum gelockert und die Mitspracherechte von Investoren gestärkt haben.

Die GCC-Länder und die EU waren aufgrund ihrer engen historischen Beziehungen und außenpolitischen Interessen lange Zeit eng verbunden. Noch im Jahr 2018 waren die GCC-Staaten der sechstgrößte Exportmarkt der EU, während die EU der zweitgrößte Handelspartner der GCC war. 2020 wurde China zum wichtigsten Handelspartner der GCC.

Die Golfstaaten rücken nach Asien

Die GCC-Länder haben ihre Wirtschaftsbeziehungen zu Asien massiv ausgebaut. Die Regionen ergänzen sich in mehreren Dimensionen: China und Indien sind die am schnellsten wachsenden, ölverbrauchenden Nationen der Welt, während der GCC über die größten nachgewiesenen Öl- und Gasvorkommen verfügen. Eine stabile Basis für eine langfristige Zusammenarbeit. Beide Regionen verzeichnen ein starkes Wirtschaftswachstum und bieten einander viele Investitionsmöglichkeiten.

Infolgedessen sind die Handelsbeziehungen zwischen den GCC- und den Asien-Staaten in den letzten Jahren erheblich gewachsen und haben den Handel zwischen dem GCC und den USA und Europa weitgehend ersetzt. Asien ist zum wichtigsten Handelspartner der Golfstaaten geworden und macht fast 60 Prozent des gesamten Außenhandels aus. Die Ölnachfrage verlagert sich vom Westen fort: Künftig könnten bis zu 90 Prozent der Ölexporte aus dem Nahen Osten nach Asien gehen.

Neue Partner

Neben Rohstoffen und Industrieerzeugnissen haben auch die Investitionsströme für Infrastrukturprojekte zwischen den GCC und Asien an Dynamik gewonnen. Beispiele hierfür sind Kooperationen der China Petroleum & Chemical Corporation (Sinopec) mit Saudi Aramco über die Errichtung eines integrierten Raffinerie- und Petrochemiekomplexes, das Kernkraftwerk-Megaprojekt von Korea Electric Power in den Vereinigten Arabischen Emiraten und der chinesische Telekommunikations- und Netzwerkanbieter Huawei Technologies, der am Golf Kommunikationsnetze aufbaut.

Im Gegenzug investieren GCC-Unternehmen in Asien, darunter Saudi Telecom, Etisalat und Qatar Telecom mit Ventures im malaysischen und indonesischen Telekommunikationssektor. GlobalFoundries, das vom Staatsfonds der VAE Mubadala Investment Co. kontrolliert wird, baut um vier Milliarden Dollar eine Chipfabrik in Singapur, und Unternehmen aus Kuwait und Saudi-Arabien investieren in Raffinerieprojekte in China, Indonesien, Vietnam und Indien.

Natürlich besteht auch seitens der EU größtes Interesse, von den ehrgeizigen Liberalisierungsprozessen der GCC-Länder zu profitieren. So nahm etwa das EU-GCC Dialogue on Economic Diversification– Projekt im April 2018 seine Arbeit auf, um die Beziehung zwischen der EU und dem Golf-Kooperationsrat zu stärken. In welchen Bereichen die notorisch bürokratische Herangehensweise der Europäer im Wettbewerb mit dem dynamischen Pragmatismus Asiens bestehen kann, wird sich zeigen.

Erneuerbare Energien

Saudi-Arabien will bis spätestens 2050 der weltweit größte Exporteur von Wasserstoff werden. Das Land bietet genug Platz für Windparks und Solarkraftwerke, an Wind und Sonne herrscht ohnehin kein Mangel. Also baut man um 4,3 Mrd. Euro die größte Wasserstofffabrik der Welt. Man hofft, in zehn Jahren Wasserstoff zu einem Preis produzieren zu können, der mit dem von fossilen Treibstoffen konkurrieren kann. Die deutsche Tagesschau berichtete.

Nicht nur Saudi Aramco setzt auf Erneuerbare Energien, auch Oman und vor allem die VAE planen ehrgeizige Projekte. Der Mohammed-bin-Rashid-Al-Maktoum-Solarpark ist bereits teilweise in Betrieb und soll im Endausbau nicht nur der weltweit größte Solarpark werden, sondern auch jener mit den niedrigsten Stromgestehungskosten.

Deutschland hat im März umfangreiche Kooperationsvereinbarungen mit den VAE über eine Zusammenarbeit in Produktion und Transport von Wasserstoff geschlossen, berichtet das Handelsblatt: »Mit dabei sind Unternehmen wie RWE, Steag, Uniper, Siemens Energy, Lufthansa und Hydrogenious. Die Vereinbarungen betreffen die gesamte Wasserstoff-Wertschöpfungskette – von der Herstellung über den Transport bis zur Anwendung.«

Mit der Erzeugung von Wasserstoff könnten die GCC-Länder ihre bedeutende Rolle als Energielieferant nicht nur halten, sondern weiter festigen, zumal man dann über eine moderne Öl-, Gas- und Wasserstoffindustrie verfügen würde.

Politische Synergien

Auch die Abraham-Abkommen, die Normalisierungsverträge von Bahrain und den VAE mit Israel, können der Golfregion bei der Diversifikation ihrer Volkswirtschaften von Nutzen sein, wenn der derzeit ins Stocken geratene Prozess wieder Fahrt aufnimmt. Sie fördern Investitionen, Handel und Wissenschaft und stärken die geopolitische Position der gesamten Region. An einem konkreten Projekt zeigt sich die Win-Win-Situation besonders deutlich:

Masdar Clean Energy, ein Unternehmen der Vereinigten Arabischen Emirate, wird in der jordanischen Wüste ein riesiges Solarkraftwerk bauen, das Strom von Jordanien nach Israel liefert. Bis zum Jahr 2030 soll Israel zwei Prozent seines gesamten Stromverbrauchs von dort beziehen. Im Gegenzug wird Israel doppelt so viel Süßwasser an Jordanien liefern wie bisher. Drei Länder – und alle drei gewinnen.

Visionen

Die Volkswirtschaften der GCC-Staaten sind noch länger auf Öl als Hauptquelle für Export- und Steuereinnahmen angewiesen. Langfristig wird der Kohlenwasserstoffsektor an Bedeutung verlieren. Dieser Umstand und die fiskalischen Rahmenbedingungen zwingen die Länder des Golfkooperationsrates zu umfangreichen Reformen, insbesondere zur Diversifizierung ihrer Volkswirtschaften und Verbesserungen im sozialen Bereich.

Alle sechs Länder haben dies erkannt und langfristige Entwicklungspläne in Form von »Visionen« formuliert. Diese Visionen zeigen erhebliche Überschneidungen, aber die jeweilige Priorisierung unterscheidet sich, was die Entwicklung eigener Strategien für jeden einzelnen Staat erfordert.

Die Vereinigten Arabischen Emirate formulieren zum Beispiel das Ziel, »eines der besten Länder der Welt« zu werden und benennen sechs allgemeine nationale Prioritäten, auf die man sich konzentrieren sollte (wettbewerbsfähige, wissensbasierte Wirtschaft; nachhaltige Umwelt und Infrastruktur; erstklassige Gesundheitsversorgung; erstklassiges Bildungssystem; sichere öffentliche und faire Justiz sowie Zusammenhalt in der Gesellschaft und bewahrte Identität).

Papier ist geduldig, und je blumiger und hochtrabender die Formulierungen in Strategiepapieren daherkommen, desto skeptischer darf man bezüglich ihrer konkreten Umsetzung sein.

Vorläufiges Fazit

Die momentan (Stand: März 2022) weltweit hohen Ölpreise werden jedenfalls keine unmittelbare Auswirkung auf die Pläne der GCC-Staaten haben. Die Preissteigerung stopft zuerst einmal die Löcher der Staatsfonds. Ob und wie die einzelnen Länder die Gewinne bei einem anhaltenden Aufwärtstrend investieren, ist zum jetzigen Zeitpunkt nur Spekulation.

Trotz des Reichtums der Region ist es eine enorme wirtschaftliche und politische Herausforderung, die Volkswirtschaften aus ihrer Abhängigkeit vom Kohlenwasserstoffsektor zu führen und gleichzeitig die Staatshaushalte generationengerecht zu stabilisieren. Aber der Golfkooperationsrat hat den Handlungsbedarf erkannt und erste Schritte in die richtige Richtung gesetzt: Das Unterfangen kann gelingen. Zumal die größten Ölreserven der Welt auf der Haben-Seite stehen.

Lesen Sie hier den ersten Teil dieser Analyse. Eine gekürzte Fassung des Texts wurde zuerst im Magazin DER PRAGMATICUS veröffentlicht (https://www.derpragmaticus.com/r/oel-nachfrage/).

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