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Edward Said und der Elefant in Foucaults Wohnzimmer

Ein Elefant im Wohnzimmer
Ein Elefant im Wohnzimmer (© Imago Images / agefotostock)

Der »Elefant im Raum«, den die gleichnamige antiisraelische Petition beschwört, ist nichts anderes als ein Götze, dessen Anbetung deren Initiatoren herrisch einfordern.

Im Juni 2000, rund zwei Jahre vor seinem Tod, veröffentlichte der als Begründer der postkolonialen Studien und Autor des Buches Orientalismus (1978) bekannte palästinensisch-amerikanische Literaturwissenschaftler Edward Said in der London Review of Books einen Aufsatz mit dem Titel Meine Begegnung mit Sartre. Wie die Unterstützer des offenen Briefs The Elephant in the Room schimpfte Edward Said darüber, dass die eigene antiisraelische Meinung nicht von jedem geteilt werde. Said beginnt seinen Beitrag damit, wie sehr er bis dahin zu Jean-Paul Sartre aufgeblickt habe:

»Man bewunderte Sartre für seine Bemühungen, Situationen zu verstehen und, wenn nötig, Solidarität mit politischen Anliegen zu üben. Er war nie herablassend oder ausweichend, auch wenn er zu Fehlern und Übertreibungen neigte. Fast alles, was er geschrieben hat, ist interessant wegen seiner Kühnheit, seiner Freiheit (sogar der Freiheit, wortreich zu sein) und seiner Großzügigkeit des Geistes.«

In Sartres ganzem Leben habe es lediglich eine einzige »offensichtliche Ausnahme« gegeben, bemängelt Said. Eine Art Unfall. Und er, Edward Said, war mittendrin.

Es war Anfang 1979, und Edward Said war von der von Sartre und Simone de Beauvoir begründeten Zeitschrift Les Temps modernes zu einem »Seminar über Frieden im Nahen Osten« eingeladen. Die Einladung kam im Namen von Simone de Beauvoir und Jean-Paul Sartre in Form eines Telegramms. Zuerst, so Said, habe er an einen Scherz geglaubt. Zwei Tage habe er gebraucht, um die Echtheit der Einladung zu prüfen. Die Veranstaltung habe in der Wohnung von Michel Foucault stattgefunden, der aber selbst nicht anwesend gewesen sei.

»Beauvoir war schon da, mit ihrem berühmten Turban, und hielt jedem, der ihr zuhören wollte, einen Vortrag über ihre bevorstehende Reise nach Teheran mit Kate Millett, wo sie gegen den Tschador demonstrieren wollten; die ganze Idee kam mir herablassend und albern vor.«

Said betont, dass Foucault, bevor er zu seiner »täglichen Recherche« in die Bibliothèque Nationale verschwunden sei, noch mit ihm, Edward Said, gesprochen habe. Said versäumt es auch nicht, herauszustellen, dass Foucault sein – Saids! – Buch Beginnings im Buchregal stehen gehabt habe.

Die Teilnehmer des Gesprächskreises seien »zum größten Teil israelische oder französische Juden« gewesen, »von sehr religiös bis sehr säkular, aber alle auf die eine oder andere Art prozionistisch«, so Said. Die Tagesordnung sei folgende gewesen:

  • Die Bedeutung des kurz zuvor zwischen Ägypten und Israel geschlossenen Friedensvertrags,
  • Frieden zwischen Israel und der arabischen Welt im Allgemeinen,
  • die zukünftige Koexistenz zwischen Israel und seinen arabischen Nachbarn.

Said war konsterniert: »Ich hatte das Gefühl, dass die Angelegenheit der Palästinenser übersprungen wurde.«

»Halb Trickbetrüger«

Abfällig beschreibt er die Anwesenden. Über Sartres Mitarbeiter Benny Lévy, von dem er erfuhr, dass er ein ägyptischer Jude sei, schrieb Said, er habe »wenig Ägyptisches« an sich gehabt, sondern auf ihn wie ein »Intellektueller vom linken (Seine-)Ufer« gewirkt, »halb Denker, halb Trickbetrüger«.

Was Sartre betrifft, so Said, sei er »schockiert« gewesen, wie »alt und gebrechlich« dieser gewirkt habe; dass er »völlig abhängig« von Helfern gewesen sei. Said ekelte sich vor dem Alten, Kranken. Einundwanzig Jahre später erinnerte er sich:

»Beim Mittagessen saß er mir gegenüber, sah trübsinnig aus und blieb völlig unkommunikativ, wobei ihm Ei und Mayonnaise unvorteilhaft über das Gesicht liefen. Ich versuchte, mich mit ihm zu unterhalten, kam aber nicht weiter. Vielleicht war er taub, aber ich bin mir nicht sicher. Auf jeden Fall erschien er mir wie eine geisterhafte Version seines früheren Ichs, seine sprichwörtliche Hässlichkeit, seine Pfeife und seine unscheinbare Kleidung hingen um ihn herum wie Requisiten auf einer verlassenen Bühne.«

Gleich im nächsten Satz, als Kontrast, stellt Said sich selbst, dem dreißig Jahre jüngeren Recken, ein sehr viel besseres Zeugnis aus:

»Damals war ich in der palästinensischen Politik sehr aktiv: 1977 war ich Mitglied des Nationalrats geworden, und bei meinen häufigen Besuchen in Beirut (es war während des libanesischen Bürgerkriegs), um meine Mutter zu besuchen, sah ich regelmäßig Arafat und die meisten der damaligen Führer.«

Anders als Sartre war Edward Said in der Lage, ein Flugzeug zu besteigen und jenem Tyrannen, der Massenmorde wie das Küstenstraßenmassaker vom 11. März 1978 in Auftrag gab, die Hand zu schütteln. Und das auch noch »regelmäßig«.

»Kein Wort über Siedlerkolonialismus«

Im Wohnzimmer von Michel Foucault hingegen sei es darum gegangen, den Krieg zwischen Israel und den Arabern zu beenden: »Was wir heute ›Normalisierung‹ nennen«, so Said, sei »der wirkliche Gegenstand des Treffens« gewesen. Said muss übel geworden sein bei dem Gedanken.

Warum war er überhaupt nach Paris gereist? Transatlantikflüge kosteten damals ein Vermögen. Seine Absicht: »Ich hielt es für eine große Leistung, Sartre in einem so ›heißen‹ Moment unserer tödlichen Rivalität mit Israel zu einer pro-palästinensischen Erklärung zu überreden.« Said wollte also seine antiisraelischen Vorurteile bestätigt bekommen, aus dem Mund von Sartre, für die Presse.

»Sartre war mir die Mühe wert, weil ich seine Haltung zu Algerien nicht vergessen konnte, die für einen Franzosen schwieriger zu vertreten gewesen sein musste als eine kritische Haltung gegenüber Israel. Ich habe mich natürlich geirrt.«

Wie Arafat sah Said keinen Unterschied zwischen dem Staat Israel und dem französischen Kolonialismus in Algerien. Letzterer endete damit, dass alle Franzosen aus Algerien vertrieben wurden – und die algerischen Juden gleich mit. So ähnlich, dachte Said wohl, müsste man das in Palästina auch machen. Und war enttäuscht, dass Sartre nicht die letzten Jahre seines Lebens nutzte, um ihm beizupflichten. Was Sartre zu sagen hatte? Said erinnert sich:

»Und tatsächlich hatte Sartre etwas für uns: einen vorbereiteten Text von etwa zwei getippten Seiten, der – ich schreibe ganz auf der Grundlage einer zwanzig Jahre alten Erinnerung an den Moment – den Mut von Anwar Sadat in den banalsten Plattitüden lobte, die man sich vorstellen kann. Ich kann mich nicht erinnern, dass viele Worte über die Palästinenser, über das Territorium oder über die tragische Vergangenheit verloren wurden. Sicherlich wurde kein Wort über den israelischen Siedlerkolonialismus verloren, der in vielerlei Hinsicht der französischen Praxis in Algerien ähnelt.«

Said war sauer, dass Sartre kein Israelhasser war wie er selbst: »Aus Gründen, die wir bis heute nicht mit Sicherheit kennen, blieb Sartre in der Tat in seinem grundlegenden Pro-Zionismus konstant.« Said war das ein Rätsel. »Ich weiß nur, dass er als sehr alter Mann ziemlich genau so schien wie in jungen Jahren: eine bittere Enttäuschung für jeden (nicht-algerischen) Araber, der ihn bewunderte.«

Es ist ironisch, dass Said in seinem Aufsatz gleich zweimal über Menschen sagt, sie seien patronizing gewesen, was mit »herablassend«, »bevormundend« oder »gönnerhaft« zu übersetzen ist. Einmal münzt er das Wort auf Simone de Beauvoir und die amerikanische Feministin Kate Millett, weil diese aus Anlass des Weltfrauentags am 8. März 1979 nach Teheran reisten, um dort für Frauenrechte zu demonstrieren. Für Edward Said eine Schnapsidee: »Herablassend (patronizing) und albern.«

Ein anderes Mal in seinem Text nennt Said es patronizing, dass der Philosoph Bernard-Henry Lévy nach Sartres Tod in einer Schrift, von der Said sagt, dass er sie »nicht gelesen« habe und »auch nicht vorhabe, sie zu lesen«, Sartres Werk lobte. Das also war patronizing. Sartre in den Dreck zu ziehen, weil er nicht genauso tickte wie er selbst, fand Said hingegen normal. Schließlich diente alles ja der palästinensischen Sache, einschließlich der herabwürdigenden Bemerkungen über das Erscheinungsbild des schwerkranken und – wie Said beim Verfassen seines Aufsatzes ja nunmehr wusste – sterbenden Mannes.

Edward Said trat Sartre, den er angeblich einmal bewundert hatte, zwanzig Jahre nach dessen Tod genüsslich in den Dreck, aus dem einzigen Grund, dass es ihm, Said, nicht gelungen war, Sartre »zu einer pro-palästinensischen Erklärung zu überreden«. Sartre war, was Israel betraf, anderer Meinung, weshalb Edward Said nur noch blanken Hass verspürte. »Kleinkariert« ist hier nicht der passende Begriff. Es ist Fanatismus.

Der Elefant der Professoren

Edward Saids Text Meine Begegnung mit Sartre könnte eine Blaupause sein für die Erklärung The Elephant in the Room. Seit Monaten protestieren in Israel Zehntausende gegen das, was sie als Schwächung oder Aufhebung der Gewaltenteilung betrachten. Sie wenden sich dagegen, dass die Politik die Möglichkeit erhalten soll, Höchstrichter zu ernennen; dagegen, dass die Regierung sich unter bestimmten Bedingungen über Entscheidungen des Obersten Gerichtshofs hinwegsetzen können soll und gegen die Abschaffung der »Angemessenheitsbegründung«, die dem Obersten Gerichtshof die Möglichkeit gibt, auf der Basis von subjektiven Werten eine Maßnahme wegen »extremer Unangemessenheit« zu verbieten. 

Alles Pillepalle, sagen die Unterzeichner des offenen Briefs. Wo bleibt die pro-palästinensische (sprich: antiisraelische) Erklärung, auf die es doch allein ankomme, weil es auf der ganzen Welt doch nichts Wichtigeres gebe, als Israel täglich bei jeder (!) Gelegenheit an den Pranger zu stellen? Die Unterzeichner stellen sich vor als »Akademiker, Geistliche und andere öffentliche Personen aus Israel/Palästina und dem Ausland«. Vorgeblich tun sie so, als würden sie die israelische Protestbewegung gegen die Justizreform unterstützen. Gleichzeitig erheben sie extreme Forderungen, die auf die Abschaffung des jüdischen Staates zielen.

Die Karikatur

Ganz oben in dem Dokument sieht der Betrachter eine Karikatur mit der Überschrift »Juden kämpfen für Gerechtigkeit«. Sie zeigt einen im Vergleich zum Rest des Bildes riesigen Elefanten, auf dem »Israelische Besatzung« steht. In einer Sprechblase stehen die Worte »Lasst ihn uns einfach ignorieren!« Um den Elefanten herum gruppiert sind Figuren, die Schilder in die Höhe halten:

  • Black Lives Matter: Diese Parole, die dreimal auftaucht, steht offenbar für den Einsatz von Juden gegen Rassismus.
  • Gun Control: Diese Parole, die zweimal auftaucht, steht offenbar für den Einsatz von (amerikanischen) Juden für schärfere Waffengesetze.
  • Go Green!: Diese Parole, die zweimal auftaucht, steht offenbar für den Einsatz von Juden für Umweltschutz.
  • Pride!: Die Parole steht offenbar für LGBTQ, Tel Aviv Pride und das Engagement für Angehörige sexueller Minderheiten.

Die Pride!-Parole taucht in der Grafik nicht weniger als 17-mal (!) auf. Mehr als doppelt so oft wie die drei anderen zusammen.

Die Tel Aviv Pride fand im Juni statt. Die FAZ berichtete: »Meeresbrise, Regenbogenflaggen und ausgelassene Stimmung: In Tel Aviv setzen rund 150.000 Menschen inmitten innenpolitischer Spannungen ein leuchtendes Zeichen für LGBTQ-Rechte.« Das muss die Unterzeichner ziemlich auf die Palme gebracht haben. Anders ist es kaum zu erklären, dass sie eine solch gehässige Karikatur in die Welt setzen. Die Botschaft ist klar: Schwule, lesbische und queere Israelis haben nur ihre eigenen Interessen im Kopf, statt jene politischen Erklärungen abzugeben, welche die Unterzeichner meinen, billigerweise von ihnen erwarten und fordern zu können.

Der Text

Im begleitenden Text heißt es:

»Wir, Akademiker, Geistliche und andere Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens aus Israel/Palästina und dem Ausland, machen auf den direkten Zusammenhang zwischen Israels jüngstem Angriff auf die Justiz und seiner illegalen Besetzung von Millionen Palästinensern in den besetzten palästinensischen Gebieten aufmerksam.«

Worin mag der »direkte Zusammenhang« bestehen? Die Behauptung dient der Rechtfertigung des Manifests: Irgendetwas muss das eine schließlich mit dem anderen zu tun haben. Hat denn nicht immer alles mit allem zu tun?

»Dem palästinensischen Volk fehlen fast alle Grundrechte, einschließlich des Wahl- und Protestrechts. Sie sind ständiger Gewalt ausgesetzt: Allein in diesem Jahr haben israelische Streitkräfte über 190 Palästinenser im Westjordanland und im Gazastreifen getötet.«

Es werden unbelegte Behauptungen aneinandergereiht und suggeriert, die israelischen Streitkräfte wären darauf aus, Palästinenser zu töten. Feuergefechte mit Terroristen? Mehr als zweitausend palästinensische Terroranschläge (nach Angaben der israelischen Behörden) innerhalb der letzten zwölf Monate? Davon haben die Professoren nichts gehört. Sie verlieren kein Wort darüber, dass Dschenin und Nablus zu Hochburgen der Terroristen geworden sind, wo die Palästinensische Autonomiebehörde keine Kontrolle mehr ausübt. Kein Wort darüber, dass Terrorgruppen wie die Hamas und der Palästinensische Islamische Dschihad jedem Palästinenser, der bereit ist, Israelis anzugreifen, mit hohen Geldbeträgen locken.Kein Wort natürlich auch über die Proteste gegen die Hamas im Gazastreifen oder über die im Libanon getöteten Palästinenser.

Dschihadisten sollen das Recht haben, Israelis zu töten, aber Israel wird kein Recht zugestanden, dies zu verhindern.

Forderung nach Strafe

Die Unterzeichner erheben Forderungen. Die radikalste ist die nach einer »Gleichstellung von Juden und Palästinensern innerhalb der Grünen Linie und in den besetzten palästinensischen Gebieten«. Das bedeutet nichts anderes, als dass Israel die Gebiete annektieren und alle Palästinenser zu israelischen Staatsbürgern machen soll. Welches Gezeter würde es vonseiten der Unterschriftsteller geben, täte Israel dies wirklich?

Weiters fordern die Professoren, dass nicht näher bezeichnete »Menschenrechtsorganisationen« dabei »unterstützt« (?) werden sollten, »Informationen über die gelebte Wirklichkeit der Besatzung und Apartheid« zu sammeln. Vager geht es nicht.

Eine andere Forderung lautet, dass Israel »bei den UN und anderen internationalen Organisationen« bestraft werden müsse (wörtlich: »Ende der Straffreiheit«) und es im Geschichtsunterricht an israelischen Schulen eine »ehrlichere Darstellung seiner Gegenwart und Vergangenheit« lehren müsse. Was das heißen soll, wird nicht erklärt. Obwohl der Inhalt sich also im Ätherischen verliert, ist für jeden Leser klar, worauf es ankommt: Palästinenser gut, Israelis schlecht.

»Dieselben internationalen Medien, die in den letzten achtzehn Monaten wie besessen über Israels Antiterroroperationen im Westjordanland berichtet haben, haben das brutale Vorgehen der Hamas gegen friedliche Demonstranten und Journalisten im Gazastreifen völlig ignoriert«, schreibt der palästinensische Journalist Bassam Tawil in einem aktuellen Beitrag.

Das Gleiche, so Tawil, gelte »für die blutigen Zusammenstöße im Flüchtlingslager im Libanon, wo mehr als zweitausend Palästinenser infolge der Kämpfe vertrieben worden sind. Wenn Palästinenser Palästinenser verprügeln oder töten, schauen die internationalen Medien weg. Die Stimmen der Anti-Israel-Aktivisten auf der ganzen Welt, die Israel regelmäßig dafür verurteilen, dass es sich gegen den palästinensischen Terrorismus verteidigt, sind verstummt, wenn es wirklich um den Schutz der Palästinenser geht.

Die Aktivisten, die sich selbst als ›pro-palästinensisch‹ bezeichnen, kümmern sich nicht wirklich um die Palästinenser, vor allem nicht um die, die im Gazastreifen und in den Flüchtlingslagern des Libanon leben.« Tawils Fazit:

»Wenn man Israel nicht beschuldigen kann, interessiert sich die Welt nicht dafür. Das Schweigen zeigt, dass die ›pro-palästinensischen‹ Botschaften nur verkleideter Antisemitismus sind. Die angebliche Not der ›pro-palästinensischen‹ Einzelpersonen und Interessengruppen hat nichts mit echter Sorge um die Palästinenser zu tun – und alles mit rassistischem Hass auf Juden.«

Bassam Tawil trifft den Nagel auf den Kopf – und das gilt auch im Hinblick auf die Unterstützer von The Elephant in the Room, die behaupten, dass jegliche politische Aktion oder Stellungnahme nutzlos, wenn nicht gar schädlich sei, wenn es nicht gegen Israel geht. Wer sich öffentlich äußert, sei es als Bürgerrechtler oder Umweltschützer, muss Partei gegen Israel ergreifen.

»Wer A gesagt hat, muss auch B sagen«

Laut Hannah Arendt gehört es zu den »psychologischen Symptomen« des »radikal Bösen«, die »letzten Folgerungen aus den einmal angenommenen Prämissen [zu] ziehen und die Anderen mit dem Argument: Wer A gesagt hat, muss auch B sagen, bei der Stange [zu] halten.« (Denktagebuch, September 1951).

Das ist das, was die Unterstützer von The Elephant in the Room tun. Sie wenden sich an Juden, die gegen die Justizreform demonstrieren als auch an solche, die sich für Angehörige sexueller Minderheiten, die Umwelt oder andere Anliegen einsetzen, und sagen ihnen: Wer A gesagt hat, muss auch B sagen.

Die Unterzeichner glauben, eine neue Masche gefunden zu haben, dabei ist es ein Neuaufguss von Edward Said. Und dieser stützte sich auf Sowjetpropaganda, die über Jahrzehnte alles getan hatte, um auf der internationalen Bühne die Vorstellung durchzusetzen, dass Zionismus eine Form des Rassismus und Kolonialismus sei, nicht weniger schlimm als das Apartheidregime Südafrikas.

Die PEPer-Szene

Der Neuaufguss dieser Propaganda ist einer unter vielen. Seit Jahren gibt es in den USA Linke, die auf andere Linke schimpfen, weil diese sich erdreisten, Sympathien für Israel zum Ausdruck zu bringen. Sie schimpfen etwa auf Ritchie Torres, den New Yorker Abgeordneten des Repräsentantenhauses. Bei einem Auftritt auf einer Internetkonferenz der Organisation Americans for Justice in Palestine (einer Unterorganisation der antiisraelischen Lobbyorganisation American Muslims for Palestine) sagte die für ihre antiisraelischen Tiraden bekannte Abgeordnete Rashida Tlaib letztes Jahr:

»Ich möchte, dass Sie wissen, es ist unter Progressiven Konsens, dass man nicht behaupten kann, fortschrittliche Werte zu vertreten, wenn man gleichzeitig die israelische Apartheidregierung unterstützt. Wir werden weiterhin darauf drängen und nicht akzeptieren, dass jemand in allen Belangen progressiv ist – außer, wenn es um Palästina geht.«

Wer A sagt, muss auch B sagen. Man darf alles sagen, sofern es sich gegen Israel richtet. Ritchie Torres antwortete:

»Die Vorstellung, dass man nicht sowohl progressiv als auch pro-israelisch sein kann, ist eine bösartige Lüge, denn ich bin die Verkörperung eines pro-israelischen Progressiven. Ich komme aus der Bronx, bin Afro-Latino, Puertoricaner und ein Millenial – aber ich bin auch pro-Israel.«

Die linke Sekte, die anderen Linken das Linkssein abspricht, wenn diese nicht stramm antiisraelisch sind, hat einen Kampfbegriff etabliert, mit dem sie ihre Feinde belegt. Er lautet Progressive except Palestine, (»progressiv, außer bei Palästina«), kurz: PEP.

Im Mai 2022 erschien ein Buch mit dem Titel Except for Palestine. The Limits of Progressive Politics dazu. Einer der beiden Autoren, Marc Lamont Hill, ist auf Mena-Watch kein Unbekannter. Der Professor für Medienwissenschaften an der Temple University hatte 2018 bei einer Veranstaltung der Vereinten Nationen in New York zum bewaffneten Kampf zur »Befreiung Palästinas vom Fluss bis zum Meer« aufgerufen. Hill verteidigte die lange Geschichte von Morden, die von palästinensischen Terroristen im Namen ihrer Sache gegen unschuldige Zivilisten – Israelis und Nicht-Israelis – verübt wurden, und bezeichnete diese Gewalt als »Widerstand«.

Hätte man nie ein Wort von Hill gehört, würde es ausreichen, über ihn zu wissen, dass er den seit Langem einflussreichsten und gefährlichsten Antisemiten der USA, den Hitler-Verehrer Louis Farrakhan (»die satanischen, mächtigen Juden sind meine Feinde«), als seinen »Bruder« bezeichnet. Die akademische PEPer-Szene ist schillernd.

Der Götze

Die Professoren, die das Dokument unterzeichnet haben, merken nicht, welch ein Bild sie abgeben, wenn sie von den Gegnern der israelischen Justizreform oder von jüdischen Unterstützern sozialer Bewegungen verlangen, sie hätten sich ihren antiisraelischen Glaubenssätzen unterzuordnen – weil sie anderenfalls keine »echten« Progressiven seien. Der »Elefant im Raum« ist nichts anderes als ein Götze, dessen Anbetung sie herrisch einfordern.

Ein Gedankenspiel: Was wäre, würden Teile der Bewegung gegen die Justizreform sich diesem Ansinnen anschließen? Das wäre das Ende der Protestbewegung. Es gäbe dann viele kleine, rivalisierende Gruppen, die miteinander stritten. Ob dies das Ziel des Manifests ist? Eine Stinkbombe in die israelische Protestbewegung werfen und sehen, was passiert? Es ist unwahrscheinlich, dass die Professoren so weit denken. Aber andererseits ist es ihnen dann wahrscheinlich auch wieder egal. Hauptsache, ihr Name steht wieder einmal unter einem weiteren Anti-Israel-Irgendwas.

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