Von Stefan Frank
Die Britin Jacqueline („Jackie“) Walker, die zeitweilig wegen ihres Antisemitismus aus der britischen Labourpartei ausgeschlossen wurde – sie hatte u.a. gesagt, „viele Juden“ seien „die Hauptfinanziers des Sklavenhandels“ gewesen und fälschlich behauptet, bei Großbritanniens Holocaust Memorial Day werde nicht der nichtjüdischen Opfer von Genoziden gedacht –, hält am 9. Februar auf Einladung der Partei Die Linke einen Vortrag in Berlin. Am 10. Februar wird sie dann an einer Anti-Israel-Konferenz teilnehmen und am folgenden Tag ihr Monodrama „The Lynching“ vortragen.
Dessen Thema, in Walkers eigenen Worten: „Wie kommt es, dass jemand, der ein so bekannter Antirassist ist wie Jeremy Corbyn, am Ende womöglich Rassist genannt wird.“ Schon aus dem Zwei-Minuten-Trailer geht allerdings hervor, dass es in erster Linie um Jacqueline Walker geht: Vor einem imaginären Gericht ist Walker „angeklagt“, eine „Rassistin“ zu sein. Ähnlich wie Norman Bates in dem Hitchcock-Film „Psycho“ spricht Walker mit ihrer toten Mutter und übernimmt dabei auch deren Part, indem sie sie sprachlich imitiert, nämlich mit einem offenbar karibischen Akzent spricht. Ihre Mutter soll ihre Anwältin sein und sagt Dinge wie: „Die, die Macht haben, wollen die Macht behalten und haben Angst vor Mr. Corbyn.“ Damit auch jeder im Publikum versteht, wer „die“ sind, „die die Macht haben“, erklärt Walker in einer Art Epilog: „Wir müssen die Freiheit haben, jegliche politische Ideologie zu kritisieren, die das Recht eines Volkes über das eines anderen stellt. Dazu gehört auch der Zionismus.“ An dieser Stelle klatscht im Trailer das Publikum: Endlich wagt es mal jemand, „die, die Macht haben“, zu kritisieren, der unerbittlichen zionistischen Zensur zum Trotz, die ihr diese Freiheit angeblich abspenstig machen will. Auch bei anderen Veranstaltungen gab es stehende Ovationen für die Judenschelte.
Der Judenhass in der britischen Labourpartei ist nicht nur ständiges Thema der britischen Presse – der konservativen wie der linken –, auch Mena Watch hat immer wieder darüber berichtet. Der Labour-Antisemitismus ist inzwischen eine Institution, die einen eigenen Wikipedia-Eintrag hat. Auch der Filmregisseur Ken Loach, ein bekanntes Labourmitglied, weiß nicht immer genau, ob der Holocaust wirklich stattgefunden hat.
Jacqueline Walker gehört der parteiinternen Organisation Momentum an, die sich für den Hisbollah- und Hamas-Unterstützer Jeremy Corbyn einsetzt. Walkers Äußerung über die Juden als angebliche „Hauptfinanziers“ des Sklavenhandels geht noch weiter: Sie hält diese angebliche Tatsache für den Grund dafür, dass es in der Karibik einige alte Synagogen gibt („… which is of course why there were so many early synagogues in the Caribbean“). Ohne Sklavenhandel hätte es also in der Karibik keine Synagogen und keine Juden gegeben – wo Juden sind, da sind sie Sklavenhalter. In Wahrheit flohen Juden in der frühen Neuzeit aus Spanien und anderen Ländern Westeuropas, weil sie von dort ausgewiesen und vertrieben wurden. Die meisten flohen in den Osten oder nach Nordafrika, einige aber auch in die Karibik, den damals bekannten Teil der neuen Welt. Es ist möglich, dass Walker nicht glauben mag, dass die karibischen Juden vor Verfolgung flohen – sie behauptet nämlich auch, nicht zu wissen, warum in der Gegenwart Großbritanniens jüdische Schulen besondere Sicherheitsvorkehrungen brauchen sollten. Und sie sagt: „Es gibt keine Antisemitismusdefinition, mit der ich arbeiten kann.“ Kein Antisemitismus, nirgends, zu keiner Zeit.
Antisemitische Geschichtsklitterung
Dass der amerikanische Sklavenhandel maßgeblich von Juden bestimmt gewesen sei, ist eine Idee, die in Büchern über die Vereinigten Staaten zu finden ist, die während des Dritten Reichs in Deutschland publiziert wurden. In der Gegenwart wird sie von Louis Farrakhan und seiner extremistischen Organisation Nation of Islam propagiert. Deren „historische Forschungsabteilung“ gab 1991 den ersten Band von „The Secret Relationship Between Blacks and Jews“ heraus, das die These von der wichtigen Rolle der Juden im Sklavenhandel belegen soll (Thema des zweiten, 2010 veröffentlichten Bandes war: „Wie die Juden die Kontrolle über die schwarz-amerikanische Wirtschaft erlangten“). Diese antisemitische Geschichtsklitterung schlug damals in den USA hohe Wellen. Sie veranlasste die Historiker Saul Friedman und Eli Faber dazu, eigene Forschungsarbeiten zu verfassen, in denen sie die Thesen der Nation of Islam widerlegten. Die amerikanische Historikervereinigung AHA verabschiedete im März 1995 eine Resolution, die von den beiden Professoren David Brion Davis (Yale) and Seymour Drescher (Pittsburgh), zwei führenden Historikern der Geschichte der Sklaverei, eingebracht wurde:
„Die AHA bedauert den Missbrauch der Geschichte, bei dem historische Fakten verfälscht werden, um eine einzelne rassische, ethnische oder religiöse Gruppe zu dämonisieren oder herabzusetzen. Die Vereinigung verurteilt darum jegliche Äußerung als falsch, die behauptet, Juden hätten bei der Ausbeutung von Sklavenarbeit oder im atlantischen Sklavenhandel eine überproportionale Rolle gespielt.“
Die Journalistin Batya Ungar-Sargon beschreibt in einem Beitrag für das Magazin Tablet, wie in dem von der Nation of Islam verbreiteten Buch – das mit hoher Wahrscheinlichkeit die Quelle ist, aus der Walker schöpft – argumentiert wird:
„Für den Autor ist die Tatsache, dass überhaupt Juden [am Sklavenhandel] beteiligt waren, gleichbedeutend mit dem Beweis, dass die ganze Industrie ohne jüdisches Geld und jüdische Händler zusammengebrochen wäre. So nennt der anonyme Autor etwa die Tatsache, dass die Juden Jamaikas 1774 310 Sklaven besaßen; was, so furchtbar dies ist, nur vier Prozent der Gesamtzahl der Sklaven Jamaikas zur damaligen Zeit waren (7.424). Eine Gesamtzahl von zwölf Juden besaß die Plantagen, und doch hält dies den Autor nicht von dem Schluss ab, Juden hätten den Handel dominiert.“
„Es gibt einfach keine Daten, die diese Ansicht belegen“, sagt Eli Farber, Autor des Buches „Jews, Slaves, and the Slave Trade: Setting the Record Straight“. „Juden waren beteiligt, aber in einem unbedeutenden Maß.“ Walker aber insistierte in einem Fernsehinterview darauf, „viele Juden“ seien es gewesen, sie spreche von Juden aus ihrer „eigenen Familie“ – Walker behauptet nämlich, Jüdin zu sein. (Laut einer im Guardian erschienenen Rezension von Walkers autobiografischem Buch „Pilgrim State“ hatte Walkers aus der Karibik stammende Mutter „eine Affäre mit einem reichen jüdischen Mann, die zur Geburt von Jackie führte“).
Wenn es stimmen würde, dass Walker ihre Familiengeschichte dreihundert Jahre zurückverfolgen kann und weiß, dass Vorfahren von ihr jüdische Sklavenhändler waren, dann müsste sie auch deren Namen nennen können; dass sie das nicht tut, nährt den Verdacht, dass sie die ganze Familiengeschichte erfunden hat. Dabei scheint sie weitere Fakten durcheinandergebracht zu haben. Mit ihren „Vorfahren“ meint sie ja solche in der Karibik. Die „Hauptfinanziers“ des Sklavenhandels, von denen sie spricht, saßen aber in Europa.
In dem Standardwerk zur Geschichte des Sklavenhandels, „The Slave Trade: The Story of the Atlantic Slave Trade: 1440-1870“ schreibt der britische Historiker Hugh Thomas: „Wenn man an jüdischer Geschichte interessiert ist, kann man auch Mr. Farrakhans Anschuldigung erforschen, Juden hätten den Handel mit afrikanischen Sklaven dominiert. Man würde aber Schwierigkeiten haben, im angelsächsischen Handel mehr als ein oder zwei jüdische Sklavenhändler zu finden (Aaron Lopez und sein Schwiegervater, Jacob Rodrigues Ribera aus Newport, Rhode Island, sind die einzigen beiden mir bekannten).“
Nach diesem notwendigen historischen Exkurs ist die Frage fällig, was jemanden, von dem man annehmen sollte, dass er sich mit gegenwärtigen gesellschaftlichen Problemen befasst – Walker nennt sich „Anti-Rassismus-Aktivistin“ –, motiviert, Behauptungen über etwas aufzustellen, was Juden vor Jahrhunderten getan haben sollen. Was veranlasst eine Person, die im Licht der Öffentlichkeit steht und mit ihren Äußerungen das Weltbild ihrer Anhänger beeinflusst, dazu, darüber zu sprechen, dass es in dem riesigen Unternehmen des Sklavenhandels Juden gab (die nichtjüdischen Sklavenhändler interessieren Walker überhaupt nicht) und deren Rolle auch noch entgegen der historischen Forschung mit Formulierungen wie „viele Juden“ und „Hauptfinanziers“ zu verzerren und zu überhöhen? – Dazu muss man ein Weltbild haben, das darauf basiert, dass die Juden zu allen Zeiten die Drahtzieher alles Bösen seien, das personifizierte Unrecht.
Tatsächlich fügt sich die Äußerung in ein Gesamtbild: Walker ist besessen von der Idee einer jüdischen Verschwörung, die sich auch den Holocaust für ihre Zwecke zunutze mache. Sie hält den, wie sie sagt, „jüdischen Holocaust“ für einen von vielen „Holocausts“. „Der Holocaust ist nicht die Domäne der Juden“, schrieb sie auf Facebook. Die Juden hätten das Recht, ihn zu „feiern“ (das Wort benutzt sie in diesem Interview zweimal, während die Moderatorin von „gedenken“ sprach); doch glaubt sie, betonen zu müssen: „Der jüdische Holocaust gibt Zionisten nicht das Recht, zu tun, was sie wollen.“
„Einer Antisemitin keine Bühne bieten“
Über Jacqueline Walkers Bühnenstück „The Lynching“ sprach Mena Watch mit Jonathan Hoffman, einem in London ansässigen Aktivisten gegen Antisemitismus, ehemaligen stellvertretenden Vorsitzenden der Zionist Federation und Mitarbeiter der Defence Division des Board of Deputies of British Jews, der seit über 250 Jahren existierenden Interessenvertretung der britischen Juden. Er hat „The Lynching“ bei einer Aufführung in der SOAS (School of Oriental and African Studies) University in London gesehen. „Das Stück beleidigt das jüdische Volk“, sagt er. „Es enthält etwa die Behauptung, Juden würden Kritik an Israel unterdrücken, indem sie sie als ‚antisemitisch’ bezeichneten. Das ist eine beleidigende und bekannte Lüge, bekannt als die ‚Livingstone-Formulierung’.“
Zur Erklärung: Es handelt um eine auf Ken Livingstone, den früheren Londoner Bürgermeister, zurückgehende rhetorische Taktik. Als Livingstone Kritik erntete, nachdem er einem jüdischen Reporter gesagt hatte, dieser benehme sich „wie ein deutscher Kriegsverbrecher“, wies er diese Kritik zurück, indem er sagte, er habe sich lediglich „kritisch gegenüber der Politik der israelischen Regierung“ geäußert. Auf einer Anti-Israel-Website, auf der Walkers Berlin-Reise beworben wird, wird die Livingstone-Formulierung ebenfalls benutzt. Zu der Kritik an Walkers Äußerungen über jüdische Sklavenhändler usw. heißt es dort: „In Wahrheit argumentiert sie, dass die Palästinenser in Israel gleiche Rechte verdienen.“
Hoffman prangert an, dass Walker in „The Lynching“ den Zionismus als eine „Ideologie“ bezeichnet, „die das Recht eines Volkes über das eines anderen stellt.“ „Beim Zionismus geht es um jüdische Selbstbestimmung. Er stellt nicht ‚das Recht eines Volkes über das eines anderen’“, sagt Hoffman. Besonders empörend findet er etwas, das Walker in der auf die Aufführung folgenden Diskussion gesagt habe. Er zitiert Walker mit den Worten:
„Jene Leute, die im Jewish Chronicle schreiben, die das Mobbing betreiben, jene Leute sind nicht die Freunde der Linken, sie sind das, was ich Protofaschisten nenne. … Eine Sache weiß ich: dieselben Leute, die jüdische Essentialisten sind, sind dieselbe Sorte von Menschen, die weiße Nationalisten sind – sie sind alle unser Feind.“
Das Board of Deputies of British Jews schrieb seinerzeit an den Gastgeber des Edinburgh Festival, wo „The Lynching“ ebenfalls aufgeführt wurde, um dagegen zu protestieren. „Keine respektable politische Partei in Deutschland sollte einer Antisemitin eine Bühne bieten“, so Hoffman.