Im syrischen Kurdengebiet inszenierten Assad-Getreue eine Konfrontation mit US-Soldaten. Das Drehbuch für derartige Propaganda ist altbekannt.
Während sich in Idlib, im Nordwesten Syriens, ein Drama mit mittlerweile über 800.000 Flüchtlingen abspielt, hat am 12. Februar auch eine Meldung aus dem syrisch-kurdischen Nordosten für etwas Aufmerksamkeit gesorgt. Es ging um ein lokales Ereignis, bei dem vermutlich ein Mensch zu Tode kam, aber es lenkte den Blick wieder kurz auf eine Region Syriens, in der auch genügend Konfliktstoff angesammelt hat – wie immer sich die Lage in Idlib entwickeln wird, es spricht viel dafür, dass hier im kurdischen Teil Syriens das nächste Kapitel in diesem Krieg geschrieben wird.
Was bei dem Dorf Khirbet Amo in der Nähe der Stadt Qamishli geschehen ist, ist in den Grundzügen deutlich, wobei viele Details unklar sind, aber sie sind für die Sache selbst nicht entscheidend, sondern höchstens für die mediale Ausgestaltung. Wie aber so ein Vorfall im Nahen Osten inszeniert und genutzt wird, lässt sich mit dem vorhandenen Material anschaulich demonstrieren.
Eine US-Patrouille in Qamishli
Qamishli an der syrisch-türkischen Grenze ist die zentrale Stadt für die kurdische Regierung des Nordostens. Ein kleiner Teil der Stadt, der Flughafen und etwas Hinterland mit primär arabischen Dörfern, ist als Enklave immer in der Hand Assads geblieben. Mittlerweile haben die Russen dort eine Basis und nutzen den Flughafen. Eine Patrouille der Amerikaner mit mehreren gepanzerten Flugzeugen wurde nun an einem Checkpoint der Assad-Armee am Rande dieses Gebietes an der Weiterfahrt gehindert. Die Fahrzeuge wurden von einer Menschenmenge mit Steinen beworfen, schließlich wurde mit Kalaschnikows auf die Fahrzeuge geschossen, die Amerikaner schossen zurück und es gab mutmaßlich einen toten Syrer. Russisches Militär war auch anwesend, verhandelte mit den blockierten Amerikanern, und die Situation löste sich nach einer Weile ohne weitere Konfrontation auf. Der Neuigkeitswert ist offensichtlich: US-Soldaten in einer bewaffneten Auseinandersetzung mit Assads Kämpfern.
Nun existieren von den Ereignissen mehrere Filmaufnahmen, die von der offiziellen syrischen Nachrichtenagentur und Assad-Propagandisten umgehend und eifrig verbreitet wurden. Ganz unvorbereitet war man vielleicht nicht. Die Meldungen des Regimes wurden zur Grundlage der Berichterstattung, daneben gab es auch kurdische Beobachter und eine Stellungnahme der Amerikaner.
Die Bandbreite der unterschiedlich berichteten Details ist beachtlich: Öfters ist die Rede von einem getöteten 14jährigen Jungen, mal sind es mehrere, Sputnik kennt gar einen getöteten Zehnjährigen mit Namen, für die Amerikaner ist der Getötete dem Augenschein nach in seinen Zwanzigern gewesen und Kämpfer. Es ist nicht klar, wer zuerst geschossen hat – das vom Regime verbreitete Video weist an der Stelle einen Schnitt auf. Und noch einige andere Fragen bleiben unbeantwortet: Gab es vorher oder nachher Bombenangriffe der Amerikaner in der umliegenden Gegend? Oder ist nur der Überschallknall von Tieffliegern zur Abschreckung zu hören? Wann genau kommen die Russen ins Spiel?
Der alte Nahe Osten im Bild
Die Filmaufnahmen zeigen einige interessante Details, das Setting ist guter alter Naher Osten: Da sind die „Demonstranten“, die die amerikanische Patrouille mit Steinen und mit mindestens einem Molotov Cocktail bewerfen. Praktisch ausnahmslos männliche Jugendliche, das Kanonenfutter nahöstlicher Protestinszenierungen, ob in Gaza oder eben in Quamishli. Sie sind unumgänglich, will man die authentische Sprache der „arabischen Straße“ inszenieren.
Weitere Aufnahmen zeigen amerikanische Fahrzeuge vor der Eskalation. Sie haben angehalten, zum Teil sind die Amerikaner ausgestiegen und sie werden von aufgebrachten Assad-Loyalisten umringt. Die Amerikaner verhalten sich sehr ruhig und offensichtlich deeskalierend. Das zeigen praktisch alle von Regimeseite veröffentlichten Aufnahmen, wenn man sie denn genau betrachtet.
Dasselbe kann man von den Männern mit Kalaschnikows nicht sagen, die dann später Salven in Richtung der amerikanischen Fahrzeuge abgeben, mehr oder minder ungezielt, während die jugendlichen Steinewerfer Deckung suchen oder noch durchs Bild rennen. Assads Fußvolk hat in den Augen ihres Herren keinen Wert. Aber das kennt man ja von den Regimen des alten Nahen Ostens. Hinter den Schützen steht auf der anderen Straßenseite ein russisches Militärfahrzeug mit ausgestiegenen Soldaten.
„Zivilisten“, wie die Propaganda des Regimes behauptet, sind die Männer mit den Kalaschnikows ganz bestimmt nicht; das ist nicht der Jemen, wo die Kalaschnikow tatsächlich in Teilen des Landes zur Grundausstattung männlicher Spaziergänger gehört. Es wird sich, wie von unabhängigen Nachrichtenagenturen und Beobachtern auch klar formuliert, um Angehörige einer Assad-Miliz handeln (vermutlich die National Defence Forces).
Bestellter Jubel für den Diktator und seine russischen Unterstützer
Ein weiteres Video von dem Tag, das ebenfalls von Assad-Propagandisten selbst verbreitet wurde, zeigt einen russischen Soldaten, der einer lokalen Respektperson erklärt, was er für die vielen Kameras drumherum gerne hören möchte: „Etwas lauter und alle zusammen“. Und dann brüllen sie los, die ganzen Jugendlichen und recken fröhlich die Fäuste und eine Kalaschnikow: Tod Amerika! Und ein Lobgesang auf Assad.
Der ältere Funktionär, der den Vorsänger für die Jugendlichen gibt, ist als Typus wirklich notorisch für den alten Nahen Osten: Dienstbeflissen folgt er in seinem schlecht sitzenden Anzug dem Auftrag des Russen. So wie er sein ganzes Leben damit zugebracht haben wird, fleißig Parolen zu brüllen und sein Leben Assad zu weihen.
Ein weiteres Video zeigt den russischen Medientross, für den eine Gruppe arabischer Honoratioren ein Hohelied auf Russland anstimmen muss. Um solche schlechten Inszenierungen, die seit Jahrzehnten Tradition und Folklore im Nahen Osten sind, für authentisch zu halten, muss man wohl aus dem Westen kommen und etwas darin wiederfinden, was einen ganz tief anspricht.
Medien kaufen die Meldung ab
Der Erfolg des kleinen Pro-Assad-Propagandastücks war jedenfalls beachtlich: Unter Berufung auf syrische Staatsmedien ging die Meldung von der Auseinandersetzung zwischen US-Soldaten und syrischen „Zivilisten“ durch die internationalen Medien. In der Regel aber inklusive des Hinweises, dass es sich wohl um Milizionäre gehandelt habe.
So brav wie die Online-Meldung der FAZ hat aber jenseits des Assad-Lagers und russischer Qualitätsmedien wohl keiner die Nachricht weitergegeben. In der Schlagzeile wurde die Propagandabotschaft direkt übernommen: „Amerikanische Truppen töten Zivilisten“. Die Quelle wird dabei keineswegs verschwiegen, was die Sache aber nur umso bizarrer macht: „nach Angaben syrischer Staatsmedien“. Syrische Staatsmedien haben den Auftrag, Propaganda zu produzieren – kein Mensch in Syrien oder anderswo im Nahen Osten käme auf den Gedanken, ihr Daseinszweck sei es, objektiv Nachrichten zu verbreiten.
Das Propagandabild, dass das Regime Assads und die Russen vermitteln wollen, ist klar: Die Amerikaner treffen als Besatzungsmacht auf den Widerstand patriotischer syrischer Zivilisten, und werden am Ende gezwungen sein, abzuziehen. Die Russen sind im Gegensatz dazu bei der Bevölkerung beliebt – sie sind ja auch auf „Einladung“ der Regierung da.
Das ist alles so offensichtlich falsch, wie solche Erzählungen altbekannt sind. Zumal die syrischen Kurden möchten alles andere als den Abzug der Amerikaner, der würde sie nämlich auf Gedeih und Verderb dem Regime in Damaskus ausliefern, während die Popularität der Russen sich strikt auf Parteigänger Assads beschränkt – schließlich säße der syrische Präsident ohne die russische Unterstützung nicht mehr in seinem Palast in Damaskus.
Der Hintergrund – auch für weitere Vorfälle
Hinter dem Vorfall bei Qamishli dürfte aber mehr stecken als bloß eine zufällige Konfrontation. Trumps letztjährige Ankündigung, die US-Truppen ganz aus Syrien abzuziehen, hat die verbliebenen amerikanischen Truppen in eine prekären Lage gebracht: Während ihre Zahl auf 500 Soldaten geschrumpft und ein Teil der Basen und Außenposten aufgegeben worden ist, hat sich die Zahl der russischen und regimetreuen Soldaten in der Region massiv erhöht.
Charles R. Lister vom Middle East Institute hat darauf hingewiesen, dass eine konstante, niederschwellige Kampagne der Russen und ihrer lokalen Verbündeten im syrischen Nordosten, bei der rote Linien der Amerikaner konsequent verwischt werden, die US-Präsenz überhaupt in Frage stellen könnte. Die Konfliktsituationen haben sich in der letzten Zeit gehäuft, dabei sind es gerade Patrouillenfahrten, mit denen Machtansprüche demonstriert und abgeblockt werden.
Russische Patrouillen versuchen von ihrer Basis in Qamishli aus, in das wichtige Ölfördergebiet von Rumeilan vorzustoßen, wo sie von den Amerikanern jüngst an der Weiterfahrt gehindert wurden. Umgekehrt blockiert die Regimeenklave rund um den Flugplatz von Qamishli eine zentrale Verkehrsverbindung und muss, wenn man nicht einen Assad-Checkpoint passieren will oder kann, aufwendig umfahren werden.
Es ist genau diese Gegend, in der die Amerikaner wiederum demonstrativ ein Durchfahrtsrecht beanspruchen. In ihrer Lesart sind die Checkpoints des Regimes hier quasi widerrechtlich, weil die Region von den Kurden kontrolliert wird. Solche lokal unübersichtlichen Gemengelagen bieten vielerlei Möglichkeiten für Provokationen und Nadelstiche, und die Amerikaner sind hier allein schon aufgrund ihrer geringen Zahl angreifbar geworden.
Ein Foto von dem Vorfall in Qamishli zeigt das symbolisch: Fahrzeuge mit US-Flaggen stehen wild gemischt mit beflaggten russischen Fahrzeugen rund um einen Mast mit der Regimefahne. Vorfälle wie in Qamishli werden sich in den nächsten Monaten womöglich häufen. So wird im Nahen Osten Politik gemacht.