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Warum die Hisbollah für Putin keine Terrororganisation ist

Der russische Botschafter im Libanon Alexander Zasypkin, Hisbollah-Chef Hassan-Nasrallah
Der russische Botschafter im Libanon Alexander Zasypkin, Hisbollah-Chef Hassan-Nasrallah (Quelle: lebanon.mid.ru, (© Imago Images / Xinhua)

Die Hisbollah sei keine Terrororganisation, sondern bekämpfe vielmehr den Terrorismus – das sagte Alexander Zasypkin, der russische Botschafter im Libanon in einem Interview mit dem libanesischen Fernsehsender OTV.

Das am 18. Mai auf Arabisch geführte Gespräch ist von der amerikanischen Medienbeobachtungsstelle MEMRI mit englischen Untertiteln versehen worden. In einem einminütigen Clip, der Ausschnitte aus dem Interview enthält, sagt Zasypkin:

„Was die Hisbollah betrifft, betrachten wir sie in gar keiner Weise als Terrororganisation. Im Gegenteil, es ist eine Organisation, die den Terrorismus bekämpft. Das ist alles. Mehr gibt es dazu nicht zu sagen. Darum sind alle von den Amerikanern oder der Arabischen Liga getroffenen Entscheidungen nach unserer Sicht falsch und wir widersetzen uns ihnen. […] Darum verurteilen wir die amerikanischen Sanktionen.“

Russland unterhält zur Hisbollah offizielle Beziehungen. Im Dezember 2014 traf der stellvertretende russische Außenminister Mikhail Bogdanov Hisbollahführer Hassan Nasrallah in Moskau; an der Unterredung nahm auch Zasypkin teil.

In den folgenden Jahren kooperierten Russland und die Hisbollah im syrischen Bürgerkrieg. Russland stellte die Luftwaffe, die Hisbollah die Bodentruppen. „Ohne ihre Luftwaffe können wir nicht vorrücken, und sie könnten uns keine Luftunterstützung geben, ohne unsere Informationen vom Boden“, zitierte der amerikanische Blog Daily Beast im April 2017 einen Hisbollahkommandanten, der sich „Kommandant Bakr“ nannte. Ein Ausbilder der Hisbollah namens „Assir“ sagte derselben Website, die Russen seien „mehr und mehr von der Hisbollah beeindruckt“ und verließen sich „lieber auf sie als auf die syrische Armee“, wenn es darum gehe, russische Waffenlager zu bewachen.

Die Hisbollah habe zudem Zugriff auf die russischen Waffen. Tatsächlich präsentierte die Hisbollah bei einer Parade in Qusayr in der syrischen Provinz Homs im November 2016 russische Panzer, Haubitzen und anderes schwere Militärgerät.

Gemeinsames Interesse

In Syrien fanden Moskau und die Hisbollah ein gemeinsames Interesse bei der Unterstützung des Diktators Baschar al-Assad gegen zumeist sunnitische Aufständische. Für die Hisbollah ist Assad der Garant dafür, dass das Land Rückzugsraum und Versorgungslinie bleibt. Für Russland ist Syrien seit Sowjetzeiten der wichtigste Verbündete im Nahen Osten.

Im Vorfeld des Jom-Kippur-Kriegs gegen Israel im Oktober 1973 versorgte die Sowjetunion Syrien (wie auch Ägypten) mit modernen Waffen. Zur selben Zeit eröffnete die Sowjetunion in der syrischen Mittelmeerstadt Tartus eine Marinebasis – die einzige im Mittelmeer, wo russische Schiffe auftanken können. Sie existiert noch heute und ist der letzte verbliebene russische Militärstützpunkt im Ausland.

Die syrisch-sowjetischen Beziehungen wurden durch den von Hafiz Assad – dem Vater des derzeitigen Präsidenten – im Oktober 1980 in Moskau unterzeichneten Vertrag über Freundschaft und Zusammenarbeit erweitert. Der syrische Verteidigungsminister Mustafa Tlass drohte 1984, dass die Sowjetunion im Falle eines Konflikts mit Israel „innerhalb von acht Stunden zwei sowjetische Luftlandedivisionen“ nach Syrien entsenden und notfalls auch Atomwaffen einsetzen würde.

Nach dem Ende des Kalten Krieges bestand der Nutzen von Terrororganisationen wie der Hisbollah aus Sicht des Kreml lange Zeit vor allem in der Möglichkeit, den Interessen der Vereinigten Staaten und ihrer Verbündeten bei Bedarf schaden zu können.

Dass Terroristen keine Terroristen seien, solange sie ihre Anschläge nicht in Russland verüben, ist übrigens offizielle russische Politik, die Regierungsvertreter schon mehrfach zum Ausdruck gebracht haben. Im November 2015 sagte der stellvertretende russische Außenminister Mikhail Bogdanov gegenüber der russischen Nachrichtenagentur Interfax:

„Einige sagen, die Hisbollah sei eine terroristische Organisation. Wir pflegen Kontakte und Beziehungen zu ihnen, weil wir sie nicht als terroristische Organisation betrachten. Sie haben niemals terroristische Handlungen auf russischem Territorium begangen.“

Nicht auf russischem Territorium – da liegt der Hase im Pfeffer. Alexander Shein, Russlands Botschafter in Israel, erklärte im Juni 2017 im russischsprachigen israelischen Fernsehen, weshalb nach Moskaus geltender Terrorismusdefinition weder die Hisbollah noch die Hamas als Terroristen bezeichnet werden könnten:

„Wir betrachten diese Organisationen nicht als Terroristen. Es stimmt, sie sind radikale Organisationen, die manchmal an extremistischen politischen Ansichten festhalten.

Lassen Sie mich erklären, warum wir sie nicht als terroristische Organisationen bezeichnen – und bezeichnen können. Das russische Recht – der Oberste Gerichtshof hat, einer Berufung der Staatsanwaltschaft folgend, Terrororganisationen als solche definiert, wenn sie absichtlich Terrorakte auf russischem Territorium oder gegen russische Interessen im Ausland durchführen – Einrichtungen, Botschaften, Büros oder Bürger.“

Auf radikale Sunniten im Kaukasus ist die russische Regierung bekanntlich nicht gut zu sprechen. Doch die schiitische Hisbollah sieht Russland nicht als Bedrohung, und solange Terroranschläge im Ausland verübt werden, spielt das, soweit es die russische Regierung betrifft, keine Rolle.

Das muss man im Gedächtnis behalten, als nötiges Hintergrundwissen, wann immer die russische Regierung Ereignisse im Nahen Osten oder anderen Konfliktregionen der Welt kommentiert.

Massenmörderische Organisation

Die Hisbollah wird von Israel, den Vereinigten Staaten und der EU als Terrororganisation eingestuft. Sie wird für zahlreiche Terrorakte verantwortlich gemacht, u.a. den Anschlag auf israelische Touristen am Flughafen von Burgas in Bulgarien am 18. Juli 2012.

Dabei wurden fünf Israelis und der bulgarische Busfahrer getötet und 32 weitere Personen verletzt.

Der Anschlag erfolgte am 18. Jahrestag des ebenfalls von der Hisbollah verübten Bombenanschlags auf das jüdische Gemeindezentrum AMIA in Buenos Aires. Damals wurden 85 Menschen getötet und mehr als 300 verletzt.

Zwischen 2012 und 2015 wurden in Thailand, Großbritannien und Zypern Lager der Hisbollah aufgedeckt, in denen diese mehrere Tonnen Chemikalien für den Bombenbau lagerte. 2016 drohte Hisbollah-Chef Hassan Nasrallah mit Raketenangriffen auf den – inzwischen stillgelegten und entleerten – Ammoniaktank in Israels nördlicher Hafenstadt Haifa. Die Explosion, so schwärmte er, werde „wie eine Atombombenexplosion“ sein und „800.000 Menschen töten“.

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