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Türkei: Istanbul will nicht registrierte Syrer bis September ausweisen

Türkei: Erdogan scheint Wahlkampf um Istanbul eröffnet zu haben
Türkei: Erdogan scheint Wahlkampf um Istanbul eröffnet zu haben (© Imago Images / Sipa USA)

Die Millionen syrischer Flüchtlinge, die in der Türkei Zuflucht gefunden haben, sind zum Spielball der Politik geworden. Ihnen droht nun die Ausweisung.

Syrer, die nicht in Istanbul registriert sind, müssen bis zum 24. September ausreisen, teilte die Regierung mit, die – ebenso wie die Oppositionsparteien – die Frage der syrischen Flüchtlinge schon zu einem zentralen Punkt ihres Wahlkampfes für den Urnengang im Mai gemacht hatte. So hatte der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan bei den von ihm und seiner Partei gewonnenen Präsidentschafts- und Parlamentswahlen versprochen, eine Million Syrer in ihr Land zurückzuschicken.

In der nun erfolgten Ankündigung heißt es, Syrer mit vorübergehendem Schutz, die keine Registrierungspapiere für Istanbul haben, müssten die Stadt verlassen und könnten eine Reisegenehmigung beantragen, um in die Provinzen zurückzukehren, in denen sie registriert sind. Eine Ausnahmeregelung gilt dabei für Flüchtlinge, die in jenen Provinzen registriert sind, die im Februar von den schweren Erdbeben im Südosten der Türkei betroffen waren, bei denen mehr als 50.000 Menschen ums Leben kamen.

Die Hürriyet Daily News berichtet, dass diejenigen, die Istanbul nicht freiwillig verlassen, von Vollzugsbeamten in ihre registrierten Provinzen zurückgebracht würden. Darüber hinaus sehen die Regierungsvorschriften vor, dass Personen die Türkei verlassen müssen, wenn sie ihren Aufenthaltsort wiederholt nicht melden, ohne triftige Gründe dafür angeben zu können.

Viele Syrer haben über gewaltsame Abschiebungen nach Syrien berichtet. Der in Ankara ansässige Analyst der türkischen Denkfabrik Tepav, Omar Kadkoy, erklärte gegenüber The Media Line, fehlende Papiere seien kein rechtlicher Grund, einen Syrer nach Syrien zurückzuschicken, denn »letzten Endes bleibt Syrien ein unsicheres Herkunftsland«.

Syrische Flüchtlinge in der Türkei

Nach Angaben des UN-Flüchtlingshilfswerks befinden sich in der Türkei 3,6 Millionen Syrer mit vorübergehendem Schutzstatus, von denen laut türkischen Regierungsstatistiken mehr als 530.000 Syrer in Istanbul leben, mehr als in jeder anderen Provinz des Landes. Allerdings wird davon ausgegangen, dass eine große Anzahl an Flüchtlingen ohne Papiere in der Türkei lebt.

Große Teile der türkischen Bevölkerung hegen Unzufriedenheit und Vorurteile gegenüber den syrischen Flüchtlingen, sodass auch und gerade die Opposition das Thema zu einem zentralen Punkt ihres Wahlkampfs macht. So versprach der säkulare Oppositionskandidat Kemal Kılıçdaroğlu, im Falle eines Wahlsiegs alle Flüchtlinge in ihre Heimatländer zurückzuschicken. Seine Partei, die Republikanische Volkspartei (CHP), hat derzeit das Bürgermeisteramt von Istanbul inne, das die Partei bei den Kommunalwahlen 2019 gewonnen hatte.

Erdoğans Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung (AKP) will die Chance nutzen, Istanbul, das die größte Stadt und der Wirtschaftsmotor des Landes ist, im nächsten Jahr zurückzuerobern: Ein Wunsch, dem der türkische Präsident Ausdruck verliehen hat und weswegen er nun erneut die Flüchtlingsthematik aufgreift.

Omar Kadkoy meint, die bevorstehenden Wahlen würde dazu beitragen, den Druck auf die Syrer erneut zu verstärken, der durch den härteren Kurs der Opposition entstanden ist: »Erdoğan und seine Regierung reiten auf der Welle, welche die Opposition erzeugt hat«, bringt Kadkoy diese Einschätzung auf den Punkt.

Die Doktorandin am Zentrum für Flüchtlingsstudien der Universität Oxford und ehemalige Fulbright-Stipendiatin in der Türkei, Emma Walker-Silverman, wiederum erklärt, dass die Stimmung gegenüber Flüchtlingen normalerweise ein Thema sei, an dem sich die politischen Lager spalten, wobei die Linke in der Regel Flüchtlinge eher unterstützt. »In der Türkei gibt es diese Spaltung nicht wirklich«, da dort negative Gefühle gegenüber Flüchtlingen im gesamten politischen Spektrum zu finden seien.

Emma Walker-Silverman meint, die Flüchtlinge seien zum Sündenbock für die Frustration der Opposition über die Wahlniederlage geworden, und viele der Faktoren, die zur Wut auf die Flüchtlinge beigetragen hätten, hätten sich seit der Wahl nicht geändert. Im Wahlkampf warf die Opposition den Syrern vor, Erdoğan zu unterstützen, und Kılıçdaroğlu beschuldigte den türkischen Präsidenten, den Flüchtlingen die Staatsbürgerschaft zu verleihen, damit sie für ihn stimmten, während reell die Zahl der Flüchtlinge, welche die türkische Staatsbürgerschaft erhielten, die Wahl nicht beeinflusst haben kann.

Analysten sind der Meinung, dass die Flüchtlinge auch zum Sündenbock für die Wirtschaftskrise der Türkei geworden sind. So glaubten viele Türken, dass die Syrer die Ressourcen und Mittel des Staates aufbrauchen, während viele Einheimische um ihren Lebensunterhalt kämpfen. Im vergangenen Monat prognostizierte die türkische Zentralbank eine Inflationsrate von 58 Prozent bis zum Jahresende, während Wirtschaftswissenschaftler meinen, die wahre Inflationsrate sei noch viel höher als die offiziell angegebenen Werte.

In diesem Zusammenhang, so Walker-Silverman, sei Erdoğan durch den Wunsch motiviert, die Unterstützung der Bevölkerung zu gewinnen in der Hoffnung, dass konkrete Schritte im Umgang mit den Flüchtlingen bei den Wählern gut ankommen würden. »Es geht darum, den Anschein zu erwecken, dass die Regierung etwas tut, dass sie die Situation unter Kontrolle hat und reagiert.«

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