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»Staatsräson« essen Seele auf. Zu einer Spiegel-Geschichte (Teil 2)

Der Spiegel macht in einem Artikel gegen die deutsche Staatsräson zur Solidarität mit Israel mobil
Der Spiegel macht in einem Artikel gegen die deutsche Staatsräson zur Solidarität mit Israel mobil (© Imago Images / Pond5 Images)

Von Widerspruch ausgenommen sollen aber natürlich jene Juden bleiben, die den Staat Israel so wenig mögen wie die Spiegel-Redakteurin Julia Amalia Heyer selbst. Jakob Augstein hat eine würdige Nachfolgerin gefunden.

Durch und durch bösartig ist Julia Amalia Heyers Angriff auf Volker Beck, den Präsidenten der Deutsch-Israelischen Gesellschaft. Auf X schreibt Beck immer wieder seine persönliche Meinung zu politischen Fragen. In Heyers Augen schrammt er damit nur eine Gazastreifenbreite an der Grenze zum Tyrannen vorbei: »Den offiziellen deutschen Diskurs scheinen Menschen wie der frühere grüne Bundestagsabgeordnete Volker Beck mitzubestimmen. Beck hat sich eine ganz neue Karriere gebastelt und hetzt und petzt auf X wie im wirklichen Leben.«

Volker Beck sagt in sozialen Medien seine Meinung, wie Hunderte Millionen andere Nutzer auch. Beteiligt sich aber jemand auf der Seite Israels an der öffentlichen Debatte – und um nichts anderes geht es hier –, ist er für Heyer ein Hetzer und Petzer, geradezu ein Volksverräter. Die eben noch hochgehaltene Meinungsfreiheit gilt nur für Israelhasser. Wer widerspricht, hat niedere Motive, »bastelt« wahrscheinlich an seiner »Karriere«.

Beck, suggeriert Heyer, wird für seine Kommentare in den sozialen Medien von einer ungenannten Autorität belohnt, die dafür seine »Karriere« fördere. Zum Vorwurf, Volker Beck sei mit jüdischem Geld gekauft, ist es da nicht weit. Und die Vorstellung von der jüdischen Macht ist schon da: Beck scheint (!) den »deutschen Diskurs mitzubestimmen«. Heyer wäre ein Diskurs im Sinne von Daniel Ortega (siehe Teil 1) sicherlich lieber, aber der würde sich halt nicht mit dem »mitbestimmen« begnügen. Beck, so Heyer weiter, hetze »in etwa gegen alle, die Palästina mit P schreiben«. Köstlich, Frau Heyer, wie Sie Volker Beck hier einschenken, ein echter Schenkelklopfer. »Gegen alle, die Palästina mit P schreiben«, zum Totlachen, ha, ha. Die Spiegel-Redakteurin hat einen Clown gefrühstückt.

Mit der »Es-scheint«-Argumentation ist sie noch nicht am Ende: »Auch der früher eher (!) umstrittene Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, Felix Klein scheint mehr denn je in seinem Element.« Felix Klein also war früher »eher umstritten«. Kann Heyer sagen, warum er »eher umstritten« gewesen sein soll? Irgendetwas wird bei der Unterstellung schon hängenbleiben, scheint man bei dem umstrittenen Magazin Spiegel zu denken. Und was mag das für ein »Element« sein, in dem Felix Klein zu sein scheint? Hat er vielleicht, in den Worten des Linksterroristen Dieter Kunzelmann, einen »Judenknax«? »Klein hat kein Problem damit, Juden zu erklären, was Antisemitismus bedeutet und wie sie darüber zu denken haben«, schreibt Heyer weiter.

Der Spiegel-Redakteurin fällt es schwer, die Gedanken, die sie nicht hat, aufzuschreiben. Welche Juden mögen das gewesen sein, denen dadurch Unrecht getan wurde, dass Klein ihnen etwas »erklärt« hat? Die gleichen Namenlosen wie die nebulösen »Völkerrechtler«? (Siehe Teil 1.) Der Fall wird wohl so gewesen sein: Klein hat irgendeiner Aussage – welcher, erfährt man von Heyer nicht, widersprochen; dann hat Heyer herausgefunden, dass derjenige, dem Klein widersprochen hat, zufällig Jude ist. Das hält sie nicht etwa für eine normale Alltagssituation, sondern meint, nun etwas gegen Klein in der Hand zu haben, Beweismaterial.

Auffällig: Das Argument hier ist, Klein habe nicht das Recht, Juden zu widersprechen. Von Widerspruch ausgenommen sollen aber natürlich nur jene Juden bleiben, die den Staat Israel so wenig mögen wie Heyer. Sie würde bestimmt nicht schreiben, dass man proisraelischen Juden nicht erklären dürfe, »was Antisemitismus bedeutet und wie sie darüber zu denken haben«.

Ein besonders schönes Beispiel dafür, wie Heyer just jene Juden für legitime Inhaber der Wahrheit hält, die ihre Meinung sagen, ist folgendes: »Dabei scheint (!) es deutsche Politiker wenig zu kümmern, dass hunderttausende Israelis monatelang Woche für Woche gegen ebendiese Regierung auf die Straße gingen. Und ja, ein Großteil der Bevölkerung unterstützt diesen Krieg auch jetzt noch. Aber ein Großteil der Bevölkerung fordert auch Netanyahus Rücktritt.« Die einen sagen so, die anderen so. Aber die deutsche Politik soll sich nach denen richten, von denen Heyer glaubt, dass sie die richtige Meinung, also die Heyer-Meinung, vertreten.

»In Berlin, so kommt es einem vor …«

Das Plädoyer ist gehalten, Heyer kann zur Urteilsverkündung schreiten: »Wohlfeil, selbstvergewissernd oder schlicht ahnungslos« sei »die deutsche Israelpolitik« bzw. lasse sich »so beschreiben«. (Heyer gehört zu denjenigen, die bei jeder Verunglimpfung eine Sicherheitsformulierung zur glaubhaften Abstreitbarkeit hinzufügen.) Mit der »deutschen Israelpolitik« meint sie das Lippenbekenntnis, dass Deutschland an Israels Seite stehe. Das stimmt zwar nicht; so zu tun, also ob, ist ihr aber schon zu viel: »In Berlin, so kommt es einem vor [schon wieder sind wir in der magischen Welt der Illusionen; S. F.], wird weder mit Herz noch mit Verstand auf einen Krieg geschaut, der schon zu lange zu grausam geführt wird.«

Heyer hat Herz und Verstand gepachtet. Wer Israel nicht so hasst wie sie, dem muss es an beidem fehlen. Die »Grausamkeit« ist selbstverständlich die der grausamen Juden. An keiner Stelle ihres Pamphlets rügt sie die Hamas für ihre systematischen Kriegsverbrechen und dafür, über Jahre alle Ressourcen Gazas in die Infrastruktur des Terrors gesteckt zu haben, mit Hunderten Kilometern Tunneln, die unter Schulen, Moscheen und Krankenhäusern verlaufen.

Kein Wort darüber, dass nach Aussage von Augenzeugen jede zweite Wohnung in Gaza ein Waffenlager ist. Die Hamas zu vernichten – im Einklang mit den Osloer Abkommen, die besagen, dass es in den Palästinensischen Autonomiegebieten neben der israelischen Armee und der palästinensischen Polizei keine bewaffneten Gruppen geben darf – ist für Heyer kein legitimes Ziel: »Und der [Krieg], begonnen nach dem mörderischen Massaker der Hamas und anderer Terrorgruppen am 7. Oktober, [hat] mittlerweile die Kategorien gewechselt: Aus der legitimen Selbstverteidigung Israels ist ein Vernichtungsfeldzug geworden. Ein Krieg ohne Ziel, ohne Exitstrategie.«

Das ist die einzige Stelle, an der Heyer die Verbrechen der Hamas erwähnt. Dem Massaker hat sie sogar ein Epitheton beigefügt, es war »mörderisch«. Wer hätte das gedacht. Aber wir können nicht ewig trauern, oder? Es muss doch mit den Juden abgerechnet werden, die ja doch, wie jeder Antisemit weiß, von Opfern zu Tätern werden.

Heyers NS-Analogie

Sie führen einen »Vernichtungsfeldzug« wie die Nationalsozialisten. Vergleiche der aktuellen Politik Israels mit dem Nationalsozialismus ist nicht nur eines der Kennzeichen von Antisemitismus, es ist auch eines der wichtigsten: Antisemiten benutzen diese Analogie so zwanghaft, dass man sie stets daran erkennt.

Das Böse der Juden hat natürlich für Heyer kein Ziel. Die Hamas unschädlich machen? Die Geiseln befreien? Aber bitte, das sind doch nur Vorwände! Israel tut das Böse um seiner selbst willen, dessen ist sich jeder Antisemit sicher. Dass die israelische Zivilbevölkerung – Juden und Araber – geschützt werden müsse, ist bloß ein Alibi, um vernichten zu können, nicht wahr? Die Juden sind Vernichter. »Diesen Krieg immer weiter bedingungslos zu unterstützen, kratzt an der Glaubwürdigkeit Deutschlands im Rest der Welt, wie Außenministerin Annalena Baerbock bereits bemerken dürfte.«

Der Terminus »bedingungslos« soll an »bedingungslose Gefolgschaft« erinnern. Deutschland als Vasall der Juden. Fehlt nur noch das Wort »Stiefellecker«. Was Heyer klipp und klar sagt: Israel schade den deutschen Interessen »im Rest der Welt«. Ah, das schöne Nicaragua. (Siehe Teil 1.)

Die deutsche Außenministerin nehme »erstaunlich lange schon in Kauf, dass sich Israel ums Völkerrecht nicht sonderlich zu scheren scheint (!)«. Heyer wiederholt hier ihre Verleumdung, doppelt hält besser. Beweise braucht man gegen die Juden nicht – es wird schon Gründe dafür geben, dass sie so gehasst werden.

Deutschlands angebliche Knechtschaft

Wer Israel nicht für einen verbrecherischen Staat hält, der habe eine »deutsche Brille« auf, glaubt Heyer. Dass sie selbst alles durch die Anti-Israel-Brille sieht, kommt ihr nicht in den Sinn.

Dann bringt sie noch einmal das Hilfe-ich-werde-unterdrückt-Argument: »Die anderen Perspektiven«, also die Heyerschen, würden »unter Strafandrohung« ausgeschlossen. Wann und wo? Egal, jedenfalls sei das »etwas Widerwärtiges«. Die Politik der deutschen Bundesregierung sei angeblich: »Hauptsache, we stand with Israel.«

Spricht man in Berlin Englisch? Oder in Jerusalem? Nein? Ah, die »amerikanische Ostküste« von Jörg Haider, schon klar. Für die, die es immer noch nicht geschnallt haben, woran die Berliner Politik krankt, sagt sie es zum Schluss noch einmal im Stil der National- und Soldatenzeitung: »Das Problem der deutschen Israelpolitik ist, dass sie unreflektiert und vasallenhaft daherkommt.«

Deutschlands Regierung, ein Knecht der Juden? Gehe es um Israel, »gilt keine Regel mehr«, schrieb Jakob Augstein 2012 im Spiegel: »Politik, Recht, Ökonomie – wenn Jerusalem anruft, beugt sich Berlin dessen Willen.« Unter anderem dafür wurde Augstein damals vom Simon Wiesenthal Center mit einer Aufnahme in die »Top Ten der antisemitischen und antiisraelischen Schmähungen« ausgezeichnet. Augstein hat nun beim Spiegel eine würdige Nachfolgerin gefunden.

Teil 1 der Miniserie ist hier erschienen.

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