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Hotel Stalingrad – Israels Rettung 1948. Teil 17: Die Geschichte von Hank Greenspun, achter Teil

Seine Motive legt Hank Greenspun anhand der Anklageschrift der Nürnberger Prozesse dar
Seine Motive legt Hank Greenspun anhand der Anklageschrift der Nürnberger Prozesse dar (© Imago Images / Reinhard Schultz)

Welche Lehre Hank Greenspun aus der Shoah zog. Wie die Kefalos einer Beschlagnahmung zuvorkam.

Das Waffenembargo gegen den Nahen Osten, das US-Präsident Harry S. Truman und die Vereinten Nationen erlassen hatten, bedeutete, dass jeder amerikanische Bürger, der dabei half, Waffen nach Israel zu bringen, seine Freiheit und die amerikanische Staatsbürgerschaft verlieren konnte. Außerdem würden ihm seine bürgerlichen Rechte, darunter das Wahlrecht, abgesprochen werden. Er wäre damit für den Rest seines Lebens als Straftäter gebrandmarkt.

Warum also ging Herman Milton »Hank« Greenspun, der in Las Vegas der High Society angehörte und gerade dabei war, das Casino und Hotel Desert Inn zu errichten, dieses Risiko ein? »Es war schwer genug für die Welt, das ganze Ausmaß der Verbrechen zu akzeptieren, die an hilflosen Menschen begangen wurden, nur weil sie Juden waren. Die Verbrechen, die an Kindern begangen wurden, waren unfassbar«, schreibt er in seiner Autobiografie über die Shoah und zitiert aus der Anklageschrift der Nürnberger Prozesse gegen die Hauptkriegsverbrecher:

»Sie töteten sie zusammen mit ihren Eltern, in Gruppen und allein. Sie töteten sie in Kinderheimen und Krankenhäusern, begruben sie lebendig in Gräbern, warfen sie in die Flammen, erstachen sie mit Bajonetten, vergifteten sie, führten Experimente an ihnen durch, zapften ihr Blut für die deutsche Armee ab, warfen sie in Gefängnis- und Gestapo-Folterkammern und Konzentrationslager, wo die Kinder an Hunger, Folter und epidemischen Krankheiten starben.«

Dann zitiert er aus der Zeugenaussage von Severina Shmaglevskaya, einer nichtjüdischen polnischen Gefangenen in Auschwitz, vom 27. Februar 1946:

»Damals, als die meisten Juden in den Gaskammern vernichtet wurden, wurde angeordnet, dass die Kinder in die Krematoriumsöfen oder in die Krematoriumsgräben geworfen werden sollten, ohne vorher mit Gas erstickt zu werden … Die Kinder wurden lebend hineingeworfen. Ihre Schreie waren im ganzen Lager zu hören.«

»Jetzt, da der Krieg zu Ende war«, so Greenspun, »waren ihre Schreie immer noch zu hören und blieben immer noch unbeantwortet«. »Lager für ›Displaced Persons‹ samt Stacheldraht waren an die Stelle der alten Konzentrationslager getreten. Hinter dem Draht träumten rund 250.000 ausgemergelte, geisterhafte Überlebende des Naziterrors von einer neuen Heimat in Palästina. Doch die Briten weigerten sich weiterhin, die Tür zu öffnen.«

Als Greenspun im Hotel Last Frontier in Las Vegas von seinem Cousin Rey Selk und Al Schwimmer gefragt wurde, ob er der Haganah helfen würde, an Waffen zu kommen, hatte er gezögert. Was er dachte?

»Wie andere Juden wollte ich mich am Kampf für Israel beteiligen. Doch meine familiären Verpflichtungen mussten an erster Stelle stehen. Aber wo begann und wo endete meine familiäre Verantwortung? Was hatte es für einen Sinn, sich abzumühen, um unsere Kinder zu ernähren und großzuziehen, während andere Menschen die Öfen bauten, um sie zu verbrennen? War das das Schicksal, das meine Kinder, Susan und Brian, eines Tages ereilen würde? Würden sie in der Falle sitzen, so, wie die Juden schon immer in der Falle gesessen hatten, ohne einen Ort, an den sie gehen konnten? 

Das ist jetzt alles vorbei, versuchte ich mir zu sagen. Von wegen!, antwortete mein Gewissen. Es geht schon seit Tausenden von Jahren so. Babylon, Ägypten und die Inquisition kamen vor Dachau und Buchenwald. Wie kommst du darauf, dass es jetzt vorbei wäre? Die Juden werden immer gejagt, vertrieben und verbrannt werden, es sei denn, es gibt einen jüdischen Staat, der ihnen Geltung verleiht und Zuflucht bietet, wenn sie diese brauchen. 

Ich hatte zu viel von der ›Judenfrage‹ gesehen, um ihr auszuweichen. Wie könnte ich die Schläge vergessen, die ich als Kind einstecken musste, weil ich Jude war? Oder die Frau, die als Geschworene gesagt haben soll: ›Ich will verdammt sein, wenn ich einem Juden so viel Geld gebe‹? Oder die verwüstete Synagoge in Nancy, wo ich einst ein Gelübde abgelegt hatte? Oder die Handschrift an deren Wänden: ›Verrückte Juden‹? Verrückte Juden. Wir wären mehr als verrückt, würden wir das weiter hinnehmen. Wir wären selbstmörderisch dumm.«

»Alles wieder wie auf der Idalia«

Und so hatte Greenspun es auf sich genommen, die Gewehre zu finden, die Israel brauchte, um sich gegen die arabischen Armeen zu verteidigen. Dreieinhalb Jahre nachdem der Zweite Weltkrieg für ihn Ende 1944 bei Metz zu Ende gewesen war – mit zwei »Schützengräbenfüßen«, die beinahe hätten amputiert werden müssen –, hatte er auf Hawaii Waffen der US Navy gestohlen und diese über Kalifornien nach Mexiko geschmuggelt und war durch Mexiko nach Guatemala und in die Dominikanische Republik gereist, um dort zum Teil altertümliche Kanonen zu kaufen, aber auch Bomben für die gerade gegründete israelische Luftwaffe.

All dieses Kriegsgerät und Munition waren nun auf der Kefalos und würden am Montag vom mexikanischen Militär beschlagnahmt werden, hatte er soeben von seinem Freund Alejandro Paredes am Telefon erfahren. Es war die Nacht von Samstag auf Sonntag.

»Ich verbrachte etwa fünf Minuten damit, die Nachricht zu verdauen und einen Plan zu entwerfen. Dann verließ ich das Del Prado, offenbar unbeobachtet, und nahm ein Taxi zum Flughafen. Es war weit nach Mitternacht und ich beobachtete jedes Auto auf der Straße mit kaltem Misstrauen. Ich hatte einen Satz der gefälschten chinesischen Papiere in meiner linken Trenchcoat Tasche und die Mauser in meiner rechten. Es war logisch anzunehmen, dass Miguel Abed und seine Freunde versuchen würden, jede Aktion in letzter Minute zu verhindern.«

In einem kleinen Flugzeug, das er samt einem Piloten mietete, flog er von Mexico City nach Tampico. Am Morgen erreichte er den Hafen. Die Kefalos wurde immer noch von Soldaten bewacht. Was, wenn sie den Befehl zur Beschlagnahmung schon zugestellt bekommen haben?, ging es ihm durch den Kopf, sie könnten mich sofort verhaften. Doch das war offenbar nicht der Fall. Im Zollbüro präsentierte er seine falschen chinesischen Dokumente und erreichte durch großzügige Bestechung, dass der verantwortliche Offizier, ein Major, sofort die für die Abreise nötige Inspektion vornahm. Sonst hasste er die mordida, wie die Bestechung in Mexiko genannt wird, nun war er froh darüber.

»Ich handle auf Befehl des stellvertretenden Stabschefs, General Cuenca«, log Greenspun in gebrochenem Spanisch. »Die Kefalos hat Segelfreigabe erhalten« – er winkte mit seinem Dokument – »und Sie können Ihre Truppen vom Schiff entfernen. Sie, Major, werden der letzte Mann sein, der das Schiff verlässt. Para seguridad!« – »Si, mi Coronel«, antwortete der Offizier ernst. Greenspun ging zur Brücke. Dort fand er Kapitän Oko, der sich über den Steuerbordflügel beugte, um das Auftanken zu beobachten.

Oko sah auf und beäugte Greenspun säuerlich. »Ein Besucher am Sonntag, ich bin zutiefst geschmeichelt, Oberst Greenspun.« – »Lassen Sie das, Oko. Wir haben keine Zeit zum Streiten. Der Zoll und die Einwanderungsbehörde werden jeden Moment an Bord kommen, um das Schiff freizugeben. Die Kefalos muss spätestens morgen früh um sechs Uhr die Bucht von Tampico verlassen haben.« – »Das ist doch zum Lachen«, erwiderte Oko. »Ist Ihnen nicht klar, dass einige meiner Besatzungsmitglieder immer noch an Land im Krankenhaus liegen und wegen ihrer Wehwehchen behandelt werden? Nach mexikanischem Recht darf ich den Hafen erst verlassen, wenn die gesamte Besatzung an Bord ist.«

Für diejenigen, die es nicht schaffen, sei bereits eine Kaution hinterlegt worden, sagte Greenspun. »Sie werden später ausgeflogen. Hören Sie zu, Oko, das ist ernst.« Mit gesenkter Stimme sagte er: »Aus Mexiko City wird eine Depesche kommen, die den Hafen- und Militärbehörden befiehlt, die Kefalos einzukassieren und ihre Ladung morgen früh um acht Uhr zu beschlagnahmen.«

Doch der Kapitän der Kefalos, so Greenspun, »der unter den Strapazen von zwei brüllend heißen, entnervenden Monaten in Tampico litt, hörte den Worten zu, ohne sie zu verstehen«. – »Ich gebe hier die Befehle!«, rief Oko. »Und jetzt verschwinden Sie von meinem Schiff!« – »Ich werde die Kefalos nicht verlassen, bevor sie nicht vom Dock weg ist. Um Himmels willen, Oko, verschwenden Sie nicht noch mehr Zeit.« Oko zuckte mit dem Daumen in Richtung Ufer. »Runter. Bevor ich Sie runterwerfen lasse.«

Greenspun sah sich nach den Haganah-Freiwilligen um, die sich unter die Besatzung gemischt hatten. Es war keiner von ihnen in Sicht. Wie es dann weiterging, beschreibt Greenspun so:

»Ich holte tief Luft und zog die Mauser aus meiner Tasche. Alles wieder wie auf der Idalia, dachte ich. Ich behielt die Pistole an meiner Seite, richtete sie auf das Deck und sagte ruhig: ›Machen Sie sich bereit, Tampico zu verlassen. Wenn Sie es nicht tun, übernehme ich diesen stinkenden Kahn und fahre ihn den ganzen Weg nach Haifa, ohne Sie.‹Oko starrte die Pistole mit einem glasigen, ungläubigen Blick an. Plötzlich kam seine Frau, die die angespannte Atmosphäre spürte, auf uns zu. Ich steckte die Mauser ein, aber sie hatte die Drohung offenbar mitbekommen. 

›Sie würden es nicht riskieren!‹, rief sie. ›Lady, das Risiko liegt ganz bei Ihnen. Ich habe nichts mehr zu verlieren.‹Oko brachte sie zum Schweigen, als auf der Leiter, die zur Brücke führte, hämmernde Schritte ertönten. Der dicke Major erschien oben auf der Leiter, gefolgt von den Zoll- und Einwanderungsbeamten. ›Okay‹, brummte Oko. Bringen wir diese lausige Angelegenheit hinter uns.«

Die Kefalos legt ab

Lange vor sechs Uhr Morgen nahm die Kefalos ihre letzte Leine an Bord und schob sich langsam vom Dock weg, um dem Lotsenschiff durch den Morgennebel aus der Tampico Bay zu folgen.

Greenspun beobachtete sie vom Dock, »wie in Trance«. Jemand schrie. Ein Lastwagen bremste scharf, um ihn nicht zu überfahren. Er nahm nichts wahr, außer dem langsam sich entfernenden Schiff. Es gewann an Fahrt, und Greenspuns Schritt verwandelte sich in einen Trab. Das Zementdock endete. Es folgten lose Planken. Die Beplankung endete ebenfalls, nun lief er über unebene Erde. Auf einem der feuchten Steine, die den Wellenbrecher bildeten, rutschte er aus und fiel hin, wobei seine Hose riss und er sich die Knie blutig schlug. Greenspun richtete sich auf und rannte weiter, bis der Wellenbrecher endete und der Golf von Mexiko begann. Weiter konnte er der Kefalos nicht folgen. 

»Als ich ihr dabei zusah, wie sie durch den Nebel entschlüpfte, schien es mir für einen langen Moment, als würde ich träumen. Würde ich aufwachen, fragte ich mich, und das Schiff wieder am Dock liegen sehen, wo seine Ladung entladen wurde? In der Ferne ertönte der Pfiff der Kefalos. Als ich ihn hörte, fiel ich auf meine blutigen Knie und weinte vor Freude.«

In der Serie »Hotel Stalingrad – Israels Rettung 1948« bisher erschienen:

Teil 1: Exodus
Teil 2: Bab el-Wad
Teil 3: Kyrus
Teil 4: Ad Halom
Teil 5: Liebesgrüße aus Moskau
Teil 6: Jan Masaryk
Teil 7: Operation Balak
Teil 8: Golda Meyerson in Amerika
Teil 9: Jaffa Oranges
Teil 10: Die Geschichte von Hank Greenspun, erster Teil
Teil 11: Die Geschichte von Hank Greenspun, zweiter Teil
Teil 12: Die Geschichte von Hank Greenspun, dritter Teil
Teil 13: Die Geschichte von Hank Greenspun, vierter Teil
Teil 14: Die Geschichte von Hank Greenspun, fünfter Teil
Teil 15: Die Geschichte von Hank Greenspun, sechster Teil
Teil 16: Die Geschichte von Hank Greenspun, siebter Teil
Teil 17: Die Geschichte von Hank Greenspun, achter Teil

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