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Der Putsch in Niger und die Migrationspolitik der EU

Nigers gestürzter Präsident bei einem Staatsbesuch in Frankreich im Juni 2023. (© imago images/ABACAPRESS)
Nigers gestürzter Präsident bei einem Staatsbesuch in Frankreich im Juni 2023. (© imago images/ABACAPRESS)

Auch in Falle von Niger ignorierte die EU Warnungen vor der destabilisierenden Wirkung ihrer Politik gegenüber afrikanischen Staaten.

Das Geschäft mit Flüchtlingen dürfte jährlich viele Milliarden einbringen. Hinter der Floskel der »Schleuserkriminalität«, die so gerne von Politikern geführt wird, verbergen sich in Wirklichkeit Regierungen, die Mafia, unzählige Warlords und viele andere Akteure, die alle dem simplen ökonomischem Gesetz folgen: Wo es Nachfrage gibt, steigt das Angebot, und je größer die Nachfrage ist, umso mehr Geld lässt sich machen.

Seit Europa de facto seine Grenzen geschlossen hat und Menschen auf legalem Weg kaum eine Chance haben, müssen sie sich jenen zuwenden, die ihnen das bieten, was dann »illegaler Grenzübertritt« heißt. Inzwischen dürften weit mehr als neunzig Prozent aller Flüchtlinge so nach Europa gelangen. Je undurchlässiger die Grenzen gemacht werden, umso besser verdienen die sogenannten Schleuser, die für immer riskantere Wege immer mehr verlangen können.

Es heißt, dieses Geschäft spüle etwa der italienischen Mafia inzwischen mehr Geld in die Kassen als der Drogenhandel. Noch besser verdienen jene Despoten, Milizen und Banden, die von der Europäischen Union dafür alimentiert werden, sogenannte heimatnahe Fluchtabwehr zu betreiben, also Migranten möglichst schon in der Nähe ihrer Herkunftsländer abzufangen, zu internieren oder erst gar nicht ins Land zu lassen. Viele, von der libyschen Küstenwache ist es allgemein bekannt, machen dann gleich zweifach Profit: Sie arbeiten als Schleuser und kassieren gleichzeitig als Flüchtlingsbekämpfer ab.

Aber auch viele andere, die nicht Teil organisierter Kriminalität sind, verdienen mit Flüchtlingen ihren Lebensunterhalt. Das gilt besonders für Menschen an den bedeutenden Fluchtrouten im subsaharischen Afrika. Wie unzählige Kleinbauern in Afghanistan oder Südamerika vom Anbau von Opium oder Kokain abhängig sind, hängt ihr Überleben von den Fluchtrouten durch die Sahara ab.

Das Bazoum-Gesetz

Und ausgerechnet das könnte dem kürzlich gestürzten Präsidenten des Niger, Mohamed Bazoum, zum Verhängnis geworden sein: Er gilt nämlich als einer der Initiatoren eines 2015 mit der Europäischen Union abgeschlossenen Abkommens, demzufolge die Grenzen seines Landes im Rahmen gemeinsamer Fluchtabwehr besser kontrolliert werden sollten. 2016, als Bazoum Innenminister war, wurde ein auf diesem Abkommen basierendes Gesetzeswerk verabschiedet, das nicht zufällig als »Bazoum-Gesetz« bekannt wurde. In dessen Folge verloren vor allem viele Tuareg ihr Einkommen, und der Unmut mit dieser Politik wuchs beständig. Nicht nur sie, auch viele Offiziere der Armee hatten zuvor schnelles Geld mit Flüchtlingen verdient.

Der Guardian zitiert in einem Bericht den Vorsteher der Wüstenstadt Agadez, der erzählt, wie die gesamte Menschenschmugglerindustrie von dem Gesetz betroffen war: »Die Armeeoffiziere, die an den Kontrollpunkten standen, die Fahrer der Migranten, die Leute, die die Migranten nach Libyen bringen – die gesamte Bevölkerung war von diesem Geschäft abhängig.« Erst am vergangenen Wochenende hätten erneut Mitglieder der Tuareg- bzw. Tubu vor den Büros der International Organization for Migration (IOM) und dem UNO-Flüchtlingshilfswerks UNHCR für die Aufhebung des Gesetzes demonstriert.

Ein Universitätsprofessor aus Nigers Hauptstadt Niamey, der namentlich nicht genannt werden will, bringt den jüngst erfolgten Armeeputsch unter anderem auch mit den Folgen des Bazoum-Gesetzes für Armeeangehörige in Verbindung. Der Putsch hatte zwar mehrere Ursachen, aber: »Eine davon war der Verlust der Einnahmen aus der illegalen Migration, aber auch die Tatsache, dass Bazoum einer Minderheit in Niger angehört.«

Eine Tragödie nach der anderen

Jérôme Tubiana, ein französischer Forscher und Journalist, der über Konflikte und Vertreibungen in der Sahelzone und am Horn von Afrika schreibt, weist im Guardian darauf hin, dass die Europäische Union Warnungen davor in den Wind geschlagen hat, ihre Politik gegenüber Niger würde die Demokratie im Land gefährden: »Ähnlich wie im Sudan haben EU-Länder wie Italien und Deutschland nicht auf die Warnungen vor den destabilisierenden Auswirkungen der Migrationspolitik gehört, sondern waren nur davon besessen, die Migration zu reduzieren.«

Stimmen wie die von Tubiana, die vor dieser destruktiven Politik der EU warnen, gibt es seit Jahren zuhauf, doch sie finden regelmäßig kein Gehör. Und so spielt sich in Afrika dann eine Tragödie nach der anderen ab. Die Profiteure heißen Russland, China und in vielen Fällen auch der Iran; also Länder, die sich den alten und neuen Diktaturen nur allzu gerne als weitaus weniger komplizierte Kooperationspartner andienen. Den Preis zahlen wie üblich die Menschen vor Ort und die Migranten, mit deren fürchterlichem Los weiter kräftig Geld verdient wird.

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