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Viele Israelis weigern sich, die Wahrheit über die palästinensische Gesellschaft zu erkennen

Der ehemalige israelische Undercover-Soldat in Gaza, Tomer Tzaban
Der ehemalige israelische Undercover-Soldat in Gaza, Tomer Tzaban (Quelle: JNS)

Im Interview mit Ran Puni erzählt Tomer Tzaban, ehemaliger Undercover-Soldat der israelischen Special Forces, von seinen Erfahrungen im Gazastreifen, den er wie seine Westentasche kennt.

Ran Puni (RP): Erinnern Sie sich an Ihre letzte Zeit in Gaza?

Tomer Tzaban (TT): Als ich Gaza verließ, hatten nur wenige der Terrorzellen dort Waffen, ganz anders als heute. Selbst wenn unsere Deckung bei den Undercover-Einsätzen aufflog, sahen wir uns nicht an jeder Ecke Terroristen mit Sturmgewehren und Panzerfäusten gegenüber. In den meisten Fällen waren es Fauda [arabisch für Chaos; ein Wort, das israelische Undercover-Teams verwenden, wenn ihre Mission gefährdet ist] mit Messern, manchmal mit Handfeuerwaffen und Gewehren.

Meine letzte Erinnerung an Gaza ist der Gedanke: ›Ich verlasse diesen Ort und ich weiß wirklich nicht, was die Zukunft für ihn bringen wird.‹ Ich verstehe einerseits, dass wir kein Interesse daran haben, diesen Ort zu kontrollieren. Andererseits wird jedes Gebiet, aus dem wir uns zurückziehen, zu einem Nest des Terrors. Gaza wird sich nicht ändern, sie wollen nicht bauen, sich entwickeln, gedeihen. Es fällt mir schwer, diese Denkweise zu verstehen.

RP: Konnten Sie bei Ihrer Feldforschung eruieren, wie sich die Menschen im Gazastreifen von den Menschen in Israel unterscheiden?

TT: Einmal wurde ich Zeuge, als Terroristen einen Kollaborateur verhörten und ihn am Ende erstachen. Was mein Verständnis von ihnen veränderte, war das, was danach geschah, denn sie verstümmelten ihn und schnitten ihm Beine, Hände und Genitalien ab. Sie hatten ein sadistisches Vergnügen daran, das ich nicht verstehen konnte. Das war das erste Mal, als ich erkannte, dass sie in keiner Weise wie wir waren. Mir wurde klar, dass wir etwas sehr Grundlegendes an ihnen nicht verstanden hatten, und so hat mich das, was wir am 7. Oktober sahen und hörten, leider nicht überrascht.

Weigerung, die Wahrheit zu sehen

RP: Die Dinge kochten schon seit Jahren unter der Oberfläche, und am 7. Oktober brach alles aus …

TT: Die Israelis weigerten sich, die Wahrheit zu sehen. Man hat uns einen Spiegel vorgehalten und wir haben uns geweigert hineinzuschauen. In letzter Zeit ist der Groschen für mich endgültig gefallen: Die Leute fragen mich, ob es denn gar keine Hoffnung gibt. An dieser Frage können wir erkennen, dass viele Menschen bereit sind, die Wahrheit zu ignorieren: Sie fallen auf die Illusion herein, dass es mit diesen Menschen eine Zukunft für uns gibt. Wir beharren darauf, etwas zu finden, das es meiner Erfahrung nach nicht gibt. … Es gibt hier Menschen, die uns loswerden und unseren Platz einnehmen wollen. Das müssen wir verstehen.

RP: Was beunruhigt Sie im Moment besonders?

TT: Ich glaube, dass die Tunnel im Laufe der Jahre gebaut wurden, um eine Festung zu schaffen und auf den Tag zu warten, an dem wir einmarschieren würden. Die IDF arbeiten intelligent, aber es ist harte Arbeit. Solange die Truppen in Bewegung sind, sind wir in guter Verfassung. Sobald wir aber stationär werden, werden wir Probleme bekommen. Deshalb wurden in der Vergangenheit verdeckte Einheiten gegründet, und deshalb muss die Shimshon-Einheit wieder aufgebaut werden: Sie weiß, wie man hineingeht, tut, was getan werden muss, und verschwindet danach wieder unentdeckt.

RP: Unterscheidet sich Shimshon wesentlich von der verdeckten Einheit Duvdevan?

TT: Nein, aber unsere Spezialisierung in Gaza war einzigartig. Duvdevan operierte im Westjordanland. Während man sich dort als Schuldirektor oder Geschäftsmann verkleidet, tarnt man sich in Gaza als Arbeiter. In der Westbank ist die Bevölkerung gebildeter, im Gazastreifen ist sie am Boden. Mit der Zeit verlassen die Leute mit Geld den Gazastreifen und was übrigbleibt, sind die Ärmsten der Armen. Im Westjordanland benutzen die Menschen Parfüm, in Gaza nicht. Wir haben tagelang nicht geduscht, um so schmutzig wie möglich zu werden. Stellen Sie sich vor, Sie waschen sich die Haare mit parfümiertem Shampoo und gehen dann auf eine Undercovermission. Sie würden sofort zur Zielscheibe werden.

Die Auflösung der Shimshon-Einheit war eine weitere Maßnahme, die unsere Geheimdienstarbeit in Gaza reduzierte. Die Zahl der Kollaborateure nach unserem Abzug aus dem Gazastreifen steh in keinem Verhältnis zur Zahl, die wir vorher hatten. Im Westjordanland sagen die Palästinenser, dass jeder, der nachts davon träumt, einen Anschlag zu verüben, am Morgen aufsteht und vom Shin Bet verhaftet wird. Das ist in Gaza nicht mehr der Fall. Das haben wir beim Scheitern der dortigen Eliteoperation Sayeret Matkal [der Aufklärungseinheit des Generalstabs] vor zwei Jahren gesehen. Es ist, als würde man ein feindliches Land wie Syrien oder den Libanon betreten.

Sprache der Macht

RP: Haben Sie aufgrund Ihrer umfassenden Kenntnisse des Gazastreifens eine Vermutung, was kurzfristig noch vor dem »Tag danach«, also dem Ende des Kriegs gegen die Hamas geschehen wird?

TT: Wenn die Menschen hungrig sind, werden sich immer mehr Terroristen an den Shin Bet [israelischen Inlandsgeheimdienst] und die Einheit 504 [eine geheime Einheit der IDF, die Agenten einsetzt und Gefangene verhört] wenden und Informationen im Austausch gegen Hilfe liefern. Das geschieht bereits. Gaza wird im Chaos versinken. Für uns kann das ein Vorteil sein, weil es uns erlaubt, bessere Informationen zu sammeln.

RP: Wie sollte der »Tag danach« aussehen?

PP: Das Problem – und andere Staaten verstehen das – ist, dass die palästinensische Gesellschaft in ihrer jetzigen Verfassung keine Ambitionen hat, eine wohlhabende Bevölkerung zu schaffen. Im Jahr 1970, während des Schwarzen Septembers, versuchten sie, den jordanischen König zu ermorden. Sie versuchten, Jordanien in einen terroristischen Staat zu verwandeln und wurden nach einem Jahr der Kämpfe vertrieben. 

Der Libanon, ein blühendes Land, verfiel in einen Bürgerkrieg, nachdem die Palästinenser dort ihr Fatah-Land aufgebaut hatten. Aus Kuwait hat der Emir sie ins Westjordanland vertrieben, weil sie Saddam Husseins Überfall auf das Land unterstützen. Und solange ihr einziges Bestreben darin besteht, uns zu eliminieren, werden sie auch in Gaza immer wieder zu ihren Gewohnheiten zurückkehren.

RP: Die Lage im Norden Israels der Grenze zum Libanon spitzt sich zu. Welche Lehren können wir aus Gaza für diese Region ziehen?

TT: Das Wichtigste sind die Bilder, die aus dem Gazastreifen kommen. Der Nahe Osten spricht und versteht die Sprache der Macht und die Zerstörung in Gaza findet in der arabischen Welt Widerhall. Jene Staaten, die mit uns Frieden schließen wollen, die Saudis, die Emirate, wollen wissen, ob sie ein Verteidigungsbündnis mit einem starken Land eingehen. Was in Gaza geschieht, wird also im Libanon deutlich gehört und gesehen. Hisbollah-Generalsekretär Hassan Nasrallah liebt im Gegensatz zu Hamas-Führer in Gaza Yahya Sinwar den Libanon, und der zweite Libanonkrieg im Jahr 2006 hat bei ihm eine Narbe hinterlassen. Er will nicht, dass der Libanon in Trümmern liegt, und das gibt uns ein Druckmittel gegen ihn.

Um Traumata kümmern

RP: Was raten Sie den Reservisten, die heute aus dem Gazastreifen kommen?

TT: Die Situation der Soldaten ist verrückt: Sie können in Gaza kämpfen, einen kurzen Freigang bekommen und innerhalb einer halben Stunde sind sie bei sich zu Hause. Irgendetwas an diesem Szenario passt einfach nicht zusammen. Das sind einschneidende Erlebnisse, und die Realitäten der Menschen können durcheinandergeraten. Diese Übergänge verwirren den Verstand und es kann vorkommen, dass Menschen in alltäglichen Situationen ihre Waffen laden, weil sie sich noch in einem Zustand operativer Alarmbereitschaft befinden. Das ist typisch für verdeckte Soldaten: An einem Tag ist man ein Bewohner des Gazastreifens und am nächsten Tag ein normaler Bürger.

Einmal ging ich während meines Militärdienstes aus und hielt dabei mit meinem Auto an, um zu tanken. Ich sah einen arabischen Tankwart, der eine Zapfpistole in der Hand hielt, und innerhalb einer Sekunde war ich an einem anderen Ort, sah einen Terroristen, ein Flüchtlingslager und dachte, dass jemand kommen würde, um uns zu töten. Da habe ich gemerkt, dass etwas mit mir nicht stimmt. 

Ich habe jahrelang versucht, das Trauma jahrelang selbst zu verarbeitet, deshalb sage ich den Soldaten, dass sie darüber reden und die Dinge loslassen sollten. Den Familien sage ich, dass sie auf Gewaltausbrüche, Albträume und Entfremdung achten sollen. Wenn man sich nicht um die traumatisierten Soldaten kümmert und ihnen die Aufmerksamkeit schenkt, die sie brauchen, sickert diese Gewalt in die Gesellschaft ein. Es ist wichtig, den Menschen das Gefühl zu geben, dass sie nicht allein sind – und, was noch wichtiger ist, sollte man die gesamte Trauma-Problematik auf staatlicher Ebene behandeln.

Tomer Tzaban bekämpfte als Soldat der israelischen Verteidigungsstreitkräfte (IDF) Terroristen in der Shimshon-Einheit, die sich auf verdeckte Operationen im Gazastreifen konzentrierte, bevor sie 1996 nach den Osloer Verträgen aufgelöst wurde. Er ist Autor der Bücher Im Herzen von Gaza und Undercover in Gaza. (Der Artikel erschien auf Englisch beim Jewish News Syndicate. Übersetzung von Alexander Gruber.)

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