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Hat die Türkei dem Führer der Muslimbrüder die Staatsbürgerschaft entzogen?

Erdogans Partei AKP ist so etwas wie eine türkische Version der Muslimbruderschaft
Erdogans Partei AKP ist so etwas wie eine türkische Version der Muslimbruderschaft (© Imago Images / ZUMA Wire)

Zeitgleich mit dem Besuch des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan in Ägypten gab es Berichte, die Türkei habe dem amtierenden Führer der Muslimbruderschaft die Staatsbürgerschaft entzogen.

Der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan besuchte vor einigen Tagen Kairo, wo er mit dem ägyptischen Präsidenten Abdel Fattah as-Sisi vereinbarte, den strategischen Dialog zwischen den beiden Ländern wieder aufzunehmen und den Handelsaustausch in den kommenden Jahren auf fünfzehn Milliarden Dollar zu erhöhen, womit ein fast zehn Jahre andauernder Bruch zwischen der Türkei und Ägypten beendet wird.

Parallel dazu befindet sich die Muslimbruderschaft, die jahrelang gute Beziehungen zum türkischen Präsidenten unterhielt, in einer schwierigen Situation, weil zwei Fraktionen, die jeweils von konkurrierenden amtierenden Führern, der höchsten Position in der islamistischen Organisation, angeführt werden, um die Kontrolle über die Bruderschaft kämpfen. Eine der beiden Fraktionen ist in der Türkei aktiv und wird von den Medien als Istanbuler Front bezeichnet. Während die zweite, als Londoner Front bekannte Fraktion, vom amtierenden Führer Salah Abdel-Haq geleitet wird, beansprucht in Istanbul der ursprünglich ägyptische Staatsbürger Mahmud Hussein diesen Position.

In den vergangenen Tagen gab es nun Berichte, dass die Türkei Mahmud Hussein die Staatsbürgerschaft entzogen habe, wobei der ägyptische Oppositionelle Amr Abdel Hadi als Erster diese Nachricht verbreitete. Auf seinem X-Account schrieb Hadi, obwohl er mit Mahmud Hussein und der Muslimbruderschaft nicht einverstanden sei, »ist der Entzug seiner türkischen Staatsbürgerschaft sehr unfair und ein Verrat an dem Schutz, der ihm von Erdoğan gewährt wurde«.

Immobilien-Mafia

Anschließend berichtete der saudische TV-Sender al-Arabiya unter Berufung auf nicht identifizierte Quellen, Mahmud Hussein sei in den letzten Tagen ohne Angabe von Gründen seitens der türkischen Behörden vom Entzug seiner Staatsbürgerschaft informiert worden; für die diesbezügliche Klärung solle er einen Anwalt beauftragen.

Al-Arabiya enthüllte auch, dass der Entzug von Mahmud Husseins Staatsbürgerschaft zu einer Reihe von mehr als sechsundvierzig weiteren Fällen gehört, bei denen Mitgliedern der Muslimbruderschaft und anderen die Staatsbürgerschaft aberkannt worden war, weil sie Teil einer »Immobilien manipulierenden Mafia« seien. Die türkischen Behörden versuchten, die Mitglieder dieser Mafia, zu der auch Ägypter, Syrer und Russen gehören, zu identifizieren und unter Kontrolle zu bringen, so der Sender. Das türkische Gesetz gewährt Ausländern, die Immobilien im Wert von bis zu einer halben Million Dollar besitzen, das Recht, die türkische Staatsbürgerschaft zu erhalten.

Der saudische Sender meldete weiter, die türkischen Behörden hätten vor Kurzem eine intensive Kampagne gegen Verstöße gegen dieses Gesetz zur Einbürgerung von Immobilienbesitzern gestartet. Die Kampagne werde Mitglieder der Muslimbruderschaft und andere auffliegen lassen, welche die Staatsbürgerschaft aufgrund von Immobilienbesitz erhalten, diese aber sofort nach Erhalt des türkischen Passes verkauft hätten, ohne sich an das Gesetz zu halten, das solche Verkäufe für mindestens drei Jahre verbietet.

Diese Informationen des ägyptischen Fernsehens überschneiden sich mit weiteren Informationen, welche die türkische Schriftstellerin Elif Çakir am vergangenen Mittwoch in der türkischen Zeitung Qarar veröffentlicht hat. Çakir schrieb, sie habe eine Mahmud Hussein nahestehende Person getroffen, die ihr erzählt habe, der amtierende Führer der Muslimbruderschaft sei vor fünf Jahren türkischer Staatsbürger geworden, indem er Immobilien gekauft hatte. Vor zwei Monaten habe dann das Meldeamt Kontakt mit ihm aufgenommen und ihn über den Entzug seiner Staatsbürgerschaft benachrichtigt.

Infolge seien weitere Behörden über Husseins Situation informiert worden, die erklärt hatten, dass ein Fehler vorlag, der sofort korrigiert werden würde, so Çakir, die hinzufügte: »Aber es hat sich nichts getan«, außer, dass »Regierungsbeamte mit Hussein zusammentrafen und ihm mitteilten, dass seine Akte bei Präsident Erdoğan liege und seine Staatsbürgerschaft wiederhergestellt werden würde«.

Kein Zusammenhang

Trotz der genannten Quellen, die den Entzug von Husseins Staatsbürgerschaft bestätigen, ist der Experte für islamische Gruppen, Maher Farghaly, der Ansicht, der Ton der Berichterstattung über die türkische Entscheidung sei »zu optimistisch«. Auch schließe er einen Zusammenhang zwischen Erdoğans Besuch in Kairo und dem Entzug der Staatsbürgerschaft des amtierenden Führers der Istanbuler Fraktion Muslimbruderschaft aus, wie er auch nicht glaube, dass es sich hierbei um eine Geste im Rahmen der Annäherung der ägyptisch-türkischen Beziehungen handle. »Wenn die Türkei auch in der Frage der Muslimbruderschaft eine Annäherung an Ägypten anstrebt, wäre es besser gewesen, anstelle von Mahmud Hussein [den Farghaly als »alten und ineffektiven Mann« bezeichnete] den Mitgliedern ihrer Terrororganisation (Hasm) die Staatsbürgerschaft zu entziehen«, die in die Ermordung des ehemaligen Staatsanwalts Hisham Barakat im Jahr 2015 verwickelt waren.

Obwohl Ankara der Muslimbruderschaft Beschränkungen für die Nutzung ihres Territoriums auferlegt hat, um von dort aus Ägypten anzugreifen, ist Farghaly der Ansicht, dies sei wenig anderes als »für die Medien gedachten Schritt, der die Feindseligkeit gegenüber Kairo verringern soll, ohne die Muslimbruderschaft aufzugeben«. Schließlich, so merkte er an, könnten die mit der Bruderschaft verbundenen Kanäle und Social-Media-Seiten immer noch von der Türkei aus senden.

Farghaly wies auch darauf hin, dass Erdoğans Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung, die in der Türkei an der Macht ist, »eine der Erscheinungsformen der Muslimbruderschaft ist«, wie er es ausdrückte. Der Experte führte den Besuch Erdoğans in Ägypten weniger auf inhaltliche Annäherungen zurück  als vielmehr darauf, dass »die beiden Länder einander politisch und wirtschaftlich brauchen«.

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