Die Spaltungstendenzen innerhalb der Muslimbruderschaft sind in eine neue Phase eingetreten, nachdem es zu Meinungsverschiedenheiten über die Ernennung eines amtierenden Generalführers gekommen ist.
Schon bevor vergangenen Monat Ibrahim Mounir, der amtierende Führer der Muslimbruderschaft und Leiter ihrer internationalen Organisation, im Alter von 85 Jahren in London verstarb, waren die Muslimbrüder in drei Fronten gespalten:
- die von Mounir angeführte und von London aus operierende,
- die von Mahmoud Hussein, dem ehemaligen Generalsekretär der Gruppe, angeführte und von Istanbul aus operierende,
- die aus einer Gruppe von Anführern aus der zweiten Reihe bestehende und sich »Front des Wechsels« nennende.
In den vergangenen Monaten stritten sich die drei Fraktionen, insbesondere die von Mounir und Hussein, um die Führung der Muslimbruderschaft und warfen sich gegenseitig vor, die Arbeit der Organisation zu behindern. Nach Mounirs Tod entbrannte nun ein Wettstreit um die Ernennung eines amtierenden Führers, der als Nachfolger fungieren soll.
So gab die Istanbuler Front am 16. November die Ernennung von Mahmoud Hussein zum amtierenden Generalführer bekannt, was die Londoner Fraktion jedoch ablehnte, die ihrerseits interimistisch Muhyiddin al-Zait zum kommissarischen Führer ernannte. Einige Wochen später heißt es nun in Medienberichten, London habe beschlossen, Salah Abdel-Haq zum ständigen kommissarischen Führer zu ernennen – ein Schritt, den die Istanbuler ablehnen, die darauf bestehen, dass Mahmoud Hussein den Posten übernimmt.
Weggefährte Sayyid Qutbs
Salah Abdel-Haq war Mitglied einer Gruppe in der Muslimbruderschaft, die 1965 von Sayyid Qutb, einem der extremsten Theoretiker der Organisation, gegründet wurde, und wurde sogar als Angeklagter Nr. 33 in dem Fall geführt, der 1966 zu Qutbs Hinrichtung in Ägypten führte. Arabischen Berichten zufolge »glaubt Abdel-Haq daran, politischen Wandel durch den Einsatz von Zwang und Gewalt herbeizuführen«.
Weiteren Berichten zufolge kam der aktuelle Konflikt zustande, nachdem in den vergangenen Wochen verschiedene Versöhnungsinitiativen gescheitert waren, weil Mahmoud Hussein an seinem Führungsanspruch festhielt und sich weigerte, zugunsten eines anderen abzutreten.
Der Experte für politischen Islam und terroristische Organisationen, Munir Adib, schrieb in einem Artikel über den nun von der Londoner Fraktion präferierten Salah Abdel-Haq, dieser habe keinen Sinn für Führung und verfüge über keinerlei administrative oder organisatorische Fähigkeiten. »Abdel-Haq wird nicht in der Lage sein, die Streitigkeiten innerhalb der Muslimbruderschaft zu schlichten.«
Daher werde es auch weiterhin zu Konflikten bei den Entscheidungen innerhalb der Organisation kommen, da es keine Persönlichkeit gebe, die als Schlichter und Vermittler fungieren könnte. »Diese Situation wird Versuchen Tür und Tor öffnen, sich in Abdel-Haqs Entscheidungen einzumischen und ihn zu beeinflussen. Das wird die Spaltung innerhalb der Muslimbruderschaft zumindest auf kurze Sicht verstärken.«
Der ägyptische Forscher Amr Abdel Moneim präzisierte, alle Versuche »nach Mounirs Tod zwischen der Front von Mahmoud Hussein in Istanbul und der Londoner Front, eine Versöhnung herbeizuführen«, seien in einer Sackgasse gelandet. »Ungefähr sechs solcher Versöhnungsinitiativen wurden nach Mounirs Tod gestartet, alle ohne Ergebnis.«
Der letzte Versuch war eine Initiative, die sich »Wiedervereinigung am 29. November« nannte, bei der Vertreter beider Fronten versuchten, doch noch einen Ausgleich herbeizuführen. Die Unfähigkeit und Weigerung, sich auf irgendeine Form des Kompromisses darüber zu einigen, »wer die Muslimbruderschaft als amtierenden Generalführer leiten soll, hat die interne Krise der Gruppe weiter verschärft«.