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Das Gespräch, das nie stattgefunden hat, obwohl es stattgefunden hat

Gespräch von Fania Salzburger-Oz mit CNNs Christiane Amanpour
Gespräch von Fania Salzburger-Oz mit CNNs Christiane Amanpour (Quelle: Twitter)

Harry Bergmann bedankt sich bei Fania Oz-Salzberger für ein Gespräch, das keines war, und von dem er doch das Gefühl hat, er hätte es mit ihr geführt.

Liebe Fania Oz-Salzberger,

ich möchte mich gleich vorab dafür entschuldigen, dass ich mich erst heute für das wunderbare Gespräch bedanke. Ich hatte gerade in letzter Zeit in »unserer Angelegenheit« derart viel zu tun, dass ich das Gespräch ein wenig aus den Augen verloren habe. Es gibt bei uns die Redewendung »Aus den Augen, aus dem Sinn«, aber ich kann Ihnen versichern, dass das, soweit es Sie betrifft, keineswegs der Fall ist.

Lassen Sie mich kurz erzählen, womit ich mich derzeit herumschlage, herumschlagen muss, und Sie werden sicherlich Verständnis für meinen verspäteten Brief haben.

Vor etwa zwei Wochen musste ich mich – höchst unfreiwillig – eingehender mit Judith Butler beschäftigen. Nicht mit ihrer Person und auch nicht mit ihrer berühmten Schrift Das Unbehagen der Geschlechter, sondern mit meinem Unbehagen darüber, was sie über den 7. Oktober 2023 gesagt hat. Sie – ausgerechnet sie, die sich mit der Ethik der Gewaltlosigkeitbeschäftigt – bezeichnete den 7. Oktober als »bewaffneten Widerstand«. Gerade so, als ob es sich um den Aufstand im Warschauer Ghetto im April 1943 handeln würde.

Damit nicht genug, erklärte sie die Hamas für keine Terrororganisation und eben deshalb das Massaker für keinen Terrorangriff und schon gar nicht für einen antisemitischen Angriff. Das muss einem alles erst einmal einfallen.

Kronzeugen

Judith Butler ist nicht irgendwer und sie hat auch nicht irgendeine Religion. Sie ist Jüdin. Und genau das macht mir jetzt viel Arbeit. Denn ich muss den nicht-jüdischen Menschen in Österreich erklären, dass antisemitische Inhalte auch dann – und vor allem dann – solche sind, wenn sie durch das Jüdisch-Sein ihrer Vertreter scheinbar legitimiert werden. »Wird schon stimmen, wenn das die Juden selbst sagen«, heißt es doch so gerne.

Was habe ich mich schon vor Monaten über Deborah Feldman aufgeregt, die von einer deutschen Talkshow zur nächsten weitergereicht wurde, um dort ihre kruden, antiisraelischen Ansichten zum Besten zu geben. Die Deutschen waren entzückt. Da hatten sie endlich eine berühmte Jüdin, die ein berühmtes Buch geschrieben hatte, aus dem ein berühmter Film gemacht wurde, der allen Nicht-Juden zeigte, wie es bei den Ultra-Orthodoxen zugeht. Nämlich wirklich zugeht: fanatisch, rassistisch, frauenfeindlich.

Diese berühmte Jüdin stellte sich nun im Fernsehen wie weiland Jean d’Arc allein gegen die kolonialistische Judenmacht und gab den Deutschen ihre seit Jahrzehnten ersehnte kurze Pause von der Erbsünde des Holocaust. Endlich waren die Juden nicht die Opfer, sondern die Täter. Das produzierte locker vom Hocker mehr Antisemiten, als es jeder islamistische Hassprediger zustande bringen würde.

Und jetzt, liebe Fania Oz-Salzberger, stellen Sie sich diese Deborah Feldman hoch drei vor und Sie landen genau bei Judith Butler.

Kaum war ich mit Judith Butler fertig (das heißt, dass ich nicht mehr völlig fertig war, wenn ich an sie denken musste), bekommt Jonathan Glazer den Oscar für The Zone of Interest und hält seine Dankesrede. Und patsch, sind schon wieder die Juden am 7. Oktober 2023 selbst schuld. Genauer gesagt, die »Besatzung« der Juden ist daran schuld: »… der Holocaust wird durch eine Besatzung gekidnappt, die zu einem Konflikt für so viele unschuldige Menschen geführt hat.« Kaum ausgesprochen, teilte sich die Welt wie das Rote Meer beim Auszug der Juden aus Ägypten. Die einen, wie ich, schnappten nach Luft (bei mir kommt übrigens auch noch ein leichtes Asthma dazu), die anderen nahmen Glazer reflexartig in Schutz. 

Glazer ist – wie Butler, wie Feldman – Jude und trägt – wie Butler, wie Feldman – sein Judentum als eine Art eidesstattliche Erklärung vor sich her, die bestätigt, dass alles, was er zum Krieg in Gaza sagt, richtig sein muss. 

Ausweg aus dem Dilemma

Aber jetzt zurück zu Ihnen, liebe Frau Oz-Salzberger und unserem Gespräch. Ich sehe sie milde lächeln, weil ich das Gespräch als »unser Gespräch« bezeichne. Es war natürlich nicht unser Gespräch, sondern das Gespräch, das Sie mit Christiane Amanpour auf CNN geführt haben. Ich war nur einer der Zehntausenden an Zusehern, aber Sie haben mir so sehr aus dem Herzen gesprochen, dass ich das Gefühl hatte, wirklich dabei zu sein.

Ehrlich gesagt, finde ich es auch besser, dass Sie nicht mit mir, sondern mit Amanpour gesprochen haben, denn sie ist – wie soll ich sagen? – keine ausgesprochene Freundin von Israel und es ist wichtig, dass es zu solchen prominenten Stimmen auch dezidierte Gegenstimmen eben wie die Ihre gibt. Amanpour ist natürlich nicht offen gegen Israel, aber an der Tonalität der Fragen, kann man schon sehen, wo sie steht. Bei uns würde man solche Fragen »gfeanzt« nennen. Ich bin sicher, Sie wissen, was ich meine, auch wenn es mir unmöglich ist »gfeanzt« zu übersetzen.

Sie haben über das Dilemma gesprochen, dass man sich auf der einen Seite nichts sehnlicher wünscht als Frieden und trotzdem oder gerade deshalb davon überzeugt ist, die Hamas zerstören zu müssen. Sie nannten es »destroy«. In diesem einzelnen Wort spiegelt sich die ganze Komplexität des Gaza-Kriegs. Welches Wort soll man verwenden? Zerstören? Vernichten? Entwaffnen? Das Handwerk legen? Entmachten? 

In diesem einzelnen Wort spiegelt sich aber auch die Frage nach dem Ziel des Kriegs, denn jeder Krieg muss irgendwann enden. Er kann aber nur enden, wenn es dafür eine klare politische Ziellinie gibt. 

Wie wir beide wissen, hat der von uns von ganzem Herzen abgelehnte – ich möchte nicht sagen verachtete oder gar verhasste, denn es ist schon genug Verachtung und Hass im Spiel – Benjamin Netanjahu kein Ziel, außer jenem, den Krieg ohne Ziel weiterzuführen. Denn je länger der Krieg dauert, desto länger gibt es Netanjahu. Und wenn die Koalition mit seinen Spießgesellen Itamar Ben-Gvir und Bezalel Smotrich hält, geht das grausame Spiel weiter und immer weiter. 

In einem Gespräch mit Ami Ayalon, dem früheren Chef des israelischen Inlandsgeheimdienstes Shin Bet, trat in diesem Zusammenhang etwas sehr Interessantes zutage. Natürlich habe ich auch mit Ayalon nicht persönlich gesprochen, weil er es vorgezogen hat, mit der Frankfurter Allgemeinen zu sprechen. Sie mit CNN, er mit der Frankfurter Allgemeinen! Ich will nicht wehleidig sein, aber es schmerzt.

Er sagte, man bekämpfe nicht einen Feind, sondern seine Strategie. Es gehe nicht darum, so viele Kämpfer wie möglich zu töten, sondern darum, die Strategie des Feindes zu verstehen und alles zu tun, damit sie scheitert. Die Strategie der Hamas ist wahrlich einfach: Die israelische Armee in die Städte des Gazastreifens locken, damit die Soldaten nicht anders können, als dort möglichst viele Zivilisten zu töten und so die gesamte Welt auf die palästinensische Seite zu bringen, weil die Welt nicht versteht oder nicht verstehen will, dass die Hamas eben nicht die »palästinensische Seite« ist. Und genau das passiert. Seit 174 Tagen. 

Ziemlich clever, diese Mörderbande. »Mörderbande« sage ich, nicht Ayalon. Was aber Ayalon sagt, ist auch ziemlich clever: Will man die Hamas ausschalten, macht man Frieden. Denn Frieden zieht ihr den Boden unter den Terrorfüßen weg, das wäre ein Desaster für sie. So könnten wir beide aus unserem Dilemma herauskommen, liebe Fania Oz-Salzberger. Mit Frieden die Hamas vernichten.

Alles Liebe und ich freue mich schon auf das nächste Gespräch,
Ihr Harry Bergmann

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