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Der Tunnel-Krieg der Hamas

Blick in einen Hamas-Tunnel. (© imago images/Cover-Images)
Blick in einen Hamas-Tunnel. (© imago images/Cover-Images)

Die Strategie der Hamas zielt auf Zeitgewinn und zunehmenden internationalen Druck auf Israel ab. Ihr Tunnelsystem dient genau diesem Zweck.

John Spencer hat als Offizier der US-Armee in Einsätzen u. a. im Irak fünfundzwanzig Jahre Erfahrungen in moderner Kriegsführung gesammelt. Heute leitet er die Abteilung für urbane Kriegsführung der amerikanischen Militärakademie West Point. In der Zeit nach dem 7. Oktober 2023 war er mehrere Male in Israel und hat sich dort intensiv mit dem von der Hamas über Jahre aufgebauten Tunnelsystem unterhalb des Gazastreifens beschäftigt. Seine diesbezügliche zentrale Erkenntnis lautet: Tunnel haben in der Kriegsführung immer schon eine Rolle gespielt, aber noch nie waren sie ein so zentraler Bestandteil einer politisch-militärischen Strategie wie im Fall der Hamas im Gazastreifen.

Die Schätzungen, wie lange das seit geraumer Zeit bekannte Tunnelsystem der Hamas insgesamt wäre, haben sich Spencer zufolge nach dem 7. Oktober als viel zu niedrig erwiesen. Aktuell geht man von Tunneln in einer Gesamtlänge von über siebenhundert Kilometer aus, bestehend aus an die 5.700 Tunnelröhren mit über 1.500 Tunneleingängen. Bis zu einer Milliarde Dollar muss der Bau dieses Labyrinths gekostet haben, bis zu 6.000 Tonnen Beton und 1.800 Tonnen Metall wurden verbaut. »Die schiere Größe der unterirdischen Netze der Hamas könnte, sobald sie vollständig entdeckt sind, alles übertreffen, womit ein modernes Militär jemals konfrontiert wurde.«

Die wichtigste Waffe der Hamas

Doch das Ausmaß des Hamas-Tunnelsystems ist für Spencer gar nicht der wichtigste Punkt. Entscheidend und neu ist dem US-Offizier zufolge der Zweck des Unterfangens: Die Hamas benutze die Tunnel nicht nur, um sich militärische Vorteile gegen die viel stärkere israelische Armee zu verschaffen, sondern vor allem auch, um einen politischen Zweck zu erfüllen: »Die Hamas hat ihre riesigen Tunnelnetze in die Gesellschaft an der Oberfläche eingewoben. Die Zerstörung der Tunnel ist praktisch unmöglich, ohne die Bevölkerung im Gazastreifen zu beeinträchtigen.«

Genau darauf baut die politisch-militärische Strategie der Hamas auf: Geht Israel gegen die Tunnel der Hamas vor – was es tun muss, um die Bedrohung durch die Terrorgruppe auszuschalten –, kann Israel aufgrund der Platzierung der Tunnel gar nicht anders, als auch massive zivile Schäden und Opfer unter der Zivilbevölkerung zu verursachen. Deshalb sei die Hamas auch gar nicht daran interessiert, solche Opfer zu vermeiden, ganz im Gegenteil:

»Die Gruppe möchte, dass so viele Zivilisten wie möglich durch israelische Militäraktionen zu Schaden kommen. (…) Sie will die Aufmerksamkeit der Welt auf die Frage lenken, ob die IDF-Kriegsführung gegen die Kriegsgesetze verstößt, indem sie Hamas-Tunnel angreift, die eng mit zivilen und geschützten Orten verbunden sind.«

Nicht das Halten von Terrain oder das Töten israelischer Soldaten stehe im Vordergrund der Hamas-Strategie, sondern der Faktor Zeit. »Es geht darum, Zeit zu gewinnen, damit der internationale Druck auf Israel zunimmt, seine Militäroperation zu beenden.«

Der zunehmende internationale Druck ist die wichtigste Waffe der Hamas im Kampf gegen Israel, er allein kann ihr Überleben sichern. Der Tod palästinensischer Zivilisten ist für die Islamisten nur Mittel zum Zweck. Und wie sich gerade dieser Tage zeigt, scheint das strategische Kalkül der Islamisten aufzugehen – das Verhalten der sogenannten internationalen Gemeinschaft scheint das sicherzustellen.

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