Erweiterte Suche

Wer einen Waffenstillstand in Gaza möchte und wer nicht

Israels UNO-Botschafter Gilad Erdan: Hamas-Chef Sinwar ist für Waffenstillstand in Gaza zuständig
Israels UNO-Botschafter Gilad Erdan: Hamas-Chef Sinwar ist für Waffenstillstand in Gaza zuständig (© Imago Images / ZUMA Wire)

Auf Demonstrationen und Kundgebungen wird ein sofortiger Waffenstillstand für Gaza gefordert. Hamas-Führer Yahya Sinwar hingegen setzt auf Eskalation als einzige Chance für seine Terrorgruppe.

Die Forderung nach »Ceasefire Now« (»Waffenstillstand jetzt«) wird von jenen, die sich als pro-palästinensisch bezeichnen, seit längerer Zeit wie eine unglaublich subversive und dissidente Forderung präsentiert, unlängst etwa auf der Abschlussveranstaltung der diesjährigen Berlinale.

Nun mag man sich fragen, was an dieser Forderung eigentlich politisch so wünschenswert ist, zielt sie doch nur auf ein temporäres Ende eines Kriegs, den dieselbe Szene regelmäßig als Genozid oder Vernichtungskrieg bezeichnet. Aber nicht genug: Es stellt sich auch die Frage, warum sie fordern, was dieser Tage, um nur einige zu nennen, auch die Regierungen der EU, der USA und fast aller arabischen Länder fordern und unter diplomatischem Hochdruck zu erreichen versuchen.

Selbst, wer Israel nur bösen Willen unterstellt, und das tut diese »Ceasefire Now«-Szene mehrheitlich nun einmal, kann kaum bestreiten, dass auch auf israelischer Seite eine Majorität innerhalb der Regierung einen solchen Waffenstillstand befürwortet und lediglich einige Forderungen stellt, die zu erfüllen eigentlich für die Hamas kein großes Problem sein dürften.

Bleibt die Hamas selbst, die ganz offenbar in der Frage gespalten ist: Während ihr sogenannter politischer Flügel, der in Nobelhotels in Katar residiert, sich eher verhandlungsbereit zeigt, kristallisiert sich immer deutlicher heraus, dass der von Yahya Sinwar angeführte militärische Flügel in Gaza weit weniger Interesse an einem Waffenstillstand hat.

Aus Sinwars Sicht macht diese Haltung auch Sinn, hofft er doch, dass eine Großoffensive gegen Rafah mit weiteren zivilen Toten und die sich täglich verschlimmernde humanitäre Situation ihm in die Hände spielen. Er will schließlich nicht Frieden, sondern Krieg – deshalb hat er ihn auch am 7. Oktober angefangen – und Sieg über das verhasste »zionistische Gebilde«.

Das Wohlergehen der Zivilisten im Gazastreifen spielen für ihn dabei keine große Rolle, im Gegenteil spielt er, wie der aus Gaza stammende Aktivist Ahmed Fouad Alkhatib vor einigen Tagen schrieb, mit deren Schicksal Roulette. Keineswegs hält Sinwar mit diesen Ideen hinter dem Berg, sondern äußert sie sogar vergleichsweise offen:

»Die zunehmende Zahl von Opfern unter der Zivilbevölkerung im Gazastreifen wird den weltweiten Druck auf Israel verstärken, seine Militäraktionen gegen die Hamas einzustellen, erklärte der Anführer der Terrorgruppe im Gazastreifen, Yahya Sinwar, den mit den Waffenstillstandsgesprächen in Katar betruaten Hamas-Vertretern.«

Humanitäre Krise als strategische Waffe

Inzwischen hat der von Sinwar repräsentierte Teil der Hamas nämlich entdeckt, dass die sich verschärfende humanitäre Krise im Gazastreifen zu einer politischen Waffe in ihren Händen wird. Wer will schon genau wissen, warum Hilfsgüter nicht an ihr Ziel gelangen, warum die Verteilung so chaotisch abläuft und warum immer mehr Menschen nach Monaten des Kriegs unter chronischer Unterernährung leiden? Der Schuldige ist immer schnell zur Hand: Er heißt Israel.

Und je länger das Elend und der Krieg dauern, desto mehr gerät in Vergessenheit, wer ihn vom Zaun gebrochen hat. Sinwar scheint darauf zu spekulieren, dass nicht nur Israel international unter stärkeren Druck gerät, sondern der in wenigen Tagen beginnende Ramadan die Lage weiter eskalieren lassen könnte:

»Von israelischen Medien zitierte Beamte erklärten, Jerusalem vermute, dass Sinwar nicht die Absicht habe, eine Einigung zu erzielen, und bestätigten, dass sie glauben, er hoffe, die Gewalt während des Ramadans eskalieren zu lassen. In einem solchen Szenario befürchtet Israel eine Eskalation nicht nur an den Grenzen zum Gazastreifen und zum Libanon, sondern auch im Westjordanland, wo die Spannungen bereits hoch sind, sowie in Jerusalem, wo Zusammenstöße um den Tempelberg und den Zugang zur al-Aqsa-Moschee befürchtet werden.«

Kurzum, momentan ist es dieser Teil der Hamas, der einem Waffenstillstand im Wege steht. Folgerichtig wäre es also, die »Ceasefire Now«-Appelle mindestens mit ähnlicher Verve an ihn wie eben an die israelische Regierung zu richten, wollte die Bewegung auch glaubhaft machen, es ginge ihr wirklich um einen Waffenstillstand. Aber natürlich wird dies nicht geschehen, denn das würde ja das Narrativ von den Palästinensern als ewige Opfer israelischer Aggression konterkarieren, von dem große Teile dieser Bewegung leben, die eben nicht pro-palästinensisch, sondern anti-israelisch sind.

Der Artikel erschein zuerst bei Jungleblog.

Bleiben Sie informiert!
Mit unserem wöchentlichen Newsletter erhalten Sie alle aktuellen Analysen und Kommentare unserer Experten und Autoren sowie ein Editorial des Herausgebers.

Zeigen Sie bitte Ihre Wertschätzung. Spenden Sie jetzt mit Bank oder Kreditkarte oder direkt über Ihren PayPal Account. 

Mehr zu den Themen

Das könnte Sie auch interessieren

Wir sprechen Tachles!

Abonnieren Sie unseren Newsletter und erhalten Sie einen unabhängigen Blickzu den Geschehnissen im Nahen Osten.
Bonus: Wöchentliches Editorial unseres Herausgebers!

Nur einmal wöchentlich. Versprochen!