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Documenta: Antisemitismus in der Reisscheune

Kasseler Straßenbahn im Documenta-Design
Kasseler Straßenbahn im Documenta-Design (© Imago Images / Hartenfelser)

Die akribische Recherche einer Kasseler Initiative fördert zutage, dass die Kunstschau Documenta ein Antisemitismusproblem hat. Von ihren diesjährigen Protagonisten unterstützen viele die BDS-Bewegung, was im Kulturbetrieb keine Ausnahme ist. Der Kasseler Oberbürgermeister wiegelt ab, auch die Verteidiger der Israel-Boykotteure in den Medien haben keine guten Argumente.

Mit einem ausführlichen Beitrag auf seiner Website hat das Kasseler Bündnis gegen Antisemitismus (BGA) eine überregionale Diskussion über antisemitische Tendenzen im Zusammenhang mit der Mitte Juni ebenfalls in Kassel beginnenden, zum 15. Mal stattfindenden Kunstschau Documenta angestoßen.

Insbesondere geht es dabei um die Beteiligung von Künstlern, Künstlergruppen und Verantwortlichen, die die gegen Israel gerichtete, antisemitische BDS-Bewegung unterstützen. Das BGA hat seine Rechercheergebnisse mit zahlreichen Belegen versehen, sodass sich überprüfen lässt, inwieweit die geäußerte Kritik zutrifft. Die zentralen Punkte dieser Kritik sind, zusammengefasst, diese:

1.) Bereits in der Findungskommission der Documenta – die die künstlerische Leitung respektive das Kuratorenteam der Schau benennt und später die Funktion des Beirats übernimmt, der den weiteren Projektprozess begleitet – sitzen die »im Kulturbetrieb offensichtlich unvermeidlichen Vertreter der Fraktion der ›Israelkritik‹ mit am Tisch«, wie das BGA schreibt.

Gemeint sind Amar Kanwar und Charles Esche. Der Filmemacher Kanwar gehört zu den Unterzeichnern eines BDS-Aufrufs der indischen Campaign for the Academic and Cultural Boycott of Israel.

Der Kunsthistoriker und Museumsdirektor Esche hat den Aufruf »Wir können nur ändern, was wir konfrontieren« unterschrieben, der im Dezember 2020 veröffentlicht wurde. Er ist eine Solidaritätserklärung für die „Initiative GG 5.3 Weltoffenheit“, die sich gegen den Anti-BDS-Beschluss des Deutschen Bundestages aus dem Jahr 2019 richtet; in Ton und Inhalt ist diese Erklärung sogar noch deutlich schärfer formuliert als die Stellungnahme der Initiative.

2.) Die Findungskommission hat das indonesische Künstlerkollektiv Ruangrupa aus Jakarta mit der künstlerischen Leitung der 15. Documenta beauftragt. Zur Ruangrupa gehören unter anderem Ade Darmawan und Farid Rakun, zwei antiisraelische Aktivisten.

Darmawan zählt zu den Unterstützern des stramm antizionistischen Aufrufs »A Letter Against Apartheid«, in dem Israel als »Apartheidsystem« bezeichnet wird; zudem werden dem jüdischen Staat »Kolonialismus«, »ethnische Säuberungen« und »Verbrechen gegen die Menschheit« vorgeworfen.

Rakun hat einen offenen Brief von Künstlern an die Fundação Bienal de São Paulo unterschrieben, der sich gegen finanzielle Zuwendungen des israelischen Staates für die große Kunstbiennale in der brasilianischen Stadt São Paulo richtet. »Durch die Annahme dieser Finanzierung wird unsere künstlerische Arbeit, die in der Ausstellung gezeigt wird, untergraben und implizit zur Reinwaschung von Israels anhaltenden Aggressionen und Verletzungen des Völkerrechts und der Menschenrechte verwendet«, heißt es in dem ideologisch motivierten Schreiben.

Ein Anhänger Hitlers als Namenspatron

3.) Zum künstlerischen Team der Documenta gehört die Kuratorin Lara Khaldi. Auch sie hat den Aufruf »Wir können nur ändern, was wir konfrontieren« zur Verteidigung der BDS-Bewegung unterzeichnet, außerdem einen »Call to Action« gegen »die israelische Kolonialherrschaft und das israelische Apartheidsystem« sowie gegen das Museum of Modern Art in New York wegen dessen angeblicher »Verflechtung mit den sich gegenseitig verstärkenden Projekten des Siedlerkolonialismus, des Imperialismus und des rassistischen Kapitalismus in Palästina, den USA und auf der ganzen Welt«.

4.) Das Ausstellungskonzept der Ruangrupa sollen 14 Künstlergruppen bei der Documenta in die Tat umsetzen. Sie alle wurden zu »Lumbung Members« ernannt, wobei »Lumbung« so viel wie »kollektiv verwaltete Reisscheune« bedeutet.

Eine dieser Gruppen ist das palästinensische Künstlerkollektiv The Question of Funding, das seine Ursprünge im Khalil al Sakakini Cultural Center (KSCC) hat. Dieses Zentrum wurde 1996 als Unterabteilung des palästinensischen Kultusministeriums gegründet, seit 1998 ist es eine Kunst- und Kultur-NGO mit Sitz in Ramallah und Außenstellen unter anderem in Gaza und Bethlehem.

Der 1953 verstorbene Namensgeber Khalil al-Sakakini, ein Pädagoge und Schriftsteller, war ein überzeugter Anhänger des Nationalsozialismus, der die Politik von Adolf Hitler befürwortete und an eine jüdische Weltverschwörung glaubte. Das KSCC rief bereits 2005 zu einem akademischen Boykott Israels auf und vertritt auch heute keine andere Position.

Der Anti-Israel-Aktivismus ist bei der Documenta prominent vertreten

5.) Die Ruangrupa stellt neben der erwähnten Lara Khaldi auch Yazan Khalili als Sprecher von The Question of Funding vor. Beide waren in leitender Funktion für das KSCC tätig. Wie das Zentrum befürwortet auch Khalili einen Boykott Israels. Er unterstützt die BDS-Bewegung, die ihm sogar noch zu zurückhaltend ist, wie aus seinem Text »The Utopian Conflict« hervorgeht.

»Statt lediglich passiv-aggressiv die Vernichtung Israels durch ein ›Rückkehrrecht‹ zu betreiben, solle man doch lieber von vorneherein offen und ehrlich verlangen, die Existenz des zionistischen Staates zu beenden«, fasst das Bündnis gegen Antisemitismus Khalilis Position zusammen. Israel sei nichts als ein Ghetto, in dem den Juden eine nationale Identität aufgezwungen worden sei, die es gar nicht gebe; BDS sei erst dann am Ziel, wenn Israel kein jüdischer Staat mehr sei.

6.) Zu den »Lumbung Members« zählen weitere Unterstützerinnen und Unterstützer eines gegen Israel gerichteten Boykotts, etwa die Filmregisseurin Marwa Arsanios (Unterzeichnerin des Aufrufs »Wir können nur ändern, was wir konfrontieren«), die Künstlerin Jumana Emil Abboud (Unterzeichnerin von »A Letter Against Apartheid«) sowie die Künstlerin und Kulturwissenschaftlerin Yasmine Eid-Sabbagh (Unterzeichnerin der Campaign to Boycott the Oral History Conference at the Hebrew University of Jerusalem).

Der Anti-Israel-Aktivismus ist bei der Documenta also zahlreich, prominent und an wesentlichen Stellen vertreten. Überhaupt ist er »ein wichtiges Standbein des postmodernen Kunstbetriebes«, wie das BGA Kassel festhält.

Das BGA Kassel hat die Medien herausgefordert

Auf der Website der Documenta findet sich zu alledem bislang nur eine dürre Stellungnahme, in der es lediglich ganz allgemein heißt, man unterstütze »in keiner Weise Antisemitismus«, sondern vielmehr »das Anliegen, Antisemitismus, Rassismus, Rechtsextremismus, gewaltbereitem religiösem Fundamentalismus sowie jeder Art von Diskriminierung entschieden entgegenzutreten«. Mit der Kritik werden man sich »intensiv auseinandersetzen«. Der Documenta-Aufsichtsrat will sich der Problematik in einer Sondersitzung widmen.

In den Medien finden die ausgiebigen Recherchen des BGA dagegen reichlich Widerhall. Unter anderem haben Thomas E. Schmidt in der Zeit, Andreas Fanizadeh in der taz und Stefan Trinks in der FAZ sie aufgegriffen und festgehalten, dass die Documenta offensichtlich ein Antisemitismusproblem hat.

Dort, wo man sich zur Verteidigung der Documenta aufschwingt, sind die Argumente allerdings reichlich mager. In Monopol etwa, dem »Magazin für Kunst und Leben«, versucht Elke Buhr, das Khalil al Sakakini Cultural Center und seinen Namensgeber herunterzuspielen und geht auf die auch aktuell noch vertretenen antiisraelischen Positionen des Zentrums nicht mit einem Wort ein:

»Ja, der Mann war Antizionist und propagierte auch Gewalt im Kampf gegen die Gründung des Staates Israel. Aber er ist nicht selbst zur Documenta eingeladen, er ist tot. Er wird noch nicht mal mehr im Namen des Kollektivs erwähnt, das auf die Documenta eingeladen wurde. Dieses Kollektiv nutzt einfach die Strukturen des Kulturzentrums, das nach ihm heißt.

Will man sich wirklich an so etwas hochziehen? Auch in Kassel wohnen bis heute Menschen in Straßen, die nach Antisemiten und Kolonialverbrechern benannt wurden.«

Die Entgegnungen auf die BGA-Kritik sind äußerst dürftig

Im Beitrag des BGA wird nachgewiesen, dass in der Vorankündigung der Documenta auf Facebook und in den Medien noch das KSCC als »Lumbung Member« aufgeführt wurde, bevor man es plötzlich durch The Question of Funding ersetzte, wobei es die erwähnten personellen Übereinstimmungen gibt.

Das BGA vermutet deshalb, dass es sich bei Question of Funding um einen Decknamen des KSCC handelt, der gewählt wurde, um zu verschleiern, worum es sich beim Zentrum und bei seinem Namensgeber handelt. Diese Erklärung ist jedenfalls erheblich plausibler als Buhrs Annahme, dass die Gruppe »einfach die Strukturen des Kulturzentrums [nutzt], das nach ihm heißt«, also gar keine Verbindung zum glühenden Antisemiten Khalil al-Sakakini sieht.

Doch anders als Menschen, die in Straßen wohnen, die »nach Antisemiten und Kolonialverbrechern benannt wurden«, waren die Kollektivsprecherin Lara Khaldi und der Kollektivsprecher Yazan Khalili zuvor jahrelang in der Leitung des KSCC, das mit seinen antisemitischen Aktivitäten sehr wohl in der Tradition seines Namensgebers stand und steht. Sie nutzen mitnichten nur »einfach die Strukturen«.

»Sobald man Künstlerinnen und Künstler mit Verbindungen zur arabischen Welt oder zum globalen Süden einlädt, wird man auf Menschen treffen, die eine andere Haltung zum BDS haben als es die offiziellen Leitlinien bundesdeutscher Politik vorsehen«, schreibt Buhr weiter. Treffend entgegnet Andreas Fanizadeh in der taz:

»Lassen sich menschenrechtliche Standards so leicht außer Kraft setzen? Oder müsste es nicht vielmehr heißen, so manche Kunstfunktionäre laden gern ein, wer den eigenen stereotypen Vorstellungen einer Kritik an ›dem‹ Kapitalismus und Israel entspricht? All die anderen vermögen sie oft nicht als ›authentische‹ Subjekte zu erkennen.«

Auch Till Briegleb bemüht sich in der Süddeutschen Zeitung gar nicht erst, den Rechercheergebnissen des Bündnisses gegen Antisemitismus argumentativ zu begegnen.

Er begnügt sich damit, sie als »eher zweifelhafte Hinweise« zu bezeichnen, ohne sie zu entkräften. Er gibt sich damit zufrieden, dass die Ruangrupa »jede antisemitische Idee von sich« weist, und verniedlicht deren antiisraelischen Aktivitäten als »Positionen, die zu Widerspruch reizen«. Er stößt sich am vermeintlich »degradierenden Vokabular« des BGA, als ob das ein einziges inhaltliches Argument entkräften würde.

Womöglich vertraut Briegleb darauf, dass es die Leserschaft der SZ gar nicht genauer wissen will. Deutlich wird in jedem Fall, dass er der Kritik des BGA nichts Substanzielles entgegenzusetzen hat.

Der Kasseler Oberbürgermeister ist überfordert

Der Kasseler Oberbürgermeister Christian Geselle meint derweil, eine Überprüfung des Tuns der Documenta-Künstler »oder gar einen Eingriff in die künstlerische Freiheit« dürfe es nicht geben. Und wenn doch, dann nur »bei Überschreitung der roten Linien«, die in »Antisemitismus, Rassismus, Rechtsextremismus, gewaltbereitem religiösen Fundamentalismus sowie jeder Art von Diskriminierung« bestünden.

Diese Überschreitung habe es jedoch »bislang nicht gegeben«, was »auch von renommierten Dritten« in dieser »nicht sachlich vom Zaun gebrochenen und aufgeheizten Debatte« geteilt werde.

Eine einigermaßen dürftige Erklärung, die ebenfalls ohne Argumente auskommt. In einem Zeitungsbeitrag wird Geselle zudem lachend mit den Anti-Israel-Aktivisten Ade Darmawan und Farid Rakun von der Ruangrupa gezeigt. Auf der Documenta darf für ihn kein Schatten liegen, und wenn es doch einen gibt, dann haben diejenigen ihn verursacht, für die nicht alles eitel Sonnenschein ist.

Dass man als überforderter Bürgermeister einer Provinzstadt, in der eine große Kunstschau stattfindet, so reagiert, ist wahrscheinlich nicht einmal verwerflich.

Die neue Kulturstaatsministerin Claudia Roth teilt unterdessen mit:

»Ich engagiere mich seit Jahrzehnten im Kampf gegen Rassismus und Antisemitismus. Deswegen habe ich Kontakt mit den Trägern der Documenta, dem Bundesland Hessen und der Stadt Kassel aufgenommen. Wir werden am Montag mit der Documenta zusammenkommen und über die notwendige Überprüfung der Vorwürfe beraten.«

Roth gehörte zu denjenigen Bundestagsabgeordneten, die den Anti-BDS-Beschluss des Bundestages kritisch sahen. Es wäre deshalb eine Überraschung, wenn sie sich gegen die israelfeindlichen Tendenzen der 15. Documenta positionieren würde. Obwohl die Recherchen und Argumente des Kasseler BGA überaus stichhaltig sind – und Konsequenzen dringend nahelegen.

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