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Die neue Türkei, Marke Erdogan

Die neue Türkei, Marke Erdogan„Die Schaffung der ‚neuen Türkei‘ sollte es sein, darunter wollte die AKP-Regierung es nicht machen. Dieses grandiose Ziel stellten Erdogan und seine Getreuen den Wählern in Aussicht, um ihre Regierung auf Dauer zu etablieren. Schlussendlich kreierten sie dann zwar tatsächlich eine neue Türkei. Doch nach ihren bisher sechzehn Jahren an der Regierung kann man darüber streiten, ob die neue besser ist als die alte. Ein paar Fakten allerdings sind unbestreitbar: Wir sind in zwei Pole gespalten, die den jeweils anderen nicht dulden, und strampeln uns in ‚Anomie‘ ab. Gemeinsame Werte haben wir nicht mehr, ebenso wenig wie funktionierende Regeln. Bestrebt, von Wirtschaft bis Rechtswesen jedes Gebiet zu restrukturieren, ließen die Schöpfer der neuen Türkei kein einziges Rädchen übrig, das noch funktionieren würde. Die heutige Türkei hat jede Verbindung zur konkreten Realität verloren. Alles ist nur noch der Schein, den die auf ewigen Fortbestand bedachte Regierung schuf. Wer dem Schein glaubt und der Regierung bedingungslos huldigt, lebt hierzulande in Frieden. Wem es dagegen um Tatsachen zu tun ist, wer widerspricht, hat mit dem Unglück zu kämpfen.

Falls diese kurze Skizze Sie verwirrt hat, helfen Ihnen vielleicht die Ereignisse der letzten Woche weiter. Beginnen wir bei der Wirtschaft. Im Land herrscht die schlimmste Wirtschaftskrise seit 2001. Die Inflationsrate ist auf beinahe dreißig Prozent geklettert, die Arbeitslosigkeit eskaliert, Investitionen werden kaum noch getätigt, das Getriebe des Marktes ist praktisch zum Stillstand gekommen. Täglich gehen etliche Firmen pleite oder in die Insolvenz. Banken erhalten keine Tilgung für ihre Kredite mehr. Die Verantwortlichen für dieses Tableau geben unterdessen Statements ab, als wollten sie uns verspotten. Für Fehler übernehmen sie grundsätzlich nicht die Verantwortung, sondern schieben die Sache einem ausgedachten Feind in die Schuhe. (…)

In wessen Hände der Staat gelegt wird, erfuhren wir vergangene Woche anhand eines besonders frappierenden Beispiels. Als Gouverneur von Istanbul, der größten Stadt der Türkei und zugleich eine der größten Metropolen der Welt, wurde ein höchst interessanter Mann eingesetzt. Ali Yerlikaya war zuvor Gouverneur von Gaziantep. In seiner Amtszeit starben dort bei einem IS-Anschlag auf eine Hochzeitsfeier 56 Menschen. Nach dem Attentat sprengte der Attentäter sich selbst in die Luft, Yerlikaya sagte dazu: ‚Damit durch den IS niemand zu Schaden kommt, hat er sich auf einer Baustelle in die Luft gesprengt.‘ Was soll man nun davon halten, dass jene, die einen solchen Gouverneur nach Istanbul holen, sich rühmen: ‚Den größten Kampf gegen den IS haben wir geführt.‘? Ach ja, derselbe Gouverneur hatte zum Boykott des amerikanischen Konzerns Coca-Cola aufgerufen und trank zu diesem Zweck vor laufenden Kameras demonstrativ Fanta, die dasselbe Unternehmen herstellt. (…)

Im Einsatz gegen die PKK erfroren zwei Soldaten, weil sie keine Winterausrüstung hatten. Zehn weitere konnten im letzten Augenblick vor dem Tod durch Erfrieren bewahrt werden. Unsere Armee ist nicht in der Lage, ihre jungen Soldaten so auszustatten, dass sie nicht erfrieren. Aber für den Bau einer Moschee im Park des größten Militärhospitals im Land stehen rund anderthalb Millionen Euro zur Verfügung. (…)

Ein Beispiel dafür, wie stark der islamistische Konservatismus unser Leben im Griff hat, zeigt eine Meldung aus der letzten Woche. In diesem Land, in dem Frauen das aktive und passive Wahlrecht früher als in zahlreichen europäischen Ländern erhielten, wurde jetzt verboten, dass Männer und Frauen im Zug nebeneinandersitzen! Nehmen wir an, Sie sind ein Mann und wollen mit dem Zug von Ankara nach Istanbul fahren. Ist ein Platz schon für eine Frau reserviert, haben Sie keine Chance, den Platz daneben zu buchen. Selbst wenn er frei sein sollte, bekommen Sie von der Staatsbahn die Auskunft, es sei kein Platz frei. Allmählich entsteht bei Ihnen ein Bild von der neuen Türkei, nicht wahr?“ (Bülent Mumay: „Der Welt ein Vorbild – leider ein schlechtes“)

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