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Wagner-Aufstand in Russland: Die antisemitischen Erklärungen Moskaus und Teherans

Teilen nicht nur wirtschaftliche, sondern auch ideologische Interessen: Russlands Präsident Putin und Irans Präsident Raisi und
Teilen nicht nur wirtschaftliche, sondern auch ideologische Interessen: Russlands Präsident Putin und Irans Präsident Raisi und (© Imago Images ZUMA Wire)

Die Lektüre regimefreundlicher Medien zeigt eine erstaunliche und beunruhigende Ähnlichkeit zwischen den antisemitischen Motiven im Iran und jenen, die in der Russischen Föderation aktuell vorherrschen.

Alexander Grinberg

Während der russische Präsident Wladimir Putin selten über die ethnische Herkunft des ukrainischen Präsidenten spricht, bezeichnete er Wolodymyr Selenskyj am 15. Juni als eine »Schande für das jüdische Volk«. Da Putin generell nicht offen antisemitisch ist, ist es wichtig, seine Aussagen im Speziellen russischen Kontext zu verstehen. 

Besonders erwähnenswert ist diesbezüglich, dass Putin einen historischen Hintergrund im ehemaligen sowjetischen KGB hat: Während die politische Polizei der Sowjetunion immer schon einem geradezu instinkthaften Antisemitismus frönte, kam sie Ende der 1980er Jahre zu dem Schluss, der staatliche Antisemitismus und das Auswanderungsverbot für sowjetische Juden seien strategische Fehler gewesen. Putin teilt den Glauben an eine jüdische Verschwörung und an die angebliche Kontrolle über die Welt, wegen derer es vorteilhafter sei, mit den Juden auf gutem Fuß zu stehen. 

Im Gegensatz dazu haben Politiker in niedrigeren Positionen unter Putin keine Angst, sich offen antisemitisch zu äußern. Am 1. Mai 2022 führte etwa der russische Außenminister Sergej Lawrow ein Interview mit einem italienischen Fernsehsender, in dem er auf die Frage, wie Russland behaupten könne, in der Ukraine gegen Nationalsozialisten zu kämpfen, wenn Präsident Selenskyj doch selbst Jude sei, antwortete, dass »das absolut nichts bedeutet: Es ist möglich, dass ich mich irre, aber Hitler hatte auch jüdisches Blut«.

Während die Äußerungen Lawrows und anderer Politiker aus dem Regierungslager dem klaren Ziel dienen, die russische Aggression zu rechtfertigen, ist auch die patriotische Opposition gegen Putin offen antisemitisch. So verweist Igor Girkin-Strelkov, der sich offen gegen »Satanisten und Zionisten« ausspricht, auf angebliche Juden unter Putins Anhängern wie den erst vor Kurzem in Ungnade gefallenen Chef der Wagner-Gruppe, Jewgeni Prigoschin, und behauptet, Zionisten hätten keine moralischen Skrupel und könnten den mit den Nationalsozialisten kollaborierenden ukrainischen Politiker Stepan Bandera oder sogar Hitler rechtfertigen, geht es um die Tötung von Russen.

Iranischer Beistand

Die offizielle und inoffizielle iranische Propaganda unterstützt Putin interessanter-, aber nicht überraschenderweise, etwa durch Drohnenlieferungen für den Einsatz in der Ukraine  – und verstärkt den antisemitischen Hass nach denselben Kriterien, nach denen schon der sowjetische Judenhass funktionierte: sie verwendet das Wort »Zionisten« anstelle von »Juden«. 

Der Chefredakteur des persischsprachigen russischen Senders Sputnik, Emad Abshenass, verfasste am 3. Mai 2022 einen Kommentar, in dem er auf Lawrows Äußerungen einging und erklärte, dieser habe seine Aussagen nicht ohne Beweise gemacht. Der Artikel beinhaltet die schlimmsten antisemitischen Verleumdungen und leugnet den Holocaust. 

Abshenass behauptet darin, Hitler sei ein uneheliches Kind, dessen Mutter vom Sohn einer jüdischen Familie vergewaltigt worden sei, in deren Haus sie als Dienstmädchen gearbeitet habe. »In anderen Dokumenten wird die Abstammung von Hitlers Mutter auch mit afrikanischen Juden in Verbindung gebracht, die nach Europa einwanderten und offiziell konvertierten, um sich als Christen auszugeben und in katholischen Gesellschaften leben zu können«, schreibt Abshenass weiter und behauptet, Hitler habe dafür gesorgt, dass diese Informationen zensiert werden, woran sich die in jüdischer Hand befindlichen europäischen Medien auch gehalten hätten.

»Diejenigen, die sich eingehend mit den zionistischen Aktivitäten während des Zweiten Weltkriegs befasst haben, wissen sehr wohl, dass es während dieses Konflikts zwei verschiedene zionistische Gruppen gab, von denen eine in Berlin und die andere in London ansässig war«, fährt Abshenass fort. »Nazi-Deutschland war zu dieser Zeit der einen zionistische Führung sehr nahe, wie England und die Vereinigten Staaten der anderen zionistischen Führung nahestanden.«

Jede der beiden zionistischen Führungen habe auf einen Ausgang des Konflikts zwischen dem Nationalsozialismus und den Westmächten gehofft, der sicherstellte, dass sie von jener Macht die Unterstützung unterhielt, in deren Hauptstadt sie angesiedelt war. »Es hängt nicht so sehr von der Geburtsurkunde, der Religion, der ethnischen Zugehörigkeit oder anderen Merkmalen ab, ob jemand ein Nazi ist oder nicht«, fabulierte Emad Abshenass weiter, der einen Doktortitel in Philosophie besitzt und ist in allen möglichen antiwestlichen, aber auch westlichen Medien wie Sky News zu finden ist, von al-Jazeera bis zum Hisbollah-nahen Sender al-Mayadeen.

Erstaunliche Ähnlichkeit

Die Lektüre regimefreundlicher Medien zeigt eine erstaunliche und beunruhigende Ähnlichkeit zwischen den antisemitischen Motiven im Iran und den Motiven, die in der Russischen Föderation aktuell vorherrschen. Das antisemitische Muster bedient verschwörungstheoretische Ressentiments und verwendet das Wort »Zionisten«anstelle von »Juden«. Selbstverständlich unterstützt der Iran Russland und ist dem Westen gegenüber feindlich eingestellt. 

Die jüngste Meuterei des Wagner-Führers Prigoschin scheint den Antisemitismus weiter gestärkt zu haben, da viele Russen Israel und die Zionisten (einschließlich des gesamten Westens) für den Aufruhr verantwortlich machen. Als die Offensive der ukrainischen Streitkräfte im Donbass und in Saporischschja in Stocken geriet, habe der versuchte Aufstand in Russland begonnen, sagte etwa der von 2012 bis 2019 als Berater Putins tätige Sergei Glazyev im offiziellen Kreml-Kanal RT. Er betonte, dass »es zweifellos die Geheimdienste der USA, Großbritanniens und möglicherweise eines Landes im Nahen Osten sind, welche die Meuterei inszenieren und steuern«.

Ein Kommentar der iranischen Zeitung Kayhan, deren Chefredakteur Hossein Shariatmadari ein Sprachrohr des Obersten Führer des Irans, Ali Khamenei, ist, trug in ganz ähnlicher Weise den Titel »Die Rolle der Geheimdienste des westlichen und zionistischen Regimes bei der Wagner-Meuterei«. Agha Bagheri, ein regimetreuer Twitter-Nutzer, twitterte über die Wagner-Meuterei, er habe einen Freund, der russischer Patriot ist: »Auf dem Höhepunkt des russischen Sieges im Krieg sagte ich zu ihm: Gott sei Dank, Russland gewinnt.‹ – ›Nein, das ist falsch‹, erklärte er: ›Die Juden haben die Russische Föderation bis ins Mark infiltriert.‹« Und der Journalist Reza Abbasi bot Putin iranische Hilfe bei der Bekämpfung des Prigoschin-Aufstands an. 

Selenskyj wurde vom iranischen Telegram-Kanal Revolution Radar als »zionistischer Clown« bezeichnet, der dazu gezwungen werde, die Ukraine zu verwüsten. Ein offen antisemitisches Video auf demselben Kanal beginnt mit den Worten: »Warum hat Satan die Maske des zionistischen Juden gewählt, um seine Ziele in der Zukunft zu erreichen?«Der Kanal machte sich in derselben Weise über Selenskyj und den amerikanischen Präsidenten Joe Biden lustig und verbreitete eine Nachricht, in der es hieß, »der Holocaust-Mythos« sei »nur eines der Instrumente, welches die Juden während des Zweiten Weltkriegs erfunden haben, um in Europa, Amerika und im Nahen Osten zu expandieren«.

Leitlinien der Kreml-Propaganda

Die offizielle iranische Darstellung der Ukraine und des russischen Kriegs folgt den Leitlinien der Kreml-Propaganda, auch wenn Letztere auf offenen Antisemitismus und Holocaust-Leugnung verzichtet. Dennoch kann man die Identität der zentralen Propagandapunkte aufzeigen: 

  • Selenskyj sei ein Clown, 
  • in der Ukraine hätte Nationalsozialisten das Sagen, 
  • der Krieg richte sich nicht gegen das ukrainische Volk, ganz im Gegenteil:
  • das ukrainische Volk sei zum Werkzeug des Westens geworden.

Es ist bemerkenswert, dass während der Sowjetherrschaft der Begriff »Nazismus« praktisch unbekannt war. Stattdessen wurde im offiziellen sowjetischen Diskurs der Begriff »faschistisch« verwendet, wobei kein Unterschied zwischen dem Nationalsozialismus und anderen faschistischen und autoritären Bewegungen gemacht wurde. 

Heute dient der Begriff »Nazi« oder »Neo-Nazi« demselben Zweck wie zu Sowjetzeiten der Begriff »Faschist«: Er hat nichts mit dem historischen Nationalsozialismus oder dem Holocaust zu tun, sondern ist bloß ein Instrument, jeden, der sich den russischen Ambitionen widersetzt, als Nazi zu bezeichnen. Der Unterschied zwischen dem russischen und dem iranischen Propagandadiskurs, ist, dass Ersterer antisemitische Bilder eher instrumentell eingesetzt, Letzterer den Judenhass und die Holocaust-Leugnung jedoch absichtlich schürt – und sich also stärker intentional gegen Juden richtet.

So verbreitete die iranische Nachrichtenseite Mehrnews bereits vor einem Jahr, das russische Außenministerium mache Israel für die Unterstützung der Neonazis in der Ukraine verantwortlich. Ein inoffizieller Kommentator auf der lokalen iranischen Videoplattform Aparat sagte, die Ukraine sei ein Opfer westlicher Ränke und Selenskyj »ein dreckiger jüdischer Nazi und Zionist«. Das Tahririye-Forschungsinstitut wiederum veröffentlichte einen Artikel über »die jüdischen Nazis in der Ukraine«, in dem auch Lawrow zitiert wurde. 

Es ist das Regime, nicht die Bevölkerung

Aber nicht nur iranische, sondern auch arabische soziale Medien sind voll von antisemitischen Verleumdungen Selenskyjs, der stets als zionistischer Jude dargestellt wird, der die Entscheidungen Amerikas und des globalen Zionismus – ein weiteres sowjetisches wie iranisches Schlagwort für Juden – ausführe. Der iranische arabischsprachige Sender Al-Alam verbreitete Dmitri Medwedews Vergleich des »Clowns Selenskyj« mit Adolf Hitler. Das palästinensische und der Hamas nahestehende Dialognetz twitterte als Antwort auf Selenskyjs Unterstützung für Israel während der Gefechte mit der Hamas im Jahr 2021: »Ein Clown der Vergangenheit, ein Clown für immer, du wirst deine Lektion eines Tages auf die harte Tour lernen, wenn russische Kampfjets über Kiew, Charkow und Odessa fliegen.«

Konsequenterweise geht die Beschwörung der »jüdischen Nazis in der Ukraine« immer wieder einher mit offener Holocaust-Leugnung, -Relativierung und -Verfälschung. Die Nachrichten-Website des Young Journalists Clubveröffentlichte anlässlich des Internationalen Holocaust-Gedenktags einen Artikel mit der Überschrift »Der Holocaust: Eine falsche Legende, um Jahrzehnte der Besatzung zu rechtfertigen.« Das Jewish Studies Center [sic!] wirbt in einem Artikel mit dem Titel »Der Holocaust der Juden an den Deutschen«, in dem der anonyme Autor behauptet, der ehemalige US-Präsident Dwight D. Eisenhower sei Jude gewesen, für das Buch Other Losses des kanadischen Holocaust-Leugners James Bacque. 

Diese Art von Antisemitismus, einschließlich der Holocaust-Leugnung, kann nicht als nicht repräsentativ, provinziell oder beschränkt abgetan werden. Sie ist das Fleisch und Blut der offiziellen khomeinistischen Weltanschauung. Die persönliche Website des Obersten Führers des Irans, Ali Khamenei, enthält zahlreiche Artikel über die vom Regime behauptete »Holocaust-Legende«.

Angesichts dessen ist es bemerkenswert, dass die meisten Iraner den Antisemitismus des Regimes ebenso ablehnen wie das Bündnis mit Putin und die Aggression gegen die Ukraine. Das iranische Regime unterdrückt das iranische Volk und unterstützt den Terrorismus in der ganzen Welt. Die genannten Beispiele für antisemitische Propaganda verdeutlichen die häufig verschwiegene Tatsache, dass der Konflikt nicht zwischen Israel und dem Iran als Nation, sondern zwischen Israel und dem islamistischen Regime besteht. 

Der Konflikt entspringt also weniger geopolitischen Fragen als vielmehr dem Hass auf Israel, was sich nicht zuletzt an der iranischen Propaganda zeigt und daran, dass das iranische Regime gegen die schiere Existenz Israels auftritt und nicht gegen eine bestimmte israelische Politik. Der Konflikt zeigt auch, dass diejenigen, die es auf Juden abgesehen haben, sich nie mit Juden begnügen, sondern sich immer mit anderen Tyrannen verbünden, um Freiheit und Demokratie zu unterdrücken – in diesem Falls nicht nur im Iran, sondern auch in der Ukraine und in Russland. Damit ist der Slogan der iranischen Demonstranten, »Frau, Leben, Freiheit«, noch nie so aktuell wie heute.

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