Verbrecherisch ist Irans Regime, aber nicht das iranische Volk

Anti-Amerikanismus an der Wand der ehemaligen US-Botschaft im Iran (Kamyar Adl/CC BY 2.0)
Anti-Amerikanismus an der Wand der ehemaligen US-Botschaft im Iran (Kamyar Adl/CC BY 2.0)

Irans Demonstranten weigern sich, auf amerikanischen und israelischen Fahnen herumzutrampeln – und erteilen damit der Islamischen Republik eine Absage.

Von Ben Cohen

Kritiker bis hin zur Führung der Demokratischen Partei im US-Kongress befürchteten, dass die Ermordung Soleimanis die Wut des iranischen Volkes auf die Vereinigten Staaten anheizen würde. Ein kanadischer Geschäftsführer, der sich über den tragischen Tod der Frau und der Kinder eines iranischen Kollegen im abgeschossenen Jet ärgerte, sorgte für Schlagzeilen, als er in einer Serie von Tweets die Regierung von US-Präsident Donald Trump angriff, den er in scharfen Worten kritisierte (‚ein Narzisst in Washington‘). Die Passagiere wären alle tot, so Michael McCain, Chef der kanadischen Firma Maple Leaf Foods, weil ein ‚schlecht durchdachter Plan [die Ermordung von Soleimani] den Fokus von politischen Problemen ablenken sollte‘. Er bezog sich auf das Amtsenthebungsverfahren gegen Trump am Capitol Hill.

Doch Tausende iranische Bürger sahen dieselbe Angelegenheit auf völlig andere Weise. Nach Ansicht der Demonstranten, die jetzt auf den iranischen Straßen unterwegs sind, waren es Soleimanis Auslandsabenteuer im Irak, in Syrien, im Libanon und im Gazastreifen, mit denen das islamistische Regime im eigenen Land ‚von den politischen Problemen ablenken‘ wollte. Tatsächlich war dies in den letzten zehn Jahren immer dann eine der Hauptbeschwerden, wenn Proteste im Iran ausbrachen. Im Jahr 2018 skandierten die Demonstranten den Spruch ‚Nicht für Gaza, nicht für den Libanon – ich gebe mein Leben für den Iran‘. 2019, als die Proteste immer wütender wurden, war von einigen Demonstranten ‚Tod für Palästina‘ zu hören, während sie Polizeireihen gegenüberstanden.

So beunruhigend ‚Tod für Palästina‘ für westliche Ohren auch klingen mag, die Feindseligkeit richtete sich hier nicht gegen das palästinensische Volk, sondern gegen die Ideologie der Islamischen Republik, die den palästinensischen Kampf stets als die wichtigste Angelegenheit des muslimischen Widerstands gegen westliche Herrschaft dargestellt hat. Ironischerweise ist es die Fixierung des Regimes auf die Sache Palästinas, die den inneriranischen Widerstand gegen die Herrschaft der Mullahs beflügelt hat.

Im Jahr 2015, wenige Wochen nachdem die Vereinigten Staaten und fünf andere Weltmächte ihr irregeleitetes Abkommen mit dem Iran über dessen Atomprogramm abgeschlossen hatten, veröffentlichte Ayatollah Ali Khamenei – der so genannte ‚oberste Führer‘ der Islamischen Republik – ein langes Buch mit Reden über die Übel der Juden und des Zionismus. Es trug den Titel ‚Palästina‘ und wurde von den offiziellen Medien des Iran pflichtgemäß verbreitet. In einer der Reden, die er am Schrein des Gründers der Islamischen Republik, Ajatollah Ruhollah Khomeini, gehalten hatte, erklärte Khamenei: ‚Keine andere internationale Frage ist in der islamischen Welt wichtiger als Palästina‘.

Wie er in einer anderen Rede im selben Band ausführte, sei die islamische Revolution beschädigt, solange der jüdische Staat weiterbesteht. ‚Ohne den Sieg in der Schlacht um Palästina ist unser Sieg unvollständig‘, erklärte er. ‚Seit den ersten Tagen seiner Mission und seines Kampfes im Iran hat unser verstorbener großer Imam [Khomeini] der Palästina-Frage die oberste Priorität eingeräumt‘. (…)

In einem Traktat, das er 1970 veröffentlichte, formulierte Khomeini seine grundlegende Überzeugung folgendermaßen: ‚Wir müssen protestieren und dem Volk bewusst machen, dass die Juden und ihre ausländischen Unterstützer gegen die Grundlagen des Islam sind und die jüdische Herrschaft in der ganzen Welt errichten wollen‘.

Der Antisemitismus ist also ein integraler Bestandteil der khomeinistischen politischen Theologie, die den Iran seit der Revolution von 1979 antreibt. Die Tausenden von Iranern, die in den vergangenen Tagen von Kameras dabei aufgenommen wurden, wie sie sich weigerten, auf Fahnen der USA und Israels herumzutrampeln – ein weiteres Ritual, das so alt ist wie die Revolution selbst –, zeigen nicht einfach dem heiligsten Anliegen ihrer Führer den Mittelfinger. Sie lehnen vielmehr die Grundprinzipien und die Weltanschauung der Islamischen Republik ab. Und sie beweisen einmal mehr, dass das iranische Volk nicht mit der Islamischen Republik verwechselt werden sollte, von der es beherrscht wird.

Auszüge aus dem Beitrag „How solidarity with Palestine inspires resistance in Iran“, der beim Jewish News Syndicate erschienen ist. Übersetzung für Mena-Watch von Florian Markl.

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