Der Brief von UN-Generalsekretär António Guterres an den Sicherheitsrat stellt ein weiteres Mal seine Einseitigkeit und Doppelmoral unter Beweis.
In einem ungewöhnlichen Schritt hat UN-Generalsekretär António Guterres unter Berufung auf Artikel 99 der UN-Charta den Sicherheitsrat aufgerufen, einen sofortigen Waffenstillstand im Gazastreifen zu erwirken, um humanitäre Hilfe an die Zivilbevölkerung zu ermöglichen.
In seinem zweiseitigen Schreiben an den Präsidenten des Sicherheitsrats (aktuell ist das der Vertreter Ecuadors) widmet Guterres den Verbrechen, welche die »Hamas und andere bewaffnete palästinensische Gruppen« am 7. Oktober in Israel begangen haben, einen Absatz. Er bezeichnet die Taten als »abscheuliche Terrorakte«, erwähnt die »erschreckenden« Schilderungen sexueller Gewalt und ruft zur »sofortigen und bedingungslosen« Freilassung der verschleppten Israelis auf. Immerhin, so klare Worte waren von ihm zwei geschlagene Monate lang nicht zu hören.
Angesichts der übrigen acht Absätze des Briefes, in denen Guterres die Lage der Palästinenser im Gazastreifen schildert, wirkt die Verteilung des Massenmords vom 7. Oktober allerdings mehr wie eine Pflichtübung. So schlimm ist die Situation aus Sicht des Generalsekretärs jedenfalls, dass er vor einer »humanitären Katastrophe« mit »potenziell irreversiblen Folgen für die Palästinenser insgesamt und für Frieden und Sicherheit in der Region« warnt.
Deshalb habe er sich, wie er auf X bekanntgab, zum ersten Mal in seiner Zeit als UN-Generalsekretär gezwungen gesehen, auf Artikel 99 der UN-Charta zurückzugreifen:
»Angesichts der ernsten Gefahr eines Zusammenbruchs des humanitären Systems im Gazastreifen fordere ich den Sicherheitsrat dringend auf, zur Abwendung einer humanitären Katastrophe beizutragen und zur Ausrufung eines humanitären Waffenstillstands aufzurufen.«
Und sonst?
Worum geht es bei dem von Guterres bemühten Passus der UN-Charta? Artikel 99 lautet:
»Der Generalsekretär kann die Aufmerksamkeit des Sicherheitsrats auf jede Angelegenheit lenken, die nach seinem Dafürhalten geeignet ist, die Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit zu gefährden.«
Schon die Formulierung lässt Skepsis aufkommen. Was genau soll denn der »Weltfrieden« sein? Hat es den je gegeben? Und will Guterres ernsthaft behaupten, vor dem 7. Oktober und dem anschließenden Krieg gegen die Hamas habe noch »Weltfrieden« geherrscht?
Auf X werden viele User nicht müde, Guterres auf einige der anderen Schauplätze der Welt hinzuweisen, an denen in den vergangenen Jahren Blutvergießen und Verbrechen aller Art begangen wurden, vom russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine über den Tigray-Konflikt (geschätzt 500.000 Tote und zwei Millionen Flüchtlinge) und den Krieg im Jemen (geschätzt 250.000 Tote und drei Millionen Flüchtlinge) bis zum Bürgerkrieg im Sudan (mit Tausenden Toten und insgesamt über fünf Millionen Flüchtlingen).
Warum hat Guterres in keinem dieser (und vieler anderer) Konflikte einen Grund gesehen, den Sicherheitsrat anzurufen? Stellte der russische Angriff auf die Ukraine etwa keine »Gefährdung der internationalen Sicherheit« dar? Warum haben die zahlreichen Menschen, die im Jemen zu verhungern drohen, das Gewissen des UN-Generalsekretärs offenbar weniger belastet als die Menschen im Gazastreifen? Was macht den Krieg gegen die Hamas qualitativ so völlig anders, dass Guterres ausgerechnet jetzt unter Berufung auf Artikel 99 in Aktion treten musste?
Wer bedroht die »internationale Sicherheit«?
Die Liste der Fragen ist damit aber noch keineswegs abgeschlossen. Denn selbst wenn wir nur auf den Krieg zwischen der Hamas und Israel schauen, bleibt Guterres’ Handeln unverständlich. Mit gutem Grund kann man in diesem Zusammenhang von einer Gefährdung des »Weltfriedens und der internationalen Sicherheit« sprechen.
Aber die Gefahr geht nicht von der »humanitären Katastrophe« aus, auf die Guterres sich bezieht, sondern von dem Umstand, dass Israel seit dem 7. Oktober nicht nur von der Hamas angegriffen wird (die immer noch täglich Raketen auf Israel abfeuert), sondern auch von der Hisbollah im Libanon und von den Huthi-Milizen im Jemen, die Israel den Krieg erklärt haben und ebenfalls Raketen auf Israel schießen (und den internationalen Schiffsverkehr am Eingang zum Roten Meer bedrohen). Darüber hinaus gab es auch Beschuss aus Syrien, und die Hamas und der Islamische Dschihad bemühen sich darum, auch das Westjordanland zum Kriegsschauplatz zu machen.
Mit anderen Worten: Seit dem 7. Oktober attackieren sämtliche lokalen Verbündeten der vom iranischen Regime geführten und unterhaltenen »Achse des Widerstands« den jüdischen Staat, wobei insbesondere eine Eskalation an der Nordgrenze Israels zum Libanon jederzeit möglich ist. Das ist in der Tat eine Gefährdung der internationalen Sicherheit, doch über diese Offensive gibt es von Guterres kein einziges Wort: Die Hisbollah kommt in seinem Schreiben genauso wenig vor wie Huthis, und vom Iran ist erst recht nicht die Rede.
Der Blog Elder of Ziyon stellt völlig zu Recht fest:
»Wenn irgendwo internationaler Druck nötig ist, dann gegenüber dem Iran und dem Hamas-Sponsor Katar, den beiden Ländern, die den größten Einfluss auf die Leute haben, die Raketen auf Israel schießen. (…) Sollte die nutzlose UNO nicht etwas mehr Zeit darauf verwenden, die Länder unter Druck zu setzen, die den Weltfrieden tatsächlich bedrohen?«
Hunderttausende Menschen können getötet oder zu Flüchtlingen gemacht werden, Millionen kann der Hungertod drohen, ein illegaler Angriffskrieg kann geführt und Israel auf mehreren Fronten attackiert werden, all das versetzt Guterres nicht in Panik. Aber wenn Israel einen ihm aufgezwungenen Krieg gegen eine genozidale Terrororganisation führt, die sich hinter der eigenen Bevölkerung versteckt und diese als lebende Schutzschilde missbraucht, kann er nicht länger schweigen und fordert einen sofortigen Waffenstillstand. Mit seinem Brief an den Sicherheitsrat hat UN-Generalsekretär Guterres ein weiteres Mal seine groteske Einseitigkeit und Doppelmoral unter Beweis gestellt.
Dem »Weltfrieden« hilft das kein bisschen weiter, aber vielleicht erhöht seine Perfomance seit dem 7. Oktober seine Chancen auf eine Jobverlängerung – bei den durch und durch israelfeindlichen Vereinten Nationen wird sein Agieren sicherlich wohlwollend zur Kenntnis genommen.