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Tunesische Parlamentswahlen: Nur 8,8 Prozent Wahlbeteiligung

Gähnende Leere in Tunesiens Wahllokalen
Gähnende Leere in Tunesiens Wahllokalen (© Imago Images / NurPhoto)

Die Opposition fordert den Präsidenten auf, sofort zurückzutreten, da über 91% der Tunesier gegen seinen autoritären Kurs gestimmt hätten.

Nachdem Tunesiens Präsident Kais Saied das Parlament aufgelöst und eine Verfassungsreform durchgesetzthatte, woraufhin die Opposition zum Boykott der vergangenen Samstag stattfindenden Wahlen aufrief, hat die daraus resultierende niedrigste Wahlbeteiligung in der jüngeren Geschichte das Land in eine unsichere politische Zukunft gestürzt. 

Nach offiziellen Angaben der Instance Supérieure Indépendante pour les Élections (ISIE) betrug die Wahlbeteiligung gerade einmal 8,8 Prozent, was ein wichtiges Oppositionsbündnis dazu veranlasste, Saied in einer Reaktion aufzufordern, die Macht abzugeben und das Land sofort zu verlassen, da die Wähler die von ihm anberaumten Parlamentswahlen mit überwältigender Mehrheit abgelehnt hätten

Ahmed Nejib Chebbi, Vorsitzender des tunesischen Bündnisses Heilsfront, das die Wahl boykottiert und Saied einen Putsch gegen die tunesische Demokratie vorgeworfen hat, erklärte, der Präsident habe »jede rechtliche Legitimation verloren«. Eine Stimmenthaltung von mehr als 91% zeige, »dass sehr, sehr wenige Tunesier Kais Saieds Ansatz unterstützen«, sagte Chebbi gegenüber Agence France-Presse.

Im Rahmen seiner Verfassungsreform hatte Saied die Bedeutung der politischen Parteien, die er als Feinde des Volkes bezeichnete, stark eingeschränkt. Anstelle der traditionellen Parteien, denen Saied einen Großteil der Schuld an der maroden Wirtschaft und der hohen Arbeitslosigkeit gibt, hat der Präsident Einzelpersonen dazu ermutigt, mit Programmen zu kandidieren, die ihren unmittelbaren Wahlkreisen dienen. 

Die aus dieser Entwicklung hervorgegangenen 1.055 selbstfinanzierten Kandidaten, die sich um 161 Sitze bewarben, führten zu einem einzigartigen Wahlkampf, bei dem viele Wähler nicht wussten, wer überhaupt wo kandidierte, wobei in einer Reihe von Wahlbezirken nur ein einziger Kandidat auf dem Stimmzettel stand. Aufgrund des Zurückdrängens der politischen Parteien verliefen die Vorbereitung der Wahl wie der Wahlkampf außerordentlich unauffällig, sodass einige Wähler nicht einmal wussten, dass eine Wahl stattfand.

Selbst ISIE-Beamte in den Wahllokalen erklärten am Samstag, sie hätten nicht die Absicht, an der bedeutungslosen Wahl teilzunehmen und seien nur wegen ihres Berufs in den vor Ort. Der Präsident der ISIE, Farouk Bouasker, hingegen schien die verschwörungstheoretische Rhetorik von Saied zu übernehmen, und führte die niedrige Wahlbeteiligung darauf zurück, dass diesmal aufgrund der Reformen keine Stimmen mit »korrupten politischen Geldern« gekauft werden konnten, womit die aktuelle Wahl »sauber und legitim« sei.

Auch wenn am Montag erste Ergebnisse bekannt wurden, werden die endgültigen Ergebnisse werden nicht vor Ende des Jahres erwartet. Das neue Parlament wird voraussichtlich nicht vor März zusammentreten, nachdem unentschiedene oder knappe Wahlgänge wiederholt werden müssen.

Vor den Wahlen hatte die Opposition zwar Saieds politisches Programm angegriffen, aber nicht gefordert, dass er sein Amt aufgeben solle. »Was heute passiert ist, ist ein Erdbeben«, sagte Oppositionsführer Chebbi dann allerdings nach Bekanntwerden der Wahlbeteiligung. »Von diesem Moment an betrachten wir Saied als einen illegitimen Präsidenten und fordern seinen Rücktritt nach diesem Fiasko.«

Chebbi forderte, eine kurze Übergangszeit unter der Leitung eines Richters, gefolgt von Präsidentschaftswahlen und einem nationalen Dialog. Max Gallien vom Institut für Entwicklungsstudien erklärte, Tunesien sei »auf dem besten Weg, die niedrigste Wahlbeteiligung der modernen Weltgeschichte zu erreichen«, wobei die Beteiligung der Wähler gerade einmal die Hälfte bisherigen Rekordhalter – Haiti 2015 mit 18%, Afghanistan 2019 mit 19% – ausmacht.

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