Seine autoritäre Wende führte Präsident Kais Saied seit Juli 2021 auch auf einen Weg des schrittweisen Bruchs mit der von 2011 bis 2021 von der islamischen Ennahda-Bewegung geführten Regierung.
Der jüngste Schritt auf diesem Weg, der über den politischen Ausschluss von Ennahda bis hin zur Zerschlagung der Bewegung führte, war die unlängst erfolgte Ausstellung eines Haftbefehls gegen den amtierenden Vorsitzenden der Ennahda-Partei, Monzer El Ounissi, der nach Angaben seiner Partei bereits Anfang September wegen in sozialen Medien geleakten Aufnahmen festgenommen worden war.
Ounissi leitet die Ennahda-Bewegung seit der Verhaftung seines Vorgängers und prominentesten Gegners von Präsident Kais Saied, Rached Ghannouchi, am 17. April. Abdel Fattah Al-Taghouti, ein weiterer prominenter Führer der Ennahda-Partei, erklärte gegenüber Agence France-Presse, die tunesische Justiz habe am Mittwoch beschlossen, einen Haftbefehl gegen Ounissi zu erlassen, ohne diesen anzuhören. Anklage gegen Anführer der Bewegung sei bislang jedoch noch nicht erhoben worden.
Auf den in den sozialen Medien verbreiteten Aufnahmen ist in einer Ounissi zugeschriebenen Erklärung von einem Treffen mit einflussreichen tunesischen Geschäftsleuten und von finanziellen Vergehen eines verantwortlichen Mitglieds der Ennahda-Bewegung die Rede. In Zusammenhang mit diesem Fall haben die Behörden bereits weitere Funktionäre der Ennahda-Bewegung verhaftet, darunter den Vorsitzenden des Schura-Rates der Bewegung, Abdel Karim Al-Harouni.
Schon im April dieses Jahres nahmen die Behörden, wie bereits erwähnt, den ehemaligen Ennahda-Führer Ghannouchi fest, nachdem er erklärt hatte, Tunesien drohe ein Bürgerkrieg, würden linke oder aus dem politischen Islam stammende Parteien ausgeschaltet.
Bereits am 25. Juli 2021 hatte Präsident Saied das von der Ennahda-Bewegung kontrollierte Parlament suspendiert und die Regierung entlassen, was von der Ennahda als Staatsstreich bezeichnet wurde. Die Präsidentenkanzlei ihrerseits erklärte jedoch, sie habe »im Rahmen der Verfassung gehandelt, um politischen Unruhen zu beenden«.
Nach Angaben der Ennahda-Bewegung befinden sich seit ebenjenem Juli 2021 siebenundzwanzig ihrer Führer und Mitglieder wegen Verschwörung gegen die Staatssicherheit und anderer Vorwürfe in Zusammenhang mit Terrorismus und Geldwäsche im Gefängnis. Die islamische Bewegung erklärt jedoch, die Anschuldigungen seien »falsch und böswillig« und entbehrten jeder rechtlichen Grundlage. Auch den Sitz der Bewegung haben die Behörden ohne Angabe von Gründen vorübergehend geschlossen.
Spaltung innerhalb der Bewegung
Der Tunesien-Experte Mohamed Ezz Al-Arab erklärte, die Verhaftung der Ennahda-Führer ziele darauf ab, die Bewegung unter Zugzwang zu setzen, die sich auf ihre Jahreskonferenz Ende Oktober vorbereitet. »Der derzeitige Druck auf Ennahda hat zu einer Spaltung innerhalb der Bewegung geführt, die einem Konflikt zwischen zwei Flügeln innerhalb der Bewegung ähnelt: Der erste will eine Einigung mit den Behörden erzielen, der zweite lehnt den Vorsitz von Kais Saied radikal ab.«
Die Forscherin Riah Al-Zayadi macht daran anschließend zwei Szenarien für die Zukunft der Bewegung in Tunesien aus: Das erste wäre die Entscheidung der Behörden, die Bewegung zur Gänze zu zerschlagen und ihre Aktivitäten zu verbieten. Das zweite Szenario besteht darin, dass sich die Bewegung an den aktuellen Status quo anpasst und so auf der Bildfläche bestehen bleiben kann.
Für Al-Zayadi besteht kein Zweifel, »dass die Inhaftierung einiger der Führungspersönlichkeiten aus der ersten und zweiten Reihe sowie die Schließung des Hauptsitzes der Bewegung Faktoren sind, die zur Verwirrung und zum Rückgang des Status und der Popularität der Ennahda-Partei beigetragen haben. Sie kann sich jedoch anpassen und im Verborgenen arbeiten, sodass sie mittelfristig wieder auf die Bühne zurückkehren könnte.«
Die Wissenschaftlerin fügte hinzu, die Zukunft der Bewegung hänge jedoch von den Maßnahmen der Regierung ab und ob diese »eine politische und administrative Entscheidung zum Verbot und zur kurzfristigen Auflösung der Bewegung trifft«. Darüber hinaus sein von Belang, ob die Justiz die Fälle der Ennahda-Führer schnell zu einem Abschluss bringen oder eine Verzögerungstaktik fahren wird.
Kürzlich erklärte die Parlamentsabgeordnete Fatima al-Masadi, sie habe »im Parlament einen politischen Antrag zur Auflösung der Ennahda-Bewegung und zu ihrer Einstufung als terroristische Organisation vorgelegt«. Dieser Vorschlag werde dem Plenum zur Diskussion vorgelegt, nachdem die Unterschriften von mindestens einem Drittel der Abgeordneten gesammelt wurden, fügte al-Masadi hinzu.