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Was der Tod az-Zawahiris über den Stand des Dschihadismus aussagt

Zawahiris Seite auf der Most-Wanted-Liste des FBI. (Quelle: FBI)
Zawahiris Seite auf der Most-Wanted-Liste des FBI. (Quelle: FBI)

Az-Zawahiris Tod steht symbolisch dafür, wer den langjährigen ideologischen Streit unter den Dschihadisten vorerst gewonnen hat.

Seit der Tötung Aiman az-Zawahiris durch einen US-Raketenangriff in Kabul wird über die Rolle diskutiert, die der al-Qaida-Chef noch gespielt hat. Dass er im Laufe der Zeit – und erst recht nach der Tötung bin Ladens – eine wichtige Rolle innerhalb der Terrororganisation einnahm, ist einerseits unbestritten, wird andererseits aber oft auch deutlich übertrieben.

Böse Ägypter

So sprechen in der Fachliteratur – auch jener aus dschihadistischen Kreisen – manche gar davon, dass mit seinem Einfluss auf Osama bin Laden die al-Qaida gewissermaßen von Ägyptern übernommen worden sei. Thomas Hegghammer schreibt über diese Theorie von den »bösen Ägyptern« in seiner Biografie von Abdullah Azzam, dem Mentor bin Ladens und Vater des arabischen Dschihad in Afghanistan: »Einfach gesagt lautet das Narrativ, dass Ägypter die wahren Köpfe hinter al-Qaida gewesen seien, dass sie Osama bin Laden radikalisiert und manipuliert hätten.« Az-Zawahiri komme in dieser Geschichte die Rolle einer der »zentralen Bösewichte« zu.

Lawrence Wright zitiert in seinem Buch über den Weg zu 9/11 einen ägyptischen Filmemacher, der bin Laden 1988 besuchte. Seiner Erinnerung zufolge hätten »die Ägypter einen Schutzwall um den seltsam passiven Saudi« bin Laden gebildet. Immer, wenn er allein mit ihm habe sprechen wollen, »umringten die Ägypter den Saudi und zogen ihn in einen anderen Raum«.

Doch wie Hegghammer ausführt, sind diese Behauptungen mehr als fragwürdig. Nichts in den zeitgenössischen Quellen weise für die Gründungszeit der al-Qaida auf eine herausragende Rolle az-Zawahiris hin, und auch die These, er habe bin Laden stark beeinflusst oder gar manipuliert, scheint eher aus der Luft gegriffen zu sein. Denn Ende der 1980er Jahre sei az-Zawahiri noch ganz auf Ägypten und auf die von ihm herbeigesehnte islamische Revolution am Nil konzentriert gewesen. Damals habe für ihn noch der Kampf gegen den »nahen Feind«, also die als unislamisch erachteten arabischen Despoten, im Zentrum gestanden, nicht der global ausgetragene Dschihad gegen den »fernen Feind«, die westlichen Mächte, der das Markenzeichen von al-Qaida werden sollte. Erst später habe sich az-Zawahiri der quasi internationalistischen Schiene des Dschihad verschrieben.

Der Streit ist – vorerst – entschieden

Der Geschichte des modernen Dschihadismus lässt sich anhand des ideologischen Streits darüber periodisieren, gegen wen der dschihadistische Kampf zuerst geführt werden müsse: die arabischen Regime oder deren westliche Unterstützer. Für den Journalisten und Buchautor Hassan Hassan zeigt sich an az-Zawahiris Tod, wer in diesem Streit vorerst die Oberhand gewonnen hat:

»Was in Afghanistan und anderswo als lokale militante Bewegungen begann, die sich dem Kampf gegen Invasionstruppen oder lokale Feinde widmeten, geriet in den 1990er Jahren durch Internationalisten wie Osama bin Laden und später Zawahiri, die einen globalen Krieg gegen den Westen führen wollten, auf Abwege, bevor sich die militanten Bewegungen in den letzten zehn Jahren wieder auf lokale Schauplätze konzentrierten.«

Der Sieg der Taliban, der mit dem westlichen Abzug aus Afghanistan vor einem Jahr besiegelt wurde, habe demnach überdeutlich gezeigt, dass lokale Kämpfe weitaus mehr bringen als

»die Kriege, die die Bin-Ladenisten geführt haben und die den sunnitischen Gemeinschaften im gesamten Nahen Osten nur Zerstörung und Elend gebracht haben. Der Sieg der Taliban bestätigte nur einen bereits wachsenden Trend in der Welt des Dschihadismus.«

Die sunnitischen Dschihadisten hätten die Lehre ziehen müssen, dass der lokale Kampf der Taliban und der Weg des schiitisch-islamistischen Regimes im Iran, lokale Stellvertretermilizen zu unterstützen, sich als der klar erfolgreichere erwiesen hat:

»Bin Laden mag von den Radikalen verehrt werden, aber selbst die Verrückten erkennen nicht nur an, dass seine Taktik nichts gebracht hat, sondern auch, dass sie mit beträchtlichen Kosten verbunden war, einschließlich der Chance für das pro-iranische Lager, mehrere arabische Hauptstädte zu übernehmen. Diejenigen, die sich auf den Kampf gegen den Westen konzentrierten, wie al-Qaida und der Islamische Staat, haben verloren, während diejenigen, die sich darauf konzentrierten, die lokale Szene zu dominieren, Erfolg hatten.«

Die Tötung az-Zawahiris wirkt vor diesem Hintergrund wie der Schlussstrich unter den internationalen Dschihadismus der Marke al-Qaida, dessen Zeit fürs Erste einmal vorüber scheint. Der Verblichene wird, wie ein Journalist auf Twitter pointiert bemerkte, vor allem »dafür in Erinnerung bleiben, dass er al-Qaida von einer gefürchteten terroristischen Vereinigung in einen wirklich langweiligen Podcast verwandelt hat.«

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