Noch nie seit seinem Machtantritt hatte Erdogan so schlechte Umfragewerte wie jetzt. In die Enge getrieben, schlägt er in bekannter Manier um sich.
Marion Sendker, Qantara.de
Zuerst wurde ein Verbotsverfahren gegen die zweitgrößte Oppositionspartei, die kurdisch geprägte HDP, eröffnet. Dann bestimmte Erdogan – juristisch zweifelhaft – per Dekret den Austritt der Türkei aus der Istanbul-Konvention, einem Abkommen des Europarats zum Schutz von vor allem Frauen gegen Gewalt. Fast zeitgleich entließ er den Notenbankchef Naci Agbal und sorgte für einen neuen Absturz der Währung Lira.
Dann entzog Erdogan der Stadtverwaltung von Istanbul die Autorität über den Gezi-Park und übertrug sie einer Erdogan-nahen Stiftung. Vor acht Jahren waren weltweit Millionen Menschen gegen die von der Regierung geplante Zerstörung des Parks auf die Straße gegangen. Außerdem sicherte er staatliche Garantien für den extrem teuren Bau des geplanten Istanbul-Kanals, einer künstlichen Wasserstraße, die Marmarameer und Schwarzes Meer verbinden soll. (…)
Aktuelle Umfragen bescheinigen der Partei des Politikers, der einst als Mann des Volkes Karriere machte, nur noch rund 30 Prozent Zustimmung. Zusammengerechnet mit den maximal acht Prozent für seinen rechtsnationalistischen Bündnispartner MHP ergeben das 38 Prozent. Für den Machterhalt sind aber mindestens 51 Prozent nötig. Seitdem Erdogan an die Macht gekommen ist, waren die Umfragewerte noch nie so schlecht für ihn. (…)
Was Erdogan vielleicht noch retten kann, wäre eine Rückkehr zum parlamentarischen System oder eine Änderung der Verfassung dahingehend, dass eine einfache Mehrheit für Regierungsverantwortung ausreicht. Auf dem Parteitrag versprach Erdogan, dass eine Verfassungsänderung bis 2022 kommen werde. Inhaltlich sagte er kaum, was genau reformiert werden sollte.
(Aus dem Bericht „Recep Tayyip Erdogan unter Druck“, der auf Qantara.de veröffentlicht wurde.)