Von Stefan Frank
Die historische Offerte des israelischen Ministerpräsidenten Ehud Olmert zur Gründung eines arabisch-palästinensischen Staates in den 1948 von Jordanien und Ägypten besetzten Gebieten war noch großzügiger, als bislang angenommen.
Das sagt PLO-Chefunterhändler Saeb Erekat. Demnach bot Olmert im Sommer 2008 in den Verhandlungen mit dem Präsidenten der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA), Mahmud Abbas, 20 Quadratkilometer mehr Land an, als die gesamte Fläche des Westjordanlandes und des Gazastreifens beträgt (dazu den mehrheitlich arabisch bewohnten Teil Jerusalems als Hauptstadt).
Erekat erwähnte dies am 1. Dezember 2018 in einer Stellungnahme für eine Sendung des PA-Fernsehens, welche die Medienbeobachtungsgruppe Palestinian Media Watch nun ins Englische übersetzt und veröffentlicht hat. Erekat, der bei den 2008 geführten Verhandlungen anwesend war, sagte demnach:
„Ich habe Olmert sagen hören, er habe [Abbas] 100 Prozent des Territoriums der West Bank angeboten. Das ist wahr. Das bezeuge ich. Er [Olmert] gab ihm [Abbas] eine Landkarte und sagte: ‚Ich möchte [für Israel] 6,5 Prozent der West Bank und gebe [der PA] im Gegenzug 6,5 Prozent des Territoriums von 1948 [d.h. israelisches Territorium innerhalb der Waffenstillstandslinie von 1949].“
Olmert habe ferner zu Abbas gesagt: „Das Gebiet der West Bank und des Gazastreifens am Vorabend des 4. Juni 1967 war 6.235 km² groß.“ Olmert, so Erekat, „wollte Abbas 20 km² mehr geben, damit er seinem Volk sagen kann: ‚Ich habe mehr als die Gebiete von 1967 bekommen““ Außerdem, so Erekat weiter, habe Olmert einen Vorschlag zu Jerusalem gemacht: „Was arabisch ist, bleibt arabisch, was jüdisch ist bleibt jüdisch, und wir behalten eine offene Stadt bei.“
Was die arabischen Flüchtlinge des Krieges von 1948 betrifft, habe Olmert gesagt: „Das Recht der Flüchtlinge auf Rückkehr in den Staat Palästina ist euer Gesetz. Doch was Israel betrifft, werden wir 150.000 Flüchtlinge über einen Zeitraum von zehn Jahren akzeptieren. 15.000 [pro Jahr] über zehn Jahre.“ Das ist eine deutlich höhere Zahl, als sie die damalige US-Außenministerin Condoleezza Rice in ihren Memoiren genannt hat.
So wie sein Vorgänger Bill Clinton wünschte sich der damalige amerikanische Präsident George W. Bush im letzten Jahr seiner Amtszeit einen Durchbruch in den Friedensverhandlungen zwischen Israel und der Palästinensischen Autonomiebehörde. Seine Außenministerin Rice besuchte im Jahr 2008 achtmal Israel; ebenso oft traf sie in jenem Jahr Abbas oder dessen Ministerpräsidenten Fayyad. Und wie es der israelische Ministerpräsident Ehud Barak acht Jahre zuvor bei den Verhandlungen mit PLO-Chef Jassir Arafat in Camp David im Sommer 2000 getan hatte, unterbreitete der israelische Ministerpräsident Ehud Olmert 2008 ein weitreichendes Angebot.
Es war, wie Condoleezza Rice in ihren Memoiren schreibt, bei dem ersten ihrer zwei Israelbesuche Anfang Mai 2008 (das zweite Mal in jenem Monat, zehn Tage später, reiste sie mit Präsident Bush zusammen). Olmert, so Rice, wollte sie unter vier Augen sprechen. Sie sei überrascht gewesen, so Rice, doch hätten sie sich in der Vergangenheit schon einmal allein unterhalten.
Bei ihrem Eintreffen in der Residenz des israelischen Ministerpräsidenten sei Olmert ohne Umschweife zum Thema gekommen: Die Verhandlungen zwischen der israelischen Außenministerin Tzipi Livni und Abbas’ Gesandtem Abu Alaa verliefen zu schleppend; ein Abkommen müsse noch vor dem Ende von Bushs Amtszeit unterzeichnet werden, so Olmert laut Rice.
Darum, so erinnert sich Rice, wollte Olmert direkt mit Abbas verhandeln. Er und Abbas könnten das Abkommen „auf ein paar Seiten niederschreiben und dann von den Unterhändlern fertig stellen lassen“. „Ich weiß, was er [Abbas] braucht“, habe Olmert zu Rice gesagt.
„Er braucht etwas zu den Flüchtlingen und etwas im Hinblick auf Jerusalem. Ich werde ihm genug Land geben, vielleicht 94 Prozent mit Landtausch. Ich habe eine Idee zu Jerusalem. Es wird zwei Hauptstädte geben, eine für uns in Westjerusalem und eine für die Palästinenser in Ostjerusalem. Der Bürgermeister der gemeinsamen Stadt wird gemäß dem Bevölkerungsanteil bestimmt. Das bedeutet, dass es einen israelischen Bürgermeister gibt, also soll sein Stellvertreter ein Palästinenser sein.“
Zudem habe Olmert vorgeschlagen, die Altstadt von einem internationalen Gremium verwalten zu lassen, dessen Mitglieder – „keine Beamten, sondern weise Leute“ – von Jordanien, Saudi-Arabien, den Palästinensern, den USA und Israel gestellt werden sollten. „Höre ich das wirklich?“, war der Gedanke, der Rice ihrer eigenen Erinnerung nach durch den Kopf ging. Sie habe gedacht:
„Sagt der israelische Ministerpräsident, dass er Jerusalem teilen und ein internationales Gremium mit der Aufsicht über die heiligen Stätten beauftragen will? Konzentrier dich. Schreib es auf. Nein, schreib es nicht auf. Was, wenn es nach außen dringt? Es darf nicht nach außen dringen. Das betrifft nur uns zwei.“
Olmert sei „in Fahrt“ gewesen; als nächstes sei er auf Israels Sicherheit zu sprechen gekommen:
„Dabei werde ich Ihre Hilfe brauchen. Die IDF hat eine Liste von Forderungen – einige sind wahrscheinlich okay, aber die Palästinenser werden nicht alle akzeptieren. Die Vereinigten Staaten müssen das zur Zufriedenheit des Militärs ausarbeiten. Barak wird mit euch zusammenarbeiten. Ich kann diesen Deal verkaufen, aber nicht, wenn die IDF sagt, dass er Israels Sicherheit untergräbt. Das ist die eine Sache, die kein Ministerpräsident überleben kann.
Und noch eine Sache: Ich muss wissen, dass Sie mich nicht überraschen, indem Sie andere Vorschläge machen, ehe wir die Gelegenheit hatten, darüber zu sprechen. Ich gehe hier ein enormes Risiko ein und kann es mir nicht erlauben, von den Vereinigten Staaten überrumpelt zu werden.“
Olmert, so Rice, „hatte sich nach vorne gebeugt. Keiner von uns hatte das Abendessen angerührt, und als die Kellnerin reinkam, schickte er sie weg. Nun lehnte er sich zurück, erschöpft von dem Vortrag der außerordentlichen Details des Abkommens, das er vor Augen hatte.“ „Herr Ministerpräsident“, habe sie zu ihm gesagt, „das ist bemerkenswert, und ich werde versuchen zu helfen. Ich werde morgen mit Abu Mazen [Kriegsname von Mahmud Abbas] reden.“
„Seien sie vorsichtig, mit wem sie sprechen, denn Leute könnten zuhören“, mahnte Olmert sie beim Abschied. Von ihrem Hotelzimmer habe sie Steve Hadley, den Berater für nationale Sicherheit, angerufen, und zu ihm gesagt, dass sie „außerordentliche Nachrichten“ habe, aber am Telefon nicht darüber sprechen wolle. „Sagen Sie dem Präsidenten, dass er Recht hatte, was Olmert angeht. Er will ein Abkommen und würde dafür sterben.“
Am nächsten Tag, so Rice, sei sie zu Mahmud Abbas gefahren. In dem „kleinen, an sein Büro angrenzenden Essensraum“ habe sie mit Abbas gesprochen. „Ich legte die Einzelheiten von Olmerts Vorschlag dar und sagte ihm, wie der Ministerpräsident fortfahren wolle.“ Abbas, so Rice, „fing sofort an zu verhandeln: ‚Ich kann nicht vier Millionen Palästinensern sagen, dass nur 5.000 von ihnen nach Hause zurückkehren können’“.
Abbas gab später zu, dass er Olmerts Friedensofferte „umgehend abgelehnt“ habe. Was den Vorschlag eines Landtauschs betrifft – bei dem große jüdische Städte bei Israel verblieben wären, Israel dafür aber an anderer Stelle Land abgetreten hätte und sogar eine Landverbindung zwischen dem Westjordanland und dem Gazastreifen geschaffen hätte –, sagte Abbas sofort (laut Chefunterhändler Saeb Erekat):
„Ich bin nicht auf einem Marktplatz oder Basar. Ich bin gekommen, um die Grenzen von Palästina zu markieren – die Grenzen vom 4. Juni 1967 –, ohne einen einzigen Zentimeter Abzug und ohne einen einzigen Stein von Jerusalem abzuziehen oder von den heiligen christlichen und muslimischen Stätten.“
Diese Worte zitierte Saeb Erekat in einem Fernsehinterview im März 2009 aus dem Gedächtnis. Erekat pries Abbas dafür, jeglichen Kompromiss abgelehnt zu haben. Genauso habe es auch Arafat in Camp David getan.
US-Präsident Bill Clinton habe am 23. Juli 2000 zu Arafat gesagt: „Sie werden der erste Präsident eines palästinensischen Staates, in den Grenzen von 1967 … und Ostjerusalem wird die Hauptstadt des palästinensischen Staates sein. Wir wollen nur von Ihnen, als einem religiösen Mann, dass Sie anerkennen, dass der Tempel Salomos unter dem Haram Al-Sharif [muslimische Bezeichnung für den Tempelberg; S.F.] liegt.“ Jassir Arafat, so Erekat, sagte trotzig zu Clinton:
„Ich werde kein Verräter sein. Jemand wird kommen, um ihn [den Tempelberg] zu befreien, nach zehn, fünfzig oder hundert Jahren. Jerusalem wird einzig und allein Hauptstadt des palästinensischen Staates sein, und es gibt nichts unter oder über dem Haram Al-Sharif außer Allah.“
Es ist klar, dass Abbas niemals irgendeinem Kompromiss zustimmen wird. Nur die Naiven und Böswilligen im Westen glauben, der Krieg gegen die Juden, den er führt wie sein Vorgänger Arafat, sei ein Streit um Grundstücke oder um einen „palästinensischen Staat“. Olmert hat 2008 nach eigener Aussage zu Abbas gesagt: „Bedenken Sie meine Worte. Es wird 50 Jahre dauern, ehe wieder ein israelischer Ministerpräsident ein Angebot machen wird, wie ich es gemacht habe.“
Das Problem mit Fanatikern wie Arafat und Abbas ist, dass sie in viel größeren Zeiträumen denken, nicht in Menschenzeit, sondern in Jahrhunderten, und überzeugt sind, dass die Zeit auf ihrer Seite sei. Sie wähnen sich in einem heiligen Krieg und glauben, dass die Muslime am Ende der Tage alle Juden töten werden, wie es in einem Hadith prophezeit ist. Warum also Kompromisse schließen?
Dazu ist Abbas umso weniger geneigt, als er und seine Günstlinge ja nicht etwa unter dem Konflikt leiden, sondern aus ihm Nutzen ziehen. Je mehr Konfrontation mit Israel, desto wichtiger ihre politische Rolle und ihr Ansehen, und dank üppig sprudelnder Gelder aus dem Ausland leben sie im größten Luxus. Nach Olmerts Friedensofferte schrieb die Washington Post:
„Abbas lehnt die Idee ab, dass er irgendwelche vergleichbaren Zugeständnisse machen sollte – etwa Israel als jüdischen Staat anerkennen, was bedeuten würde, den Gedanken an eine Umsiedlung von Flüchtlingen im großen Stil aufzugeben. Stattdessen, sagte er, werde er passiv bleiben. ‚Ich werde darauf warten, dass die Hamas ihre internationalen Verpflichtungen akzeptiert. Ich werde darauf warten, dass Israel die Siedlungen einfriert. Bis dahin haben wir in der West Bank gute Gegebenheiten … Die Leute führen ein normales Leben.“
Wenn Abbas oder sein Nachfolger überhaupt je vom Vorteil eines Friedensabkommens mit Israel und der Notwendigkeit von Kompromissen überzeugt werden können, dann nur, wenn sie merken, dass die Zeit nicht auf ihrer Seite ist.