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Libyen: Warlord missbraucht Katastrophenhilfe, um Kontrolle auszuüben

Internationale Ersthelfe in der von einer Flut verwüsteten libyschen Stadt Derna
Internationale Ersthelfe in der von einer Flut verwüsteten libyschen Stadt Derna (© Imago Images / Xinhua)

Khalifa Haftar und die Miliz der Libyschen Nationalarmee sollen die Ankunft humanitärer Hilfe in der Stadt Derna beaufsichtigen.

Während Such- und Rettungsteams weiterhin nach Leichen suchen, die unter dem Schlamm und den Trümmern ihrer Häuser in der libyschen Küstenstadt Derna eingeschlossen sind, behaupten Beobachter, dass der Warlord Khalifa Haftar und seine Söhne die Katastrophenhilfe nutzen, um Kontrolle auszuüben, anstatt sicherzustellen, dass die lebenswichtige humanitäre Hilfe die Zivilbevölkerung erreicht.

Nach Angaben des Libyschen Roten Halbmonds sind mindestens 11.300 Menschen ums Leben gekommen und mehr als 10.000 werden weiterhin vermisst, nachdem letzte Woche während eines heftigen Sturms zwei Dämme brachen. Die daraus resultierenden Überschwemmungen haben nach Angaben der Regierung der Nationalen Einheit rund ein Viertel aller Gebäude in Derna vollständig oder teilweise zerstört. Die verzweifelten Rettungsbemühungen werden fortgesetzt, um die letzten Überlebenden zu finden, während weiterhin Leichen an die Küste gespült werden.

Der öffentliche Zugang zum von den Überschwemmungen am stärksten betroffenen Zentrum von Derna wurde gesperrt und die Stadt offiziell zum Katastrophengebiet erklärt. Ende vergangener Woche erklärte der Leiter des libyschen Parlaments im Osten, Osama Hamad, die Behörden erwägen, die gesamte Stadt, in der zuvor 200.000 Menschen lebten, abzuriegeln, da sie die Ausbreitung von durch Wasser übertragenen Krankheiten wie Cholera befürchten.

Die Ersthelfer vor Ort hatten ihre Arbeit unter der Aufsicht von Kämpfern der Libyschen Nationalarmee (LNA) zu verrichten, wobei Beobachter das Vorgehen der haftartreuen Milizkoalition als Versuch beschreiben, die lebenswichtige Hilfe, die in der krisengeschüttelten Stadt ankommt, unter ihre Kontrolle zu bringen. »Die Militärpräsenz führt eher zu Engpässen, als dass sie der Bereitstellung von Hilfsgütern förderlich wäre«, sagte etwa der Libyen-Analyst des Atlantic Council, Emadeddin Badi.

Der Hauptteil der Hilfsmaßnahmen sei nicht von der militärischen Führung geleistet worden, »die ein Interesse daran hatte, einerseits den Anschein zu erwecken, die Situation unter Kontrolle zu haben, und sich gleichzeitig vor der Verantwortung zu drücken und die Opfer zu beschuldigen«. Vielmehr mussten diese Maßnahmen von Freiwilligen, medizinischen Teams, dem Roten Halbmond, Pfadfindern und ausländischen Such- und Rettungsteams übernommen werden.

Haftar-Clan bereichert sich

Khalifa Haftar, der seit seiner Militärkampagne von 2014 einen Großteil des libyschen Ostens kontrolliert, besuchte am Freitag Derna, wobei er die Maßnahmen der Ersthelfer sowie der LNA lobte, der von Kritikern vorgeworfen wird, die von ihr kontrollierten Gebiete wie eine Militärdiktatur zu führen.

Der Besuch von Haftar sei aber nichts als einen PR-Gag gewesen, sagte Badi: »Auf der Seite der Öffentlichkeitsarbeit nutzen sie ihre bereits bestehenden Propagandakanäle, um den Anschein zu erwecken, die Kontrolle zu haben, während sie gleichzeitig die Hauptschnittstelle für die Verwaltung der Krisenhilfe und die Aufsicht über die Stadt sind. Das wiederum führt überall zu Engpässen.«

Haftars Söhne, von denen jeder auch seine eigenen ausgedehnten Netzwerke im Osten Libyens kontrolliert, versuchen ebenfalls, die Katastrophe für sich auszunützen. So geht es auch ihnen nicht nur darum, die Kontrolle über die Katastrophenhilfe zu gewinnen, sondern Haftars ältester Sohn, Elseddik, erklärte just am Tag der Katastrophe sein Interesse an einer Kandidatur für das Amt des libyschen Präsidenten bei den seit Langem aufgeschobenen Wahlen.

Beobachtern zufolge nutzt sein jüngerer Bruder Saddam, der als wahrscheinlicher Erbe Khalifa Haftars gehandelt wird, seine Rolle als Leiter des libyschen Katastrophenschutzkomitees, um sein internationales Ansehen zu legitimieren, während er die Hilfsgelder fest im Griff hält. Er steht den Tariq-Ben-Zayed-Brigaden vor, einer zur LNA gehörenden Miliz, die kürzlich von Amnesty International beschuldigt wurde, »eine Reihe von Gräueltaten zu begehen, darunter ungesetzliche Tötungen, Folter und andere Misshandlungen, erzwungenes Verschwindenlassen, Vergewaltigungen und andere sexuelle Gewalt sowie Zwangsvertreibungen – alles ohne Angst vor Konsequenzen«.

Der Libyen-Experte und Associate Fellow am Royal United Services Institute, Jalel Harchaoui, wies auf die Bemühungen Saddam Haftars hin, die Kontrolle über die in Derna eintreffenden internationalen Hilfsteams zu erlangen, und darauf, wie dies die lebenswichtige Katastrophenhilfe in Krisenzeiten verlangsamt hat: »Alles ist in den Händen der Familie Haftar konzentriert. Ich wünschte, ich könnte Ihnen sagen, dass es im Osten Libyens noch andere Machtzentren gibt, aber das ist nicht der Fall.«

Harchaoui meint, die Kontrolle des Haftar-Clans über die Hilfsaktionen, insbesondere die herausragende Rolle von Saddam Haftar, gebe wenig Anlass zur Hoffnung, dass eine nationale oder internationale Untersuchung der Katastrophe in Derna die Rolle der Verantwortlichen unabhängig wird durchleuchten können.

Zuvor hatte Generalstaatsanwalt al-Sediq al-Sour zugesagt, den Zusammenbruch der beiden Dämme in Derna sowie die Zuweisung von Mitteln in Millionenhöhe für die Instandhaltung der in den 1970er Jahren errichteten Bauwerke untersuchen zu lassen. Während al-Sour versprach, die örtlichen Behörden in Derna zu überprüfen, traf er auch mit Saddam Haftar zusammen. Wie das lokale Fernsehen berichtete, wurde der Bürgermeister von Derna am Samstag bis zum Abschluss der Ermittlungen suspendiert.

»Saddam positioniert sich selbst als der Chef. Wer physischen Zugang zu den Opfern und der Stadt bekommen möchte, ist dazu auf sein Wohlwollen angewiesen«, sagte Harchaoui. »Langsam laufen die Dinge auf nur ein zulässiges Resultat hinaus: dass nur Beamte der mittleren Ebene verantwortlich gemacht werden können. Ein großer Teil der notwendigen Überprüfungen ist von vornherein ausgeschlossen, es ist keine offene Untersuchung.«

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