Der Präsident des libyschen Repräsentantenhauses geht davon aus, dass noch vor Ende des Jahres allgemeine Wahlen stattfinden werden. Er scheint jedoch optimistischer zu sein, als er es sein sollte.
Der Präsident des libyschen Repräsentantenhauses, Aguila Saleh, sagte unlängst gegenüber dem saudischen Sender Al-Sharq, der Verfassungsartikel, das Gesetz zur Wahl des Präsidenten und das Gesetz zur Wahl des Parlaments seien verabschiedet, die Wahlkommission stehe bereit und der Mechanismus zur Wahl des Premierministers sei eingerichtet.
Der Wermutstropfen dabei: Laut dem Sprecher des anerkannten Parlaments im Osten des Landes gebe es Leute, die ihr öffentliches Amt nicht aufgeben wollten: »Wissen Sie, dass ich der einzige gewählte Parlamentspräsident bin, der fordert, dass eher heute als morgen Wahlen abgehalten werden, weil das Interesse der Nation Wahlen erfordert?« Deshalb wünscht er sich »die Ermutigung der internationalen Gemeinschaft«.
Saleh sagte jedoch auch, die Abhaltung von Wahlen setze die vorherige Bildung einer einheitlichen Regierung voraus: »Es ist nicht richtig, Wahlen unter zwei Regierungen abzuhalten, eine im Osten und die andere im Westen«, so wie es aktuell der Fall sei. Zugleich teilte er mit, dass es Kontakte mit dem Staatsrat, der im Westen die Rolle des Parlaments spielt, gebe, um sich auf den Mechanismus zur Bildung einer Einheitsregierung zu einigen.
Vergangene Woche bestätigte das Repräsentantenhaus, mit der Entgegennahme der Unterlagen der Anwärter für die neue Regierung begonnen zu haben, die mit der Durchführung der verschobenen Präsidentschafts- und Parlamentswahlen betraut werden soll. In der Erklärung hieß es, die Dossiers mehrerer Kandidaten erhalten zu haben, was zuvor zwischen den Repräsentantenhäusern und dem Staatsrat vereinbart worden war.
Im März einigten sich die Vorsitzenden des libyschen Parlaments, des Staatsrats und des Präsidialrats bei einem Treffen in Kairo auf die Notwendigkeit der Bildung einer Einheitsregierung und eines technischen Ausschusses, der Änderungen der Wahlgesetze prüfen soll. In einem gemeinsamen Dokument erklärten die drei Staats- und Regierungschefs, sie seien sich einig »über die Notwendigkeit der Bildung einer Einheitsregierung, deren Aufgabe es ist, den Wahlprozess zu überwachen, den Bürgern die notwendigen Dienstleistungen zu bieten und die souveränen Positionen zu vereinheitlichen«.
Der Teil der Vereinbarung zwischen den drei Chefs der libyschen Institutionen, der die Bildung eines Ausschusses betrifft, der Änderungen des Wahlgesetzes prüfen sollte, ist jedoch noch nicht umgesetzt worden.
Neues politisches Terrain
Der Politikexperte Issa Hamoma sieht in den jüngsten Schritten von Aguila Saleh, insbesondere in der Entgegennahme von Bewerbungsunterlagen für die Führung einer neuen Regierung, einen Versuch, Druck auf andere Parteien auszuüben und »sich in einem neuen politischen Umfeld durchzusetzen, dessen Parameter noch nicht feststehen, vor allem angesichts der zunehmenden Aktivität der stellvertretenden Leiterin der UN-Mission in Libyen, Stephanie Khoury, in Tripolis«.
Khoury habe zwar noch keine Details öffentlich gemacht, »aber jeder hat das Gefühl, dass die Amerikaner eindeutig hinter Khoury in Tripolis stehen«. Hamoma glaubt, dass in Libyen keiner so genau wisse, wie es weitergehen wird, »selbst der Regierungschef im Westen, Abdul Hamid Dabaiba, der Hoffnung geschöpft zu haben scheint, da er glaubt, dass er ein wesentlicher Partner in der amerikanischen Wahrnehmung der Sicherheitslage in den westlichen Teilen des Landes ist«.
Der Experte äußerte sich besorgt und pessimistisch über die Zukunft des politischen Fortgangs im Land. Er denke, Khoury werde die Verfolgung der politischen und staatlichen Entwicklung für eine Weile aufschieben. »Stattdessen werden Sicherheits- und Militärfragen auf ihrer Prioritätenliste ganz oben stehen, wobei sie der amerikanischen Vision folgt, eine einheitliche Sicherheits- und Militärfront unter den westlichen Parteien aufzubauen, um der russischen Expansion im Süden und Osten des Landes entgegenzutreten.«
Der libysche Politologe Idris Ahmed sagte, die Bildung einer neuen Regierung, die den Weg für die Abhaltung von Wahlen ebnet, sei ein Problem, das die politische Szene Libyens stören und einen Zustand der Blockade hervorrufen werde. »Obwohl die Papiere der Kandidaten für das Amt des Ministerpräsidenten dem Parlament vorgelegt wurden, wird der Staatsrat solch einen Schritt ablehnen, da er mit der Position Dabaibas übereinstimmt, die besagt, dass er die Autorität nur an eine gewählte Regierung abgeben wird.«
Der libysche Politologieprofessor Youssef Al-Farsi ist hingegen der Ansicht, die neue Einheitsregierung werde »unweigerlich kommen«, woraufhin Wahlen stattfinden werden: »Es gibt ein internationales Abkommen zur Beendigung der Krise in Libyen, welches den Parlamentspräsidenten dazu veranlasst hat, die Papiere derjenigen entgegenzunehmen, welche die Voraussetzungen für die Kandidatur für das Amt des Ministerpräsidenten erfüllen.«
Der politische Prozess zur Lösung des seit mehr als zehn Jahren andauernden Konflikts ist ins Stocken geraten, seit die für Dezember 2021 geplanten Wahlen an der Spaltung des Landes in zwei Regierungen und Parlamente im Osten und im Westen gescheitert sind.