Jesiden: Kaum Kompensation für IS-Opfer im Irak

Die meisten der vom IS vertriebenen Jesuiten im Irak leben immer noch in Flüchtlingslagern
Die meisten der vom IS vertriebenen Jesuiten im Irak leben immer noch in Flüchtlingslagern (© Imago Images / ZUMA Wire)

Durch die massiven Zerstörungen von Städten und Dörfern, die der Krieg gegen den Islamischen Staat hinterlassen hat, und den fehlenden Kompensationszahlungen seitens der irakischen Regierung ist eine Rückkehr in ihre Heimatorte für Tausende von Vertriebenen unmöglich.

Die irakischen Behörden haben es versäumt, Tausende von Jesiden und andere Gruppen angemessen zu entschädigen, die während des jahrelangen Kriegs gegen den Islamischen Staat (IS) verfolgt wurden und deren Eigentum vernichtet wurde. Viele Bewohner konnten bis heute ihre Häuser nicht wieder aufbauen und leben nun in Lagern, wie die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) Anfang Mai mitteilte.

Die Jesiden waren zahllosen Grausamkeiten ausgesetzt, darunter sexuelle Sklaverei, Zwangsehen und Massaker, als der IS im Jahr 2014 ihr Kernland Sinjar einnahm, viele ihrer Dörfer und Städte samt grundlegender Infrastruktur zerstörte und Tausende zur Flucht und zum Leben in Lagern zwang. Den Grund dafür, dass die meisten Einwohner nicht mehr in ihre Dörfer und Heimatstädte zurückkehren, sieht die Menschenrechtsorganisation in der fehlenden Kompensation der massiven Schäden, welche der IS, die irakische Armee und die US-geführte Koalition bei der Rückeroberung des Sinjar-Distrikts verursacht haben. 

»Ohne Entschädigung haben viele Sinjaris nicht die finanziellen Mittel, um ihre Häuser und Geschäfte wieder aufzubauen, sodass eine Rückkehr in ihre Heimat einfach keine Option ist«, sagte die Irak-Expertin bei HRW, Sarah Sanbar. »Die irakischen Behörden sollten die bereits für Entschädigungen vorgesehenen Mittel verteilen, um den Menschen zu helfen, ihr Leben wieder aufzubauen.« 

Unter den den weiterhin als Flüchtlinge lebenden 200.000 Sinjaris befinden sich rund 85 Prozent der jesidischen Bevölkerung des Bezirks. Die Mitglieder der ethnisch-religiösen Gemeinschaft, die sich zur Rückkehr entschlossen haben, sind mit einer instabilen Sicherheitslage und schlechten oder kaum vorhandenen öffentlichen Dienstleistungen wie Wasser-, Strom- und Gesundheitsversorgung konfrontiert. Auch das Bildungswesen ist davon betroffen.

Teures und kompliziertes Verfahren

Als der IS im August 2014 das jesidische Kernland Sinjar überrannte und Gräueltaten bis hin zum Völkermord verübte, wurden mehr als 6.000 Jesiden entführt; an die 2.700 davon werden immer noch vermisst. »Die erste Gruppe von 420 jesidischen Frauen erhielt im Februar eine finanzielle Entschädigung nach dem Yazidi Survivors Law«, berichtete HRW. Dieses Gesetz erkennt formell den Völkermord und die Verbrechen gegen die Menschlichkeit an, die vom Islamischen Staat an den Jesiden, Christen, Turkmenen und Shabak verübt wurden, und sieht regelmäßige Gehälter, die Bereitstellung von Land und die Zuteilung von zwei Prozent der Arbeitsplätze im öffentlichen Sektor vor.

Etwa 10.500 Sinjaris haben seit 2021 beim Sinjar Compensation Office eine Entschädigung beantragt – und obwohl 5.000 dieser Anträge genehmigt wurden, hat noch keine Familie die ihnen zustehenden Gelder erhalten, so ein Vertreter des Büros gegenüber HRW. »Die irakische Regierung sollte Engpässe im Entschädigungsprozess beseitigen, welche die rechtzeitige Auszahlung der Gelder behindern und sicherstellen, dass das entsprechende Gesetz ausreichend finanziert wird. Außerdem sollte sie andere Hindernisse für die Rückkehr nach Sinjaris beseitigen und die wirtschaftlichen Rechte aller dort lebenden Menschen erfüllen«, erklärte HRW.

Das Verfahren zur Beantragung von Entschädigungen ist kostspielig, langwierig und sehr bürokratisch. Die Antragsteller müssen offizielle Dokumente von mehreren Behörden einholen, und im letzten Schritt des Verfahrens muss nachgewiesen werden, dass der Antragsteller nicht mit dem Islamischen Staat in Verbindung steht. 

»Ich habe ein Jahr damit verbracht und viel Geld dafür ausgegeben, meinen Antrag zu bearbeiten und von Behörde zu Behörde zu gehen. Es war ein großer Aufwand. Jeder weiß, dass wir wegen des Islamischen Staats geflohen sind, warum müssen wir also zur Nationalen Sicherheitsbehörde gehen, um zu beweisen, dass wir nicht dazugehören? Das ist ein Verbrechen«, zitiert HRW einen Ladenbesitzer im Khanke-Lager in Duhok. Wegen der hohen Kosten entschieden sich viele jesidische Opfer gegen das Verfahren. Darüber hinaus reichen die vom Komitee zur Feststellung von Schäden zugewiesenen Beträge in der Regel nicht aus, um ein Haus wieder aufzubauen. 

Der Jahresbericht 2022 der US-Kommission für internationale Religionsfreiheit kritisierte Anfang Mai die Unfähigkeit der irakischen Regierung, das Gesetz für die überlebenden Jesiden angemessen umzusetzen und warf den der Kurdischen Regionalregierung (KRG) in Erbil und der Zentralregierung in Bagdad vor, das Sinjar-Abkommen nicht umzusetzen, das die beiden 2020 unterzeichnet hatten, um die Sicherheit in Sindschar wiederherzustellen, das jedoch bislang noch nicht vollständig umgesetzt wurde.

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