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Israels Sicherheitskräfte bereiten sich auf mehrere Ramadan-Szenarien vor

Israelische Grenzpolizei in Jerusalem, im Hintergrund der Felsendom auf dem Tempelberg
Israelische Grenzpolizei in Jerusalem, im Hintergrund der Felsendom auf dem Tempelberg (Quelle: JNS)

Die israelischen Verteidigungsstreitkräfte verstärken ihre Razzien und nehmen Aufwiegler ins Visier, während die Polizei der Bereitschaft Priorität einräumt.

Yaakov Lappin

Das israelische Verteidigungsestablishment und die israelische Polizei bereiten sich auf eine Reihe von Sicherheitsszenarien während des traditionell angespannten muslimischen Fastenmonats Ramadan vor, der am Abend des 10. März begonnen hat, während der Krieg gegen die Hamas in Gaza in seinen sechsten Monat geht.

Bislang ist es der Hamas nicht gelungen, die Gewalt im Westjordanland und in Ost-Jerusalem zu entzünden, aber sie sieht den Ramadan als eine neue Gelegenheit dafür. Dabei wird sie wahrscheinlich versuchen, religiös-fundamentalistische Themen in den Vordergrund zu stellen, um die palästinensischen Massen zur Teilnahme an gewaltsamen Unruhen aufzurufen und sich unter dem Banner der Al-Aqsa-Flut – der Name, den die Hamas ihrem Anschlag vom 7. Oktober gegeben hat –, zu versammeln.

Die Hamas hofft, Hunderttausende von Palästinensern auf die Straße zu bringen, die sich an Ausschreitungen beteiligen sollen. Die israelischen Verteidigungsstreitkräfte (IDF) sind sich dieser Absicht wohl bewusst und bereiten sich dementsprechend vor, indem sie ihre Bataillone im Westjordanland aufstocken.

So haben der israelische Sicherheitsdienst Shin Bet, die IDF und die Grenzpolizei zahlreiche Sicherheitsrazzien im Westjordanland durchgeführt, um Terrorzellen zu zerschlagen, bevor es zu tödlichen Anschlägen kommen konnte. Am Dienstag vor einer Woche etwa nahmen die Sicherheitskräfte einen hochrangigen Terroristen in Balata bei Nablus fest, nachdem sie erfahren hatten, dass er mit anderen Verdächtigen einen Anschlag plante. Am selben Tag stach ein Terrorist an der Yitzhar-Kreuzung einen Israeli nieder, bevor er von Soldaten am Tatort erschossen wurde.

Das für das Westjordanland zuständige IDF-Zentralkommando war bereits vor dem Hamas-Terrorangriff vom 7. Oktober mit einer heftigen Welle von Terroranschlägen beschäftigt. Diese Terrorwelle reicht bis in den März 2022 zurück und umfasst eine Reihe von Anschlägen im Westjordanland und in Israel.

Anhaltende Terrorwelle

Eine Quelle aus dem Verteidigungsministerium teilte in den vergangenen Tagen mit, die Sicherheitskräfte im Westjordanland unternähmen intensive Anstrengungen zur Bekämpfung des Terrors, einschließlich Razzien und Verhaftungen. Die anhaltende Terrorwelle, so die Quelle, werde durch die Schwächung der Palästinensischen Autonomiebehörde angeheizt, da einige Gebiete im  Westjordanland für ihre Sicherheitskräfte No-Go-Areas sind, wie zum Beispiel Dschenin und das Lager Balata.

Die Quelle aus dem Verteidigungsministerium wies auch auf eine neue, junge palästinensische Generation hin, die sich »von allem entfremdet« fühle, womit sowohl Israel als auch die Palästinensische Autonomiebehörde gemeint war. Der Quelle zufolge handelt es sich um eine Generation, welche die Operation Defensive Shield von 2002 nicht miterlebt hat, die von den IDF als Reaktion auf eine Welle palästinensischer Selbstmordattentate durchgeführt worden war, die Hunderte israelische Menschenleben forderte. Es sei eine Generation, die weder Panzer in den Straßen palästinensischer Städte noch groß angelegte Zerstörungen von Häusern erlebt hat.

Zeitgleich wurde das Westjordanland mit einer Flut von Waffen überschwemmt, die vor allem über die jordanische Grenze kommen, aber auch aus IDF-Stützpunkten gestohlen und in palästinensischen Werkstätten hergestellt werden.

Zusätzlich zu dieser ohnehin schon brisanten Mischung sind terroristische Organisationen weiterhin hoch motiviert, Anschläge zu verüben. Dabei versuchen die Hamas und der Palästinensische Islamische Dschihad, den Terrorismus vom Ausland aus zu orchestrieren, obwohl diese Bemühungen durch die Operationen der IDF im Gazastreifen erheblich behindert werden, so die Quelle.

Auch der Iran investiert Geld in Waffenlieferungen an Terroristen und versucht, neben der Hamas und dem Islamischen Dschihad die Leitung und Durchführung von Anschlägen zu unterstützen. Der Quelle aus dem Verteidigungsministerium zufolge wurden in den vergangenen sechs Monaten im Westjordanland Waffen beschlagnahmt, die von der radikalen schiitischen Achse des Widerstands stammten.

Verschiedene Bedrohungsfelder

Als ob dies nicht schon genug wäre, beschrieb die Quelle, wie in der palästinensischen Öffentlichkeit in großem Umfang zur Gewalt aufgestachelt werde, was durch Szenen aus dem Gazastreifen und Spannungen, die bis in die Zeit vor dem aktuellen Krieg zurückreichen, noch weiter angeheizt wird. Diese Faktoren können »einsame Wölfe« hervorbringen, die mit Messern oder anderen Waffen angreifen; aber auch die Gefahr organisierter Zellen besteht.

Die IDF bezeichnen die organisierten Zellen, die in der Regel Anweisungen, Waffen und Geld von außerhalb erhalten, als Teil der »terroristischen Infrastruktur« und führt nächtliche Razzien durch, um sie zu vereiteln, sei es in Hebron, Bethlehem oder anderswo im Westjordanland. Im Zuge dieser Aktionen konnten das Militär und der Shin Bet seit Oktober 2023 etwa 250 Terrorzellen ausheben.

Neben den »einsamen Wölfen« und den organisierten Zellen gibt noch eine dritte Bedrohung, nämlich bewaffnete Gruppen von Terroristen, die von etablierten Terrorgruppen und vom Iran unterstützt werden, aber auf eigene Faust operieren. Diese tauchen in der Regel dort auf, wo die Palästinensische Autonomiebehörde besonders schwach vertreten ist, so die Quelle, und verwandeln Lager in Terrorhochburgen, in denen große Mengen an Waffen und Sprengstoff gelagert sind.

Solche Gruppen seien für viele Anschläge verantwortlich, so die Quelle. Sie errichten Kommandoräume zur Beobachtung und legen Sprengsätze unter Straßen, die von den IDF bei Razzien routinemäßig neutralisiert werden. Die Gruppe Höhle der Löwen in Nablus ist ein bekanntes Beispiel für diese Art der Bedrohung, während sich die in Dschenin tätige Gruppe »Söhne des Lagers« oder Dschenin-Brigade nennt.

Schonung der Zivilbevölkerung

Der Krieg im Gazastreifen hat es den IDF ermöglicht, ihre Sicherheitsrazzien im Westjordanland zu verstärken, da das Zentralkommando des für den Gazastreifen zuständige Südkommando nicht mehr vor möglichen Opfern unter den Terroristen bei den Angriffen auf ihre Infrastruktur warnen muss – Opfer, die vor dem Krieg eine anschließende Eskalation durch Raketensalven aus dem Gazastreifen hätten auslösen können.

Dies bedeutet, dass das Militär im Westjordanland mehrere und härtere Razzien durchführen kann, insbesondere in den Lagern gegen organisierte bewaffnete Gruppen. So haben die IDF seit Beginn des Gaza-Kriegs 3.400 Terroristen im Westjordanland festgenommen, von denen etwa 1.500 mit der Hamas in Verbindung stehen. Das sind mehr Verhaftungen, als die Armee normalerweise in einem ganzen Jahr vornimmt.

Gesetzliche Änderungen ermöglichen es den IDF außerdem, im Internet tätige Aufwiegler zu dschihadistischer Gewalt gegen Israelis leichter zu verhaften. Unterstützt werden sie dabei von einer speziellen Geheimdiensteinheit, die auf das Aufspüren solcher Aktivisten spezialisiert ist. Gleichzeitig, so die Quelle, sei es das Ziel, den Terrorismus so präzise wie möglich zu bekämpfen, ohne dabei unbeteiligte Palästinenser zu treffen.

Das israelische Verteidigungsministerium ist der Ansicht, dass die Gewährung der Religionsfreiheit für unbeteiligte Palästinenser auf dem Tempelberg dazu beitragen wird, der Hamas jenen Religionskrieg zu verwehren, den sie anzufachen versucht. Darüber hinaus sollen einige palästinensische Arbeiter, wenn auch weniger als vor dem Krieg, nach Israel zurückkehren dürfen, um den wirtschaftlichen Druck zu mindern und der Hamas Rekrutierungsmöglichkeiten zu nehmen.

Der Quelle zufolge gibt es zwar viele IDF-Kontrollpunkte im Westjordanland, aber letztendlich seien es die offensiven Sicherheitsrazzien, die den Terrorismus am wirksamsten stoppen. Die begrenzte Anzahl zur Verfügung stehende Soldaten bedeutet, dass die für diese Razzien reservierten Kräfte anderswo nicht zum Einsatz kommen können, wodurch die Anzahl der Kontrollpunkte, die eingerichtet werden können, begrenzt ist.

Der Shin Bet gab vergangene Woche bekannt, eine vom Islamischen Staat inspirierte Terrorzelle in der Gegend von Hebron ausgehoben zu haben, die etwa hundert Sprengsätze hergestellt und Anschläge geplant hatte. Die Ankündigung erinnert daran, dass der Islamische Staat auch in dem Gebiet eine Bedrohung darstellt.

Zugleich fand auf dem Ausbildungsstützpunkt Lachish ein Schulungsprogramm des IDF-Zentralkommandos für aktive und in Reserve stehende Kommandeure statt. »Die intensiven Bemühungen der IDF und des Shin Bet zur Terrorismusbekämpfung in Judäa und Samaria verhindern eine Eskalation der Sicherheitslage und ermöglichen es, uns auf die Kämpfe im Gazastreifen und im Libanon zu konzentrieren und wichtige Ergebnisse zu erzielen«, erklärte IDF-Stabschef Herzi Halevi bei dem Trainingsprogramm Anfang März.

»Sie haben eine große Verantwortung in Judäa und Samaria, um die Kriegsziele zu erreichen und auf jeden Einsatz vorbereitet zu sein. Vor dem Ramadan ist dies noch wichtiger. Ohne die hervorragenden Reservisten, die hier sind, hätten wir diese Leistungen nicht vollbringen können.« Der Chef des Zentralkommandos, Yehuda Fuchs, fügte hinzu, die Bereitschaft unter den Terrorgruppen für eine Eskalation sei eine grundlegende. »Ein Vorfall, ob real oder nicht, könnte dazu führen, dass Hunderttausende auf die Straße gehen, und darauf muss man in jeder Hinsicht vorbereitet sein.«

Reihe von Szenarien

Auch die israelische Polizei ist seit mehreren Wochen damit beschäftigt, ihre Vorbereitungen für den Ramadan zu treffen, wobei sie sich mit den IDF und dem Shin Bet abstimmt. Die Polizei, die sich auf eine Vielzahl von Szenarien vorbereitet hat, wird es im Ramadan mit einer großen Zahl von muslimischen Gläubigen, arabischen Israelis und Palästinensern, die gleichzeitig auf den Tempelberg kommen, zu tun haben.

Im Vorfeld stellten die Polizeikräfte fest, dass auf sozialen Medienplattformen wie TikTok, Instagram und Telegram vermehrt Online-Aufrufe zu den Ereignissen in Gaza zu finden sind. Die Aufwiegelung umfasst dabei Bots aus Ländern wie Malaysia, Indonesien und Pakistan und in geringerem Maße auch aus dem Gazastreifen, da das Internet dort großteils unterbrochen ist.

Die Vorbereitung auf verschiedene Szenarien hatte für die Polizei in der Zeit vor dem Ramadan oberste Priorität. Die Grenzpolizei hat seit Kriegsbeginn Reservebataillone aufgestellt, von denen viele im aktiven Dienst bleiben. Ein Teil dieser Bataillone wird den Raum Jerusalem verstärken. Die Altstadt Jerusalems, ein dicht gedrängtes Gebiet von etwa einem Quadratkilometer, in dem sich während des Ramadans Hunderttausende von Gläubigen aufhalten, stellt die Polizei vor viele mögliche Szenarien.

Yaakov Lappin ist Korrespondent und Analyst für militärische Angelegenheiten in Israel. Er ist hausinterner Analyst am MirYam-Institut, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Alma-Forschungs- und Bildungszentrum und am Begin-Sadat-Zentrum für strategische Studien an der Bar-Ilan-Universität sowie Autor von Virtual Caliphate – Exposing the Islamist State on the Internet. (Der Artikel erschien auf Englisch beim Jewish News Syndicate. Übersetzung von Alexander Gruber.)

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