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Iranische Heuchelei

Zerstörtes Gebäude neben der iranischen Botschaft in Damaskus. (© imago images/Xinhua)
Zerstörtes Gebäude neben der iranischen Botschaft in Damaskus. (© imago images/Xinhua)

Ob der Angriff auf ein Gebäude in Damaskus wirklich völkerrechtswidrig war, ist umstritten. Klar ist aber: Die iranische Heuchelei ist bemerkenswert.

In einem Brief an den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen beklagte sich Irans UN-Botschafter in New York, Amir Saeid Iravani, bitterlich über die »schrecklichen Verbrechen und feigen terroristischen Anschläge«, für die »der Aggressor, das zionistische Regime, die volle Verantwortung trägt«. Der Angriff auf ein Gebäude neben der iranischen Botschaft in Damaskus sei ein »eklatanter Verstoß gegen die Charta der Vereinten Nationen, das Völkerrecht und das Grundprinzip der Unverletzlichkeit diplomatischer und konsularischer Einrichtungen, wie es im Übereinkommen über diplomatische Beziehungen von 1961, im Wiener Übereinkommen über konsularische Beziehungen von 1963 und im Übereinkommen über die Verhütung und Bestrafung von Straftaten gegen international geschützte Personen, einschließlich Diplomaten, von 1973 niedergelegt ist«.

Ob der Angriff in Damaskus wirklich so gegen internationales Recht verstoßen hat, wie das iranische Regime behauptet, ist freilich nicht eindeutig.

Völkerrechtliche Fragen

Unbestritten ist, dass nicht die iranische Botschaft getroffen wurde, wie in etlichen Medienberichten fälschlicherweise berichtet wurde, sondern ein Gebäude daneben, in dem sich iranischen Angaben zufolge ein Konsulat sowie die Residenz des iranischen Botschafters befunden haben sollen. Laut einem auf Gesprächen mit Völkerrechtsexperten basierenden Artikel der New York Times (NYT) könne Israel aber, wenn es denn für den Angriff verantwortlich war, durchaus argumentieren, dass sein Vorgehen zumindest nicht gegen den besonderen völkerrechtlichen Schutz diplomatischer Vertretungen verstoßen habe.

Gemäß den vom iranischen UN-Botschafter angeführten Übereinkommen zum Schutz diplomatischer Einrichtungen sind diese zwar tatsächlich »unverletzlich« und müssen unter anderem vor »jeder Beschädigung« geschützt werden, aber diese Anforderung hinsichtlich des Schutzes sind Verpflichtungen des »Empfangsstaates«, der auch verhindern muss, »dass der Friede der Mission oder ihre Würde beeinträchtigt wird« (Artikel 22 des Wiener Übereinkommens über diplomatische Beziehungen).

Der Empfangsstaat ist im konkreten Fall aber selbstverständlich Syrien und die angeführten Verpflichtungen sagen laut einigen von der New York Times befragten Experten nichts über Angriffe anderer Staaten aus. »Israel ist ein Drittstaat und nicht an das Gesetz über diplomatische Beziehungen im Hinblick auf die iranische Botschaft in Syrien gebunden«, so ein britischer Völkerrechtler. Das widerspricht zwar den landläufigen Überzeugungen über den Schutz diplomatischer Einrichtungen, aber wie in vielen anderen Fällen auch entsprechen die tatsächlichen Bestimmungen des Völkerrechts hier nicht jenen, die allgemein für wahr gehalten werden.

Militärische Verwendung

Selbstverständlich gilt für Botschafts- oder Konsulatsgebäude, was im humanitären Völkerrecht für andere Gebäude auch gilt: Handelt es sich um zivile Objekte, dürfen sie nicht angegriffen werden. Aber dieser Grundsatz kennt auch wichtige Ausnahmen: »Eine Botschaft kann diesen Schutz jedoch verlieren«, gibt die NYT zu bedenken, »wenn sie für militärische Zwecke genutzt wird, wie dies bei Schulen, Wohnhäusern und anderen zivilen Gebäuden in Kriegszeiten der Fall ist«.

Wird ein ziviles Gebäude für militärische Zwecke verwendet, gilt es als legitimes Ziel. Bei einem Angriff darauf gilt aber weiterhin der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit: Er darf nur erfolgen, wenn die erwartbaren Verluste an zivilen Menschenleben und Sachschäden im Verhältnis zu dem zu erwartenden militärischen Vorteil nicht exzessiv sind.

Nicht einmal die Revolutionsgarden bestreiten den Charakter des Treffens, das in dem Gebäude in Damaskus stattgefunden hat: »Nach Angaben von zwei Mitgliedern der iranischen Revolutionsgarden galt der Angriff einem geheimen Treffen, bei dem iranische Geheimdienstmitarbeiter und militante Palästinenser über den Krieg im Gazastreifen diskutierten. Unter ihnen waren Führer des Palästinensischen Islamischen Dschihads, einer Gruppe, die vom Iran bewaffnet und finanziert wird.«

Bei dem Angriff wurde außer drei hochrangigen Mitgliedern der Revolutionsgarden und Vertretern anderer Terrororganisationen offenbar niemand anderer getötet oder verletzt und kein weiteres Gebäude ernsthaft in Mitleidenschaft gezogen. Es war ein Angriff auf ein legitimes militärisches Ziel, der keine zivilen Opfer gefordert hat – klarer kann die Frage nach der Verhältnismäßigkeit nicht beantwortet werden.

Selbstverteidigung

Bleibt noch die Frage, ob die Gewaltanwendung nicht ein Verstoß gegen das allgemeine Gewaltverbot nach Artikel 2(4) der UN-Charta war. Im Prinzip ja, aber auch dieser Grundsatz kennt Ausnahmen, deren wichtigste das Recht auf Selbstverteidigung eines Staates ist. Israel könne, so ein Völkerrechtler der Hebräischen Universität in Jerusalem, den Angriff in Damaskus als »Akt der Selbstverteidigung« rechtfertigen.

Ob das einen israelischen Angriff in Syrien legitimieren kann, ist umstritten. Hier stellen sich dieselben rechtlichen Fragen wie beim Militäreinsatz der internationalen Koalition gegen den Islamischen Staat in Syrien, der ja auch nicht mit Einverständnis des syrischen Regimes zum Teil auf syrischem Territorium erfolgte.

Atemberaubende Heuchelei

Unabhängig von den rechtlichen Fragen sollte die atemberaubende Heuchelei nicht übersehen werden, in der sich das iranische Regime ob der Verletzung einer diplomatischen Einrichtung ergeht. »Es ist der Gipfel der Scheinheiligkeit«, bemerkte Clemens Wergin in der Welt völlig zu Recht, »dass der Iran hier die Regeln der Diplomatie in Anspruch nimmt, die das Mullah-Regime selbst stets mit Füßen getreten hat«.

Was war denn mit der vermeintlichen Heiligkeit diplomatischer Einrichtungen, als das iranische Regime im November 1979 die amerikanische Botschaft in Teheran stürmte und 52 Botschaftsmitarbeiter 444 Tage lang als Geiseln nahm? Als es 1983 die US-Botschaft im Libanon (63 Tote) und 1992 die israelische Botschaft in Buenos Aires (29 Tote) in die Luft sprengte? Kümmerte sich das Mullah-Regime um die Regeln der Diplomatie und das Völkerrecht, als die iranische Botschaft in Wien im Juli 1989 den Attentätern Zuflucht gewährte, die den Generalsekretär der Demokratischen Partei Kurdistans im Iran (DPK-I), Abdul Rahman Ghassemlou, und zwei weitere Kurden ermordet hatten?

Als der in Wien als dritter Botschaftsrat der Botschaft der Islamischen Republik Iran arbeitende Assadollah Assadi 2018 mit 500 Kilogramm Sprengstoff quer durch Europa fuhr, um in Frankreich ein Treffen iranischer Oppositioneller in die Luft zu sprengen? Als das Regime europäische Geiseln nahm, um mit ihnen Assadi in Belgien freizupressen, wo er wegen des geplanten Mordanschlags verurteilt worden war? Ist nicht bestens dokumentiert, welche zentrale Rolle iranische Botschaften und iranische Diplomaten im weltweiten Staatsterrorismus des iranischen Regimes spielen?

Noch größer als die iranische Scheinheiligkeit sind nur die Naivität und Ignoranz westlicher Medien, die nach dem Angriff in Damaskus die iranischen Stellungnahmen wiedergeben, ohne auf diesen Hintergrund hinzuweisen und damit verschleiern, dass dieses Regime sich einen Dreck um das Völkerrecht schert, das es jetzt so wortreich im Munde führt.

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