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Hamas repräsentiert wichtigen Teil der Palästinenser

Hamas-Aufmarsch im Rafah im Gazastreifen
Hamas-Aufmarsch im Rafah im Gazastreifen (Imago Images / UPI Photos)

Das Hamas-Massaker wurde von einem großen Teil der Muslime in der ganzen Welt, auch in den bevölkerungsreichsten Städten des Westens, lautstark unterstützt.

Yossi Kuperwasser

Man hört immer wieder von westlichen Politikern, darunter auch US-Präsident Joe Biden, die Hamas repräsentiere nicht die palästinensische Bevölkerung. Ich bin da anderer Meinung: Es gibt einen beträchtlichen Teil der palästinensischen Bevölkerung, der die Hamas als seinen Vertreter betrachtet, nicht nur in der Straße von Gaza, sondern auch in der Westbank.

Die Hamas repräsentiert einen wichtigen Teil der palästinensischen Bevölkerung, was man bedenken sollte, wenn man vom »Tag eins nach dem Krieg« spricht. Am 7. Oktober folgten viele Zivilisten im Gazastreifen den Hamas-Agenten auf ihrem Weg nach Israel, um dort zu plündern und zu morden, während in den Straßen von Gaza die Angriffe gefeiert wurden.

Aus diesem Grund hat auch die Fatah, die Regierungspartei der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA), in den letzten achtzehn Jahren jegliche Wahlen vermieden, da die Hamas wahrscheinlich siegreich sein würde. Das hohe Alter des bald 88-jährigen PA-Präsidenten Mahmud Abbas macht seine Herrschaft fragil und prekär. Er hat bereits die Kontrolle über die (auch Samaria genannte) nördliche Westbank mit Städten wie Dschenin und Nablus verloren. Die Hamas genießt auch die Unterstützung der Studentenvereinigungen an den führenden palästinensischen Universitäten. Und seit dem Massaker vom 7. Oktober ist die Unterstützung für die Hamas im Westjordanland von vierundvierzig auf 58 Prozent gestiegen.

Religiöse Ideologie

Wie in den arabischen sozialen Medien zu sehen ist, wurden die Terroranschläge vom Oktober als historischer Sieg für den Islam gewertet. Jahrelang haben sich sowohl die nationalistische, »säkulare« Fatah als auch die islamistische Hamas, die der palästinensische Ableger der Muslimbruderschaft ist, einer ähnlichen, auf dem Koran basierenden antijüdischen Rhetorik befleißigt.

Der verstorbene religiöse Führer der Muslimbruderschaft und damit auch der Hamas, Scheich Yousef al-Qardawi, rief zu terroristischen Aktionen und Selbstmordattentaten gegen Juden in Israel auf. Der Hass auf Israel und die Juden hat die Hamas trotz ihrer Korruption und Unterdrückung der Bürger populär gehalten.

Sowohl die Hamas als auch die Fatah haben dasselbe Narrativ: die Leugnung einer jüdischen Identität und die Ablehnung des Zionismus, sprich: der jüdischen Souveränität in Form eines Nationalstaats. Sie sehen Juden negativ und hoffen, Israel vollständig ersetzen zu können. Die aggressive, politische und radikale Auslegung des Islams durch die Hamas verherrlicht Mord und Grausamkeit gegenüber denen, die sie als Feinde des Islams betrachtet.

Ein israelischer Sieg über die Hamas stellt damit auch eine theologische Herausforderung dar, da er als demütigender Schlag gegen den Islam empfunden wird, der den erbitterten Hass auf Israel noch weiter verstärken wird. Das Hamas-Massaker wurde von den meisten Muslimen in der ganzen Welt, auch in den bevölkerungsreichsten Städten des Westens, lautstark unterstützt. Muslime, die sich gegen die Hamas stellen, laufen Gefahr, von ihren Glaubensbrüdern als Verräter angesehen zu werden, und schweigen deshalb.

Hamas-Führer Ismail Haniyeh erklärte kürzlich, das Leiden, die Verwüstung und die Zerstörung des Gazastreifens seien notwendige Opfer, um den Krieg gegen die Juden zu gewinnen. Zeitgleich zu dieser aggressiven Rhetorik vermarkten die Hamas und die Palästinensische Autonomiebehörde die großteils von ihnen selbst produzierte palästinensische Opferrolle, um die Israelis sowohl in der palästinensischen Öffentlichkeit als auch im Westen zu dämonisieren.

Der Westen und die internationale Gemeinschaft verkennen, dass die Hamas einen beträchtlichen Teil der palästinensischen Bevölkerung repräsentiert und die Ideologie der Fatah jener der Hamas ähnlich ist. Dies zuzugeben würde bedeuten, dass der Westen Israels Erklärungen über die Schwierigkeit eines Friedensschlusses mit den Palästinensern akzeptieren müsste, wohingegen der Westen es vorzieht zu glauben, die Niederlage der Hamas werde auf eine zur Kooperation bereite Bevölkerung treffen, die eine gemäßigte Führung begrüßen würde.

Wenig vielversprechend

Wer sind die potenziellen künftigen palästinensischen Führer nach einer erfolgreichen Operation der israelischen Verteidigungsstreitkräfte in Gaza und nach Abbas in der Westbank? Die Kandidaten sind nicht vielversprechend. Der einst wichtige PLO-Führer Mohammed Dahlan, der ursprünglich aus dem Gazastreifen stammt und jetzt im Exil in Abu Dhabi lebt, ist ebenso wie sein korrupter und doppelzüngiger Mentor Jassir Arafat ein entschiedener Gegner Israels. Salam Fayyad ist eine weitere Führungsoption, gilt aber als zu schwach, um den Terror in Gaza zu verhindern. Beide sind dem anti-israelischen Narrativ verpflichtet.

Werden sich andere arabische Akteure einmischen? Es ist unwahrscheinlich, dass die Golfstaaten politisch intervenieren werden, aber sie werden Gaza wahrscheinlich wirtschaftlich unterstützen. Die Palästinensische Autonomiebehörde ließ durch ihren Premierminister Mohammed Shtayyeh verlauten, dass die PLO nicht an einer Rückkehr nach Gaza interessiert ist, es sei denn, dies bedeute die Errichtung eines dauerhaften palästinensischen Staates, der in der internationalen Gemeinschaft aufgewertet wird.

Ohne die Forderung an die Palästinenser, ihre negativen Narrative über Israel zu ändern, wird der erwartete militärische Sieg Israels in Gaza politisch nicht viel bewirken. Jede Führung, die dem Gazastreifen aufgezwungen wird, ist zum Scheitern verurteilt, so wie es während der Oslo-Periode und nach dem Rückzug aus dem Gazastreifen der Fall war.

Die Änderung eines Narrativs braucht viele Jahre, mindestens eine Generation. Beim Wiederaufbau des Gazastreifens geht es nicht nur um die Errichtung von Gebäuden oder Infrastruktur, sondern auch um palästinensische Erzählungen, die geändert und rekonstruiert werden müssen. Dazu gehören die israelfeindliche Indoktrination im Bildungssystem und die Aufstachelung zum Terror, einschließlich der Zahlungen an Familien von Terroristen. Wenn dieser grundlegende Wandel nicht oberste Priorität hat, wird Israel den Gazastreifen für lange Zeit unfreiwillig regieren müssen.

Yossi Kuperwasser ist Direktor des Projekts über regionale Entwicklungen im Nahen Osten am Jerusalem Center for Public Affairs. Zuvor war er Generaldirektor des israelischen Ministeriums für strategische Angelegenheiten und Leiter der Forschungsabteilung des militärischen Geheimdienstes der Israelischen Verteidigungsstreitkräfte. (Der Artikel erschien auf Englisch beim Jewish News Syndicate. Übersetzung von Alexander Gruber.)

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