Europa, Amerika, Israel und die arabischen Staaten müssen zusammenarbeiten, um eine neue Nachkriegsrealität im Nahen Osten zu schaffen.
Christoph Plos
Der 7. Oktober, der Tag des barbarischen Terroranschlags der Hamas auf Israel, markiert einen Wendepunkt für den Nahen Osten mit weitreichenden Folgen. Kurzfristig wird Israel, das dabei in vollem Umfang unterstützt werden muss, zu Recht alles in seiner Macht Stehende tun, um die terroristische Infrastruktur der Hamas im Gazastreifen zu zerstören. Langfristig jedoch ist eine dauerhafte und friedliche Lösung der Gaza-Frage erforderlich. Da darüber derzeit kaum diskutiert wird, möchte ich eine Diskussion anstoßen und an die überfällige Beteiligung der deutschen Bundesregierung an einer Friedensstrategie für den Nahen Osten, auch in der Golfregion, erinnern.
Die Zerschlagung der Hamas ist ein wichtiger Schritt zum Frieden im Nahen Osten, nicht zuletzt deshalb, weil damit eine erhebliche Bedrohung für den Staat Israel beseitigt werden wird. Einen dauerhaften Frieden kann es nur geben, wenn alle regionalen Akteure das Existenzrecht Israels anerkennen.
Die Zerstörung der Hamas allein wird jedoch nicht ausreichen. Nur ein tragfähiger Plan für den Gazastreifen wird eine dauerhafte friedliche Koexistenz ermöglichen. Neben Israel kommt dabei den arabischen Staaten eine entscheidende Rolle zu. Auch sie haben ein Interesse an regionaler Stabilität und Frieden.
Hamas-Plan darf keinen Erfolg haben
Bereits vor dem 7. Oktober gab es vielversprechende Gespräche und eine Normalisierung der Beziehungen zwischen Israel und großen Teilen der arabischen Welt, zuletzt eine Annäherung zwischen Israel und Saudi-Arabien. Sowohl Israel als auch die arabischen Staaten sind sich einig in der Sorge, dass der Iran durch seine Unterstützung diverser Terrorgruppen sowie durch seine nuklearen Ambitionen eine Eskalation im Nahen Osten herbeiführen könnte.
Mit der Unterzeichnung der Abraham-Abkommen erkannten mehrere arabische Staaten, die Vereinigten Arabischen Emirate, Bahrain und Marokko, den jüdischen Staat Israel an und nahmen diplomatische Beziehungen zu ihm auf. Infolgedessen werden arabische Schulbücher überarbeitet, um den Hass auf Juden und Israel aus ihnen zu beseitigen; der Handel boomt und neue Tourismusströme in der Region sorgen für einen Austausch auf breiter gesellschaftlicher Ebene.
Teil des heimtückischen Plans der Hamas war nicht zuletzt, diese vielversprechende Annäherung zu zerstören. Das dürfen wir nicht zulassen.
Die arabischen Staaten müssen Teil der Lösung sein. Sie spielen eine Schlüsselrolle und sollten sich dieser Aufgabe stellen – ein Punkt, der in Erklärungen von Vertretern einiger arabischer Staaten bereits unterstrichen wurde: Es gibt kaum einen Staat in der Region, der ein Interesse daran hat, den Terrorismus zu unterstützen, eher das Gegenteil ist der Fall.
Deutschland und die Europäische Union insgesamt sollten diese Akteure bei ihrem Versuch unterstützen, die Gewaltgeschichte der Region zu überwinden. Deshalb braucht der Nahe Osten einen »Abraham-Plan« für die Nachkriegszeit in Gaza. Er sollte von Israel und den arabischen Staaten gemeinsam entwickelt und umgesetzt werden.
Nach dem Zweiten Weltkrieg haben die Europäer – und insbesondere die Deutschen – erfahren, wie wichtig moralische und materielle Unterstützung durch wohlwollende internationale Partner sein kann. Deutschland und Europa haben gelernt, dass solche Partner unerlässlich sind, um einen Weg zu politischer Stabilität und Wohlstand zu finden. Im Hinblick auf den Nahen Osten sollte diese Aufgabe von den Vereinigten Staaten, Europa und der internationalen Gemeinschaft übernommen werden.
Gemeinsame Verwaltung?
Eine der Schlüsselfragen, die von allen an einem »Abraham-Plan« beteiligten Parteien geklärt werden muss, ist die Verwaltung des Gazastreifens. Es ist unbestreitbar, dass ein neuer Ansatz notwendig ist. Wir müssen uns fragen: Wie kann die Anerkennung des Existenzrechts Israels sichergestellt werden? Wer kann als stabilisierende Kraft in Gaza agieren? Ist eine gemeinsame Verwaltung möglich, bei der Israel und bestimmte arabische Staaten zusammenarbeiten?
Wie kann die Versorgung der Palästinenser mit lebenswichtigen Gütern sichergestellt werden? Wie kann der Zivilbevölkerung und den Flüchtlingen in Gaza ein menschenwürdiges Leben ermöglicht werden? Wie kann ein Bildungssystem aufgebaut werden, das nicht Hass und Hetze verbreitet, sondern das friedliche Zusammenleben fördert? Wie können wirtschaftlich und sozial nachhaltige Strukturen aufgebaut werden? Wie kann sichergestellt werden, dass sich alle Beteiligten im Rahmen des Völkerrechts bewegen? Und nicht zuletzt: Welche Aussichten gibt es nach der Zäsur vom 7. Oktober für eine Zwei-Staaten-Lösung?
Ein »Abraham-Plan«, der diese Fragen beantwortet, wäre nicht nur ein Segen für den Nahen Osten, sondern würde auch den Interessen Deutschlands und Europas dienen. Erstens, weil die Sicherheit des Staates Israel zur Daseinsberechtigung des modernen Deutschlands gehört. Zweitens, weil es um sichere Handelswege für die deutsche und europäische Wirtschaft, um Zuwanderungsfragen und um eine sichere Energieversorgung geht.
Wir müssen unsere energie-, wirtschafts-, sicherheits-, migrations- und entwicklungspolitischen Ziele im Nahen Osten klar formulieren. Mit Blick auf die arabischen Staaten muss sich die deutsche Außenpolitik ändern, denn das derzeitige Fehlen eines umfassenden strategischen Konzepts gefährdet den europäischen und westlichen Einfluss. Niemandem ist damit gedient, wenn sich die arabischen Staaten in der Golfregion von uns ab- und China oder Russland zuwenden.
Die Tatsache, dass China kürzlich Bemühungen unternommen hat, eine Annäherung zwischen Saudi-Arabien und dem Iran zu vermitteln, sollte die Alarmglocken schrillen lassen. Wenn der Westen nicht aufpasst, könnte China dauerhaften Einfluss in der Region gewinnen. Ein »Abraham-Plan« für den Gazastreifen würde dem Westen die Möglichkeit bieten, seine Position im Nahen Osten zu stärken.
Wir sollten diese Chance ergreifen und eine Koalition der Willigen schmieden, in der Deutschland und die EU mit Israel und den arabischen Staaten zusammenarbeiten, um eine neue Realität in der Region zu schaffen.
(Der Artikel erschien auf Englisch beim Jewish News Syndicate. Übersetzung von Alexander Gruber.)