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Der Ölkrieg Saudi-Arabiens

Der saudische Energieminister Khalid Al-Falih auf einem OPEC-Treffen 2019 in Wien
Der saudische Energieminister Khalid Al-Falih auf einem OPEC-Treffen 2019 in Wien (© Imago Images / Xinhua)

Erdöl gibt es ab sofort fast geschenkt. Nachdem Saudi-Arabien am Wochenende eine Ausweitung seiner Produktion und Rabatte für seine Kunden in Europa, Amerika und Asien angekündigt hatte, fiel der Ölpreis in der Nacht von Sonntag auf Montag um über 30 Prozent.

Es war der größte Tagesverlust seit dem Golfkrieg 1991. Der Unterschied zur damaligen Situation: Seinerzeit stürzte der Ölpreis ab, nachdem er vorher wegen der Krise am Persischen Golf, der Unsicherheit und dem UN-Boykott gegen irakisches und kuwaitisches Öl über Monate stark gestiegen war.

Diesmal hingegen ist er von einem ohnehin schon relativ niedrigen Niveau (mehr als zwei Drittel unter dem historischen Höchstpreis von 2008) noch weiter in den Keller gestürzt. Die Aktien namhafter Ölunternehmen fielen teilweise um über 30 Prozent. Mit weniger als 35 Dollar pro Barrel hat der Ölpreis ein Niveau erreicht, bei dem nur noch die Produzenten mit den allerniedrigsten Förderkosten konkurrenzfähig sind. Die großen westlichen Ölkonzerne machen derzeit bei jedem Barrel Öl, das sie verkaufen, Verlust. Wohl niemand kann derzeit sagen, welche von ihnen in zehn Jahren noch existieren werden.

Preisverfall durch Schieferöl

Hintergrund des Preisverfalls ist die Dreiecksrivalität zwischen Saudi-Arabien, Russland und den Vereinigten Staaten, die als langfristige Folge des Ölpreisbooms betrachtet werden kann, den die Welt zwischen 2004 und 2008 erlebte. Während der damaligen weltweiten ökonomischen Expansion (und auch dank der Spekulation an den Terminmärkten) stieg der Ölpreis seinerzeit auf einen Rekordwert von 145 Dollar im Juni 2008. Das führte zu einer fieberhaften Suche nach neuen Ölquellen und brachte Anfang des jetzigen Jahrzehnts die amerikanische Schieferölindustrie hervor, die mit neuen Methoden bis dahin unwirtschaftliche Ölvorkommen erschloss.

Die USA stiegen zum weltgrößten Ölproduzenten auf und wurden im September 2019 erstmals seit vielen Jahrzehnten zum Nettoölexporteur. Die Folge waren sinkende Ölpreise und eine Erosion der OPEC, die den Ölmarkt vier Jahrzehnte lang so sehr beherrscht hatte, dass man vom „Ölkartell“ sprach. Das amerikanische Öl brach dieses Kartell auf. Im Versuch, die amerikanischen Schieferölproduzenten zu ruinieren und vom Markt zu drängen, drehte Saudi-Arabien ab 2014 den Ölhahn weiter auf und drückte den Preis nach unten. Doch die meisten amerikanischen Förderer waren in der Lage, ihre Kosten zu senken und überlebten. Der Ölpreis fiel immer weiter.

Absprachen, die nicht hielten

So lange, bis Saudi-Arabien bzw. die OPEC und Russland 2016 anfingen, Absprachen zu treffen. Russland nämlich ist der größte Ölexporteur außerhalb der OPEC. Das neue Bündnis nannte sich OPEC+ und war zunächst erfolgreich. Trotz der immer weiter steigenden US-Produktion konnte der Ölpreis dank der Förderkürzungen der OPEC+ wieder auf einem Niveau stabilisiert werden, mit dem Saudi-Arabien, Russland und alle anderen gut leben konnten. Im Herbst letzten Jahres stand er bei 75 Dollar pro Barrel.

Trotzdem gab es Missmut. Russland sah es mit Groll, dass die amerikanischen Produzenten von der Förderzurückhaltung der OPEC+ profitierten, ohne selbst durch eigene Förderkürzungen zu einem höheren Ölpreis beizutragen. Dass die US-Regierung die russische Öl- und Gasindustrie gleichzeitig mit Sanktionen bekämpfte, verstärkte diesen Groll.

Aber auch innerhalb der OPEC selbst gab es Argwohn und Missgunst. Wie so oft in der Vergangenheit, wenn der Ölpreis nicht von realer Knappheit getragen wurde (wie zwischen 2004 und 2008), sondern von Absprachen über Förderkürzungen, hielten sich nicht alle an diese. Russland brach seine Zusagen und setzte dann auch noch Ende letzten Jahres durch, dass sein als Gaskondensat produziertes Öl bei den Quoten unberücksichtigt bleibt. Und auch der Irak förderte mehr Öl als vereinbart. Diese Überschreitungen musste Saudi-Arabien kompensieren, indem es freiwillig einen größeren Teil seiner Förderkapazitäten brachliegen ließ, als vertraglich vereinbart.

Saudi-Arabiens Reaktion

Russland und der Irak haben also mehr gefördert, als sie gedurft hätten, Saudi-Arabien weniger. Als die Corona-Krise im Februar 2020 den Ölpreis immer weiter unter Druck brachte – weil China derzeit etwa 35 Prozent weniger Öl kauft als im Vorjahresquartal –, wurde am Markt ein Sondertreffen der OPEC erwartet. Das kam aber nie. Beim regulären Treffen am 6. März konnten sich Saudi-Arabien und Russland nicht einmal auf eine Fortsetzung der bis dahin – zumindest auf dem Papier – geltenden Förderkürzungen einigen. Daraufhin kündigte Saudi-Arabien nun jene Produktionsausweitung an, die Kommentatoren als „Ölkrieg“ oder „Abnutzungskrieg“ (so CNN) bezeichnen.

Am Mittwoch gab Saudi-Arabiens Ölgesellschaft Saudi Aramco Details bekannt: Die Förderkapazität soll von 12 Millionen auf 13 Millionen Barrel pro Tag erhöht werden.

Ab April will das Unternehmen täglich 12,3 Millionen Barrel pro Tag fördern, so viel wie nie zuvor. Auch Abu Dhabi National Oil Co., die Ölgesellschaft der Vereinigten Arabischen Emirate, kündigte an, seine Produktion massiv auszuweiten, von derzeit 3,1 auf 4 Millionen Barrel pro Tag. Der Irak und Nigeria wollen ebenfalls ihre Produktion erhöhen. All das, wohlgemerkt, vor dem Hintergrund einer „einbrechenden weltweiten Ölnachfrage“, wie es im jüngsten Ölbericht der Internationalen Energieagentur (IEA) heißt. Der Ölpreis kann somit noch viel weiter fallen, ehe er wieder steigen wird.

Auswirkungen auf den Nahen Osten

Wer sind die Gewinner und Verlierer? Die Gewinner wären, theoretisch, all jene Länder, die Nettoimporteure von Erdöl sind, also etwa die EU-Staaten, China, Indien und Pakistan. Jubelfeiern wird es aber wohl kaum geben, da der ökonomische Effekt niedrigerer Ölpreise derzeit völlig überlagert wird von der anbrechenden weltweiten Depression.

Die Verlierer sind natürlich die Ölförderstaaten selbst, vor allem aber diejenigen unter ihnen, die zur Finanzierung ihres Staatshaushalts auf ein bestimmtes Preisniveau angewiesen sind. Langfristig betrachtet gilt dies sogar für das reiche Saudi-Arabien, doch kurzfristig kommen vor allem die unter Druck, die bisher schon nicht gut dastanden: der Iran und Venezuela fallen einem hier zuerst ein, aber auch für andere Staaten dürfte es nun eng werden.

Es scheint sehr wahrscheinlich, dass es noch dieses Jahr einige Zahlungsausfälle bei staatlichen Schuldnern geben wird, die ihren Schuldendienst aus Öleinnahmen bestreiten. Da die Vergangenheit gezeigt hat, dass Investoren dazu neigen, im Falle eines Staatsbankrotts unterschiedslos alle Anleihen zu verkaufen, die irgendwie mit „Risiko“ in Verbindung gebracht werden, könnte der Ölpreiskrieg der Auftakt zu einer neuen Schuldenkrise der Emerging Markets werden.

Das hätte dann auch Einfluss auf den Nahen Osten, wo es einige hoch verschuldete Staaten gibt, die darauf angewiesen sind, ihre Schulden in regelmäßigen Abständen durch neue Schulden zu refinanzieren. Wenn das nicht mehr geht, haben sie ein Problem. Freunde des saudischen Königshauses wie Ägypten und Jordanien dürfen sicherlich auf Hilfe aus Riad rechnen. Schwieriger sieht es für jene Regierungen in der Region aus, die keine reichen Freunde haben. Am Donnerstag bat der Iran den Internationalen Währungsfonds (IWF) um fünf Milliarden US-Dollar Nothilfe.

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