Sehr geehrte Presse-Redaktion,
Karl-Peter Schwarz begrüßt in seiner Kolumne ein „neues Kapitel in der amerikanischen Nahost-Politik“. Mit dem US-Abzug aus Syrien werde die Konsequenz aus einer gescheiterten Politik militärischer Interventionen in der Region gezogen – die allerdings gar nicht so stattgefunden hat, wie Schwarz sie darstellt.
Im März 2011habe sich dem Assad-Regime eine „heterogene Opposition“ entgegengestellt, „in der die Islamisten dominierten“. Bezieht sich diese Behauptung auf die erste Phase des Aufstands und nicht auf die organisierten Oppositionsgruppen im Ausland, sondern auf die Situation in Syrien selbst, so ist sie unhaltbar. Nicht zuletzt als Ergebnis der jahrzehntelangen, mörderischen Repression des Assad-Regimes – für Mitgliedschaft in der verbotenen Muslimbruderschaft etwa drohte nicht weniger als die Todesstrafe – kann nicht davon gesprochen werden, dass unter den Demonstranten im Syrien des Jahres 2011 islamistische Kräfte dominant gewesen wären. Wer das behauptet, macht sich die Propaganda des Regimes zu eigen, das den Islamismus-Vorwurf vom ersten Tage an in Stellung brachte, um die Demonstranten zu diskreditieren und den Einsatz blutiger Gewalt gegen sie zu legitimieren.
Auch die Behauptung, die Opposition sei vom Westen „massiv unterstützt“ worden, weil US-Präsident Obama die Lehren aus dem „Irak-Abenteuer“ seines Vorgängers nicht gezogen und sich „darauf eingelassen (hatte), Muammar al-Gaddafi zu stürzen und den Sturz Assads zu erzwingen“, steht im Widerspruch zur tatsächlichen Entwicklung. Was den Fall Libyen betrifft, sei daran erinnert, dass die internationale militärische Intervention nicht von den USA, sondern insbesondere von Frankreich und Großbritannien vorangetrieben wurde; Präsident Obama kam erst spät und zögerlich an Bord.
Und im Hinblick auf Syrien kann überhaupt keine Rede davon sein, dass Obama den Sturz Assads „erzwingen“ habe wollen. US-Außenministerin Clinton bezeichnete den Diktator noch März 2011, Wochen nach Beginn der Demonstrationen und der brutalen Repressionsmaßnahmen des Regimes, als „Reformer“. Geschlagene fünf Monate dauerte es, bis ein Sprecher Obamas zum ersten Mal die Feststellung über die Lippen brachte, Assad habe „an Legitimität verloren“. Noch ein Monat mehr verging, bevor der US-Präsident selbst zum ersten Mal einen Abgang Assads forderte. Und auch nach dieser Bekundung unternahm er praktisch fast nichts, um der Opposition unter die Arme zu greifen. Das überließ er vielmehr regionalen Akteuren wie der Türkei, Katar, den Golfstaaten und Saudi-Arabien – mit all den Folgen, vor denen Kritiker dieser Art des Outsourcings bereits damals in aller Klarheit warnten. „Die Folgen waren verheerend. Islamisten kamen an die Macht“, schreibt Schwarz. Der Einschätzung des Ergebnisses ist schwer zu widersprechen, seiner Schilderung des Weges dahin aber sehr wohl.
Eine konsequent auf Regimewechsel in Syrien setzende Politik der Vereinigten Staaten konnte schon allein deshalb nicht scheitern, weil sie nie betrieben wurde. Auch nachdem die USA zusammen mit ihren Alliierten schließlich doch selbst militärisch intervenierten, taten sie das nur gegen den Islamischen Staat und waren ausdrücklich darum bemüht, nicht gegen das syrische Regime vorzugehen. Es war nicht „erst Trump“, der sich von der Idee verabschiedet habe, die USA müssten „weltweit die Demokratie exportieren“ – von dieser Vorstellung war schon Präsident Obama weit entfernt.
Wenn man heute Trumps verkündeten Rückzug aus Syrien und ein Ende amerikanischer Interventionen in der Region begrüßt, mag es passend sein, sich die Erzählung so zurechtzulegen. Urteile über potentiell schwerwiegende außenpolitische Entscheidungen sollten sich aber nicht an bequemen Zurechtlegungen orientieren, sondern an der historischen Realität.
Mit freundlichen Grüßen,
Florian Markl
Mena Watch – der unabhängige Nahost-Thinktank