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Antizionismus: Die aktuell tödlichste Form des Antisemitismus 

Antizionismus ist keine Kritik an israelischer Politik, sondern die Gegnerschaft gegen die nationale Selbstbestimmung der Juden
Antizionismus ist keine Kritik an israelischer Politik, sondern die Gegnerschaft gegen die nationale Selbstbestimmung der Juden (Quelle: JNS)

Wir haben es beim Antizionismus nicht mit Kritik an der Politik Israels zu tun, sondern mit der Empörung darüber, dass Juden überhaupt in einer Position sind, in der sie Politik machen können.

Ben Cohen

Vor fast fünf Jahren schrieb ich einen Beitrag, in dem ich argumentierte, der Begriff Anti-Zionismus sollte besser ohne Bindestrich als ein zusammenhängendes Wort, also »Antizionismus«, geschrieben werden. Meine diesbezüglichen Überlegungen wurden stark von einer damals stattfindenden Debatte darüber beeinflusst, ob das Wort »Antisemitismus« einen Bindestrich nach dem »Anti« enthalten sollte oder nicht. 

Damals argumentierte ich, dass »Anti-Semiten keine Menschen sind, die gegen den Semitismus‹ sind, ein nicht existierendes Wort. Sie sind auch nicht gegen eine ›Rasse‹ oder ethnische Gruppe von ›Semiten‹, da es eine solche ›Rasse‹ oder ethnische Gruppe gar nicht gibt, sondern nur eine semitische Sprachgruppe. Würde man das Wort mit einem Bindestrich schreiben, stärkte man damit nur das Selbstbild des Antisemitismus, eine offenbarende, befreiende und überzeugende Erklärung dafür zu sein, warum die Welt so ein verkommener Ort ist. Lässt man den Bindestrich weg, wird der ›Antisemitismus‹ als das markiert, was er wirklich ist: eine bösartige Verschwörungstheorie über Juden, die ihnen gegenüber völkermörderische Absichten hegt.«

Ähnlich verhält es sich mit dem Antizionismus.

Jene, die sich heutzutage als Antizionisten bezeichnen – von den Schlägertypen, die Plakate für die Geiseln abreißen, die von der Hamas während des Massakers am 7. Oktober entführt wurden, bis hin zu den Vergewaltigern und Mördern der Hamas selbst –, sind nicht gegen den Zionismus, wie ihn die meisten Juden verstehen. Sie sind auch nicht repräsentativ für die dem Zionismus gegenüber feindlichen Strömungen, die vor dem Zweiten Weltkrieg in den jüdischen Gemeinden existierten und die mit der sich auf so tragische Weise als falsch herausstellenden Begründung argumentierten, ein souveräner jüdischer Staat böte den Juden nicht die Sicherheit, die sie so dringend benötigten.

Keine Kritik, sondern Ressentiment

Die Antizionisten des 21. Jahrhunderts lehnen nicht nur die Idee eines jüdischen Staates ab. Sie stellen den jüdischen Staat als die Wurzel des Übels in der Welt dar; als einen Staat, der sich der Ermordung von Kindern und der Bombardierung ziviler Gebiete verschrieben habe, während er sein ruchloses Ziel verfolge, Palästina zu kolonisieren und seine einheimischen arabischen Bewohner dauerhaft zu vertreiben. 

Wir haben es hier nicht mit Kritik an Israels Politik zu tun, sondern mit der Empörung darüber, dass Juden überhaupt in einer Position sind, in der sie Politik machen können. Um dies unmissverständlich zu verdeutlichen, muss der Bindestrich aus dem Begriff Antizionismus entfernt werden, um zu zeigen, dass es sich nicht nur um einen Einwand gegen das politische Programm der Zionistischen Weltorganisation handelt, sondern um eine ausgewachsene Verschwörungstheorie, die traditionelle antisemitische Stereotype über Juden auf den jüdischen Staat überträgt.

Wie der Antisemitismus hegt auch der Antizionismus völkermörderische Absichten. Und nach den Gräueltaten vom 7. Oktober kann und muss man behaupten, dass es sich dabei um die tödlichste Form des Antisemitismus handelt, die heute existiert.

Grund dafür ist, dass der Antizionismus im Gegensatz zu anderen Formen des Antisemitismus ein offenes und großzügig bemessenes Dach ist, unter dem sich jeder versammeln kann, solange er sich nur einer Reihe von Grundprinzipien anschließt, die darin bestehen, dass es nirgendwo zwischen dem Jordan und dem Mittelmeer einen Ort namens Israel geben soll; dass jeder, der sich über Antisemitismus beklagt, bloß einen listenreichen Trick anwende, um die Aufmerksamkeit von den Palästinensern abzulenken und dass es keinen einzigen Ort auf der Welt gebe – nicht den Sudan, nicht die Ukraine, nicht Kurdistan, Burma oder China –, an dem Menschen aus dem bloßen Grund ihrer Identität so gelitten hätten wie die Palästinenser.

Bekennt man sich zu diesen Grundsätzen, spielt es keine Rolle, ob man schwarz oder weiß ist, Asiate oder amerikanischer Ureinwohner, eine Frau oder ein Mann oder jemand mit fluidem Geschlecht, jung oder alt, homo- oder heterosexuell. Man kann sogar jüdisch sein, wenn auch innerhalb streng definierter Parameter, die verlangen, dass man jedes Mal, wenn Israel erwähnt wird, beschämt den Kopf hängen lässt. Keine andere Form des Antisemitismus – das offensichtlichste Beispiel ist der Judenhass, der von weißen Rassisten und anderen rechtsextremen Gruppen vertreten wird – ist so barrierefrei zugänglich und inklusiv.

Antizionismus heimtückische Form des Hasses

Die Tatsache, dass eine Regenbogenkoalition heutzutage für den Antizionismus wirbt, ist ein weiterer kluger Schachzug, da dies eine Optik schafft, die es viel schwieriger macht, völkermörderische Absichten zu erkennen. Ein muskelbepackter, weißer Skinhead hingegen, der ein Hakenkreuz und ein Paar Springerstiefel trägt, stellt nicht das gleiche Erkenntnisproblem dar.

Aber wenn Laien die Bilder der Pro-Hamas-Demonstrationen betrachten, die seit dem 7. Oktober weltweit wie Pilze aus dem Boden geschossen sind, auf denen Frauen in Hijabs neben Transgender-Aktivisten marschieren, kann man es ihnen nachsehen, wenn sie zu dem Schluss kommen, dass es sich dabei um eine Allianz verschiedener Gruppen handelt, die im Namen der Menschenrechte zusammenkommen – und nicht um eine Bewegung zur Beseitigung aller Juden, überall.

Als jüdische Gemeinden müssen wir jedoch eingestehen, nicht deutlich genug gemacht zu haben, dass Antizionismus eine heimtückische Form des Hasses ist und keine legitime politische Position im Rahmen des Nahostkonflikts. Jüdische Organisationen und die israelische Regierung haben sich in den vergangenen Jahren über die breite Zustimmung zur Arbeitsdefinition des Antisemitismus der International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA) gefreut, die mehrere Beispiele für antiisraelische Schmähungen enthält. Die Begriffe Zionismus, Anti-Zionismus und Antizionismus fehlen jedoch in der Definition, was bedeutet, dass sie, so ungern ich das auch sage, in diesem entscheidenden Punkt sehr schwach ist.

Durch die Hinzufügung der Klarstellung, dass der Zionismus die jüdische Nationalbewegung mit linken, rechten und zentristischen Spielarten sowie religiösen und säkularen Anhängern ist, würde die Definition ein Gegengewicht zu den schaurigen Interpretationen bilden, die sonst im Umlauf sind, zum Beispiel, dass der Zionismus eine Form des Rassismus oder eine Verschwörung der Mächtigen sei. 

Der Satz in der Definition, der es als antisemitisch bezeichnet, wenn dem jüdischen Volk das Recht auf (nationale) Selbstbestimmung abgesprochen wird, »zum Beispiel durch die Behauptung, die Existenz des Staates Israel sei ein rassistisches Unterfangen«, könnte dahingehend umformuliert werden, dass »die Darstellung des Zionismus, der jüdischen Nationalbewegung, als inhärent rassistisch und die Darstellung des Staates Israel als illegitimes Gebilde« antisemitisch ist.

Dies ist keine Frage der Pedanterie. Wenn wir etwas aus den Debatten über Antisemitismus in den vergangenen zwei Jahrzehnten gelernt haben, dann, dass Worte und Definitionen wichtig sind, insbesondere, wenn es um die Anwendung des Gesetzes geht. 

In Ländern, in denen es kein Recht auf freie Meinungsäußerung im Sinne des Ersten Verfassungszusatzes der USA gibt – und das sind die meisten Länder weltweit –, kann es bereits ein Verbrechen sein, den Holocaust zu leugnen oder traditionelle antisemitische Darstellungen zu verbreiten. Die Befürwortung der Eliminierung Israels und die Einschüchterung von Juden, damit sie einen dauerhaften Minderheitenstatus – bestenfalls zweiter Klasse – akzeptieren, sollten in einem ähnlichen Licht gesehen werden. Der Schutz unserer zunehmend gefährdeten jüdischen Gemeinden erfordert nichts Geringeres.

Ben Cohen ist ein in New York lebender Journalist und Autor, der eine wöchentliche Kolumne über jüdische und internationale Angelegenheiten für Jewish News Syndicate schreibt. (Der Artikel erschien auf Englisch beim Jewish News Syndicate. Übersetzung von Alexander Gruber.)

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