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Taliban jagen Richterinnen, die sie einst ins Gefängnis brachten

Afghanische Flüchtlinge demonstrieren gegen die Taliban
Afghanische Flüchtlinge demonstrieren gegen die Taliban (© Imago Images / Le Pictorium)

Wie eine Untersuchung der BBC ergab, halten sich mindestens 220 ehemalige Richterinnen derzeit in ganz Afghanistan vor den Taliban versteckt.

Claire Press, BBC World Service

Im Gespräch mit sechs ehemaligen Richterinnen aus verschiedenen Provinzen waren ihre Aussagen über die letzten fünf Wochen fast identisch. Alle haben Todesdrohungen von Mitgliedern der Taliban erhalten, die sie zuvor ins Gefängnis gebracht hatten. Vier nannten konkrete Männer, die sie wegen Mordes an ihren Frauen verurteilt hatten. Alle haben wegen der Drohungen mindestens einmal ihre Telefonnummer gewechselt.

Sie alle leben derzeit untergetaucht und wechseln alle paar Tage ihren Aufenthaltsort. Außerdem gaben sie an, dass ihre früheren Wohnungen von Taliban-Mitgliedern aufgesucht worden seien. Nachbarn und Freunde hätten ihnen berichtet, dass sie nach ihrem Aufenthaltsort befragt wurden.

Als Reaktion auf die Anschuldigungen erklärte Taliban-Sprecher Bilal Karimi gegenüber der BBC: „Richterinnen sollten wie jeder andere auch ohne Angst leben. Niemand sollte sie bedrohen. Unsere speziellen Militäreinheiten sind verpflichtet, solche Beschwerden zu untersuchen und zu handeln, wenn ein Verstoß vorliegt.“

Er wiederholte auch das Versprechen der Taliban, eine „Generalamnestie“ für alle ehemaligen Regierungsmitarbeiter in ganz Afghanistan zu erlassen: „Unsere Generalamnestie ist aufrichtig gemeint. Wenn einige allerdings einen Antrag stellen wollen, das Land zu verlassen, bitten wir sie, dies nicht zu tun und in ihrem Land zu bleiben.“

Bei der Massenentlassung von Gefangenen wurden auch viele Kriminelle freigelassen, die nicht mit den Taliban in Verbindung stehen.

In Bezug auf die Sicherheit von Richterinnen sagte Karimi: „Im Falle von Drogenhändlern und Mafiamitgliedern ist es unsere Absicht, sie zu vernichten. Wir werden ernsthaft gegen sie vorgehen.“

Als hochgebildete Frauen waren diese Richterinnen früher die Haupternährerinnen ihrer Familien. Aber jetzt, da ihre Gehälter gestoppt und ihre Bankkonten eingefroren wurden, sind sie alle auf Almosen von ihren Verwandten angewiesen. (…)

Afghanistan ist seit Jahrzehnten für Frauen eines der härtesten Länder der Welt. Nach Angaben von Human Rights Watch werden schätzungsweise 87 % der Frauen und Mädchen im Laufe ihres Lebens misshandelt.

Die Richterinnen haben durch ihren Einsatz für die Aufrechterhaltung jener Gesetze des Landes, die auf die Unterstützung von Frauen abzielten, dazu beigetragen, dass Gewalt gegen Frauen und Mädchen als Straftatbestand gilt.

Dazu gehört die Anklageerhebung in Fällen von Vergewaltigung, Folter, Zwangsheirat sowie in Fällen, in denen Frauen der Besitz von Eigentum oder der Besuch der Schule und die Ausübung einer Arbeit untersagt war.

Da sie zu den prominentesten weiblichen Persönlichkeiten des Landes zählten, waren alle sechs interviewten Richterinnen nach eigenen Angaben während ihrer gesamten Laufbahn Belästigungen ausgesetzt, lange bevor die Taliban die volle Kontrolle über ihr Land übernahmen.

(Aus dem Artikel Female Afghan judges hunted by the murderers they convicted“, der bei BBC World Service erschienen ist. Übersetzung von Alexander Gruber.)

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