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Was passiert, nachdem Idlib vom Regime zurückerobert wurde?

Das al-Karamah-Flüchtlingslager in der Provinz Idlib. (imago images/ZUMA Press)
Das al-Karamah-Flüchtlingslager in der Provinz Idlib. (imago images/ZUMA Press)

Der Fall der letzten verbliebenen Rebellengebiete könnte der Beginn einer neuen Phase sein: eines Untergrundkrieges, wie ihn Syrien bisher noch nicht gesehen hat.

Hassan Hassan, The Guardian

Die Entwicklung in den letzten von den Rebellen kontrollierten Gebieten verdient erhöhte Aufmerksamkeit. Nicht nur, weil der unerbittliche Feldzug des Regimes und seiner russischen und iranischen Verbündeten eine der schlimmsten humanitären Katastrophen der letzten Zeit verursacht hat – bis zu einer Million hoffnungsloser Menschen wurde vertrieben. Sondern auch, weil die Folgen dieses massenhaften Blutvergießens die nächste Generation maßgeblich prägen könnten.

Idlib ist vor allem aus zwei Gründen außergewöhnlich. Der eine hängt mit der Rolle zusammen, die es während des syrischen Konflikts erlangte, als es zu einer Art „Müllhalde“ für Hardline-Kämpfer aus anderen Teilen des Landes wurde, die sich weigerten, sich dem Regime zu ergeben. In Idlib befinden sich jetzt nicht nur zahlreich bewaffnete Kämpfer, sondern darüber hinaus viele der engagiertesten Gegner der Diktatur in Damaskus.

Der zweite Grund geht weiter zurück, denn die Gebiete um Idlib waren in den 1970er und 80er Jahren schon Schauplatz eines Aufstands gegen den Vater des derzeitigen Präsidenten – und nicht zufällig spielte es nach 2011 eine ähnliche Rolle.

In Idlib sind alle Voraussetzungen für einen länger andauernden Untergrundaufstand gegen das Regime gegeben, der wahrscheinlich schnell auf befriedete Gebiete in anderen Teilen des Landes übergreifen wird. Mehr noch: Von Idlib aus könnte ein landesweiter Untergrundaufstand initiiert werden, wie es ihn während der bisherigen Kämpfe nicht gegeben hat.

Sowohl die geographischen also auch die demographischen Voraussetzungen sind günstig. Das Gebiet grenzt an das Kernland des Regimes von Baschar al-Assad in der Küstenregion und beherbergt eine große Zahl junger Menschen, die während des Konflikts mit Waffen in ihren Händen gekämpft haben.

Außerdem wird der Nordwesten Syriens zunehmend von dschihadistischen Kräften dominiert, die im Umgang mit der Gesellschaft, in der sie operieren, klüger sind als der Islamische Staat. Sie mischten sich unter die lokalen Gemeinschaften und konzentrierten sich fast ausschließlich auf den Kampf gegen das Regime, anstatt Gebiete zu beschlagnahmen und sie von denjenigen zu „säubern“, die eine zukünftige Bedrohung für sie darstellen könnten, wie der IS es tat. Dieser Ansatz ermöglichte es diesen Dschihadisten und ihren Verbündeten, eine Infrastruktur lokalen Einflusses aufzubauen, die ihnen helfen könnte, einen langfristigen Aufstand zu tragen, wenn sie das Gebiet  mehr selbst kontrollieren, sondern den Untergrundkampf gegen das Regime aufnehmen.

Ein solcher Kampf wird sich als der legitime Erbe der Sache der Syrer darstellen, die sich gegen die Diktatur in Damaskus erhoben haben, um ein würdiges und besseres Leben zu fordern. Die Klagen, die die Syrer im ganzen Land zum Aufstand getrieben haben, sind nicht verschwunden – sie haben sich verschärft. Die Tötungs- und Foltermaschine des Regimes hat überall im Land unzählige Familien zerstört. Erschöpfung, das haben frühere Konflikte wie der im Irak gezeigt, bringt keinen dauerhaften Frieden. Die dschihadistischen Kräfte werden die Fahne der Anti-Assad-Rebellion hochhalten und die Energie derer absorbieren, die sich noch immer für diese Sache einsetzen. (…)

Der Übergang zum Aufstand erfolgt in der Regel nach Abschluss des Kampfes um das Territorium. Sobald die Rebellen also ihre letzten Gebiete im Nordwesten Syriens verloren haben, werden sie wahrscheinlich einen Aufstand im Untergrund starten und sich mit bestehenden und derzeit schlafenden Netzwerken in Ost-, Zentral- und Südsyrien verbinden. (…)

In vielen Fällen bedeutet die „Rückeroberung“ von Gebieten durch das Regime, die zuvor von den Rebellen kontrolliert wurden, kaum mehr als das Hissen der syrischen Flagge in der Stadt. Eine Verlagerung der Kämpfe von konventionellen Mitteln hin zu einer Revolte im Untergrund könnte dazu führen, dass viele dieser Gebiete wieder in die Hände der Rebellen fallen.

Idlib’s despair won’t end bloodshed in Syria. It will provoke a rebel fightback

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