Während Touristen das Corona-Virus vom Tiroler Skiort aus über halb Europa verteilten, schleppten es türkische Heimkehrer aus ganz Europa in die Türkei ein.
Florian Gehm, Die Welt
[D]er Etappen-Shutdown und der Umgang der Türkei mit dem Virus sind nicht unumstritten. Immer wieder kündigten die Staatslenker ihre Maßnahmen überaus kurzfristig an. Die Kritik: Das sorge für Panik innerhalb der Bevölkerung. Der erste Lockdown in der Nacht des 10. Aprils wurde etwa erst drei Stunden vor seinem Inkrafttreten bekannt gegeben. Dies löste Panikkäufe in überfüllten Supermärkten aus. Und jetzt zeigt eine Auswertung von Handydaten, dass die Entscheidungspolitik die Verbreitung des Virus im Land zusätzlich befeuert haben könnte. (…)
Ende März versiebenfachten sich die Infektionen plötzlich – wohl unter anderem, weil die Regierung vor allem auf Einschränkungen des Verkehrs und nicht auf Ausgangssperren und Kontaktverbote gesetzt hatte. Nur wer zur Risikogruppe gehörte, musste seine Kontakte minimieren. Gleichzeitig drängten Mitte März mehr und mehr Türken aus dem Ausland in die Heimat zurück – eine fatale Mischung.
Denn eine Auswertung von Handydaten durch das Mess- und Beratungsunternehmen Umlaut, die WELT exklusiv vorliegt, zeigt, dass im März eine große Zahl von Besitzern türkischer SIM-Karten in die Türkei gereist ist – darunter jener Mann, den die Türkei als Patienten null nannte. Sie dürften das Virus zumindest teilweise eingeschleppt und zu seiner starken Verbreitung beigetragen haben.
Der Effekt erinnert an den österreichischen Skiort Ischgl – nur in umgekehrter Reihenfolge. Hier hatten sich Touristen im Urlaub gegenseitig angesteckt und das Virus dann in ihren Heimatländern verbreitet. (…) Besonders deutlich wird der Zustrom [türkischer Heimkehrer] zwischen dem 8. und 12. März. Ab dem 20. März begann die Zahl der Infektionen in der Türkei dann rasant zu steigen; bis zum Monatsende um 3700 Prozent.