Samuel Salzborn: Nein, eine Auseinandersetzung mit dem aktuellen, gerade sogar tagesaktuellen Antisemitismus findet an deutschen Schulen kaum statt. Es sei denn, engagierte Lehrer thematisieren es hier und da von sich aus. Für viele Schulen scheint es eine emotionale Entlastung zu sein, Antisemitismus ein paar Wochen lang im Rahmen des Nationalsozialismus zu unterrichten und das Thema dann abzuhaken. (…)
WELT: Welche Folgen hat das für das Weltbild der Schüler?
Salzborn: Das ist einerseits historisch komplett ungenügend und andererseits fatal, weil Schüler dann den Antisemitismus, wie er heute auftritt – also vor allem als eine gegen Israel gerichtete Täter-Opfer-Umkehr – nicht mehr begreifen können, weil sie die Zusammenhänge nicht kennen. Sie bekommen das Gefühl, dass mit der Niederschlagung des Nationalsozialismus der Antisemitismus aus der Welt geschafft worden sei. Es gibt sogar Schulbücher, die diese Täter-Opfer-Umkehr befeuern und Israel im Konflikt mit den Palästinensern als alleinigen Aggressor darstellen.
WELT: Haben Sie ein Beispiel?
Salzborn: In einem Schulbuch für Berlin-Brandenburg für die 9./10. Klasse gibt es einen doppelseitigen Fotoaufmacher, wo ein alter palästinensischer Mann vor einem zerbombten Haus steht, ohne jeden Kontext. Darunter wird die Frage gestellt, ob die Schüler es für gerechtfertigt hielten, dass Häuser von angeblichen, so die Formulierung, Angehörigen von Selbstmordattentätern zerstört würden.
Der Text beinhaltet dabei keinen ernst zu nehmenden Verweis auf den jahrzehntelangen palästinensischen Terrorismus gegen Israel. Schüler werden dadurch emotional überwältigt, dass sie fast gar nicht anders können, als für die palästinensische Seite Partei zu ergreifen. Die Schulbuchverlage beschäftigen nicht haltbare Autoren.“ (Interview mit dem Antisemitismus-Forscher Samuel Salzborn: „‚Es gibt auch in der Lehrerschaft Antisemiten‘“)