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Necla Kelek fordert Unterstützung liberaler Muslime durch die Politik

Necla Keleks Vortrag bei der Deutsch-Israelischen Gesellschaft Berlin und Brandenburg
Necla Keleks Vortrag bei der Deutsch-Israelischen Gesellschaft Berlin und Brandenburg (Quelle: DIG BB)

Unsere Gesellschaft müsse lernen, zu ihren Werten zu stehen und sie zu verteidigen, so Necla Kelek in ihrem Vortrag am 16. Januar im Jüdischen Gemeindehaus vor rund einhundert Gästen der Deutsch-Israelischen Gesellschaft Berlin und Brandenburg.

Necla Kelek ist eine deutsch-türkische Sozialwissenschaftlerin, Publizistin und Frauenrechtlerin türkischer Abstammung. Als Expertin für Migrationssoziologie und islamisch geprägte Parallelgesellschaften in Deutschland hat sie vieles aus dem Vortrag bereits in ihren Büchern thematisiert. Ihr Gefühl, sich in dieser Gesellschaft fremd zu fühlen, führte sie zu der Frage, warum die Integration nicht funktioniert.

Ihre Doktorarbeit schrieb Kelek 2001 in Greifswald und in Hamburg über das Thema »Islam im Alltag. Islamische Religiosität und ihre Bedeutung in der Lebenswelt von Schülerinnen und Schülern türkischer Herkunft«. Seit damals beschäftigt sie, welche Werte mit der Religion vermittelt werden – vor allem in Bezug auf die Situation der Frauen und Kinder in der muslimischen Gesellschaft, auf die Stellung der Frau und Strukturen in der Familie sowie auf Fragen der Integration. 

Necla Kelek wurde mit mehreren Preisen ausgezeichnet, so 2005 mit dem Geschwister-Scholl-Preis und 2011 mit dem Freiheitspreis der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit.

Keine Unterstützung für Liberale und Säkulare

Klar ist, dass in Deutschland lebende Muslime, die demokratische und rechtsstaatliche Werte akzeptieren, zu Deutschland gehören. Und dass der terroristische Islam nicht dazugehört. Aber was ist mit denen, die sich in Islamverbänden organisieren, schließlich ist die Deutungsmacht der Dachverbände streng konservativ?

Schon die Frage nach einer Interpretation des Korans ist für diese Konservativen Ketzerei, erläutert Kelek, und auch die Infragestellung von Israels Existenzrecht ist ein Ergebnis des von ihnen vertretenen, archaischen Denkens. 

Eigentlich bestünde für Muslime in Europa die Chance, hier in der Moderne anzukommen, aber viel zu wenige nützen diese Möglichkeit. Muslimische Kinder werden immer noch dazu erzogen, keine Fragen zu stellen. Selbst zu denken, zu reflektieren wäre eine Chance, aber sie wird kaum ergriffen. Das liegt auch daran, dass viele Zuwanderer sich schlecht behandelt fühlen, unverstanden; dass sie frustriert sind und sich daher den Dachverbänden anschließen. Der Fehler ist, dass bei der Integration die Zuwanderer unter sich gelassen werden und sich nur die Dachverbände um sie bemühen.

Neu ist, dass es wachsende Widerstände gegen die Gängelung gibt, gegen den kollektiven Zwang zu einem rückwärtsgewandten Koranverständnis, das auf die Scharia hinausläuft. Kelek schätzt, dass mehr als die Hälfte der in Deutschland lebenden Muslime eher liberal und säkular eingestellt ist. Doch in der Politik fühlen sich säkulare Muslime nicht vertreten, weswegen sie sie sich aus öffentlichen Debatten zurückziehen und daher keine Stimme haben. Dies müsste der Anlass für eine Umkehr sein, wie er neben Kelek auch von Hamed Abdel Samad, Seyran Ates und anderen Liberalen gefordert wird: Es ist ein Fehler der Politik, nur die Dachverbände in Islamkonferenzen zu holen und nicht mit den Säkularen zu sprechen.

Analyse und Änderung notwendig

Kelek ist davon überzeugt, dass der Koran analysiert werden muss, wie es auch mit der Bibel geschehen ist. Sie erläutert den Weg Mohammeds vom Prediger zum Propheten, vom Visionär zum religiösen Politiker. Er sammelte einiges aus Juden- und Christentum für seine neue Religion, erhob aber den Anspruch, über allen anderen zu stehen, und zwar auf einer Stufe mit dem Stammvater Abraham als der Vollender der Religionen des Buches.

Dazu erläutert sie Mohammeds Himmelsreise aus Jerusalem, wie sie in Sure 17.1 des Korans dargestellt ist. Die Darstellung behauptet, der Koran sei ein perfektes, abgeschlossenes Werk, das im Himmel geschrieben wurde und an dem deswegen nichts geändert werden dürfe. Historiker hingegen meinen, Mohammed sei wohl nie wirklich in Jerusalem gewesen, aber mit dieser Legende erschuf der Koran den bis heute erhobenen Anspruch der Muslime auf die Stadt.

Einer der Gründe für die heutige Judenfeindschaft im Islam beginne in Medina, als Mohammed wollte, dass sich die Juden ihm anschlossen. Obwohl er ihnen Zugeständnisse machte, lehnten sie ab, wofür er sich rächte, indem er mehrere jüdische Stämme aus Medina vertrieb und einen Stamm tötete. Auf solche Inhalte müssten die Bücher und Hadithen genauer angeschaut werden, wie es im Christentum – spät aber doch – geschehen ist. Auch in der christlichen und der hebräischen Bibel steht Bedenkliches, was also mache den Islam besonders, fragt Kelek.

Um dies zu ergründen, sei es wichtig, die Erzählung zur Himmelsreise Mohammeds kritisch zu hinterfragen: Sie verhindere einen grundsätzlichen Dialog zwischen Christen, Juden und Muslimen, denn die konservativen Muslime erkennen aufgrund des in ihr dargelegten Anspruchs auf Vollendung durch Mohammed andere Religionen nicht auf Augenhöhe an. Darüber hinaus fehle dadurch eine Perspektive, wie es weitergehen soll, denn wäre die Aussage, der Koran sei »im Himmel« geschrieben, unumstößlich, kann keine Diskussion stattfinden. Dieser Stillstand müsse überwunden werden. In diesem Zusammenhang sei auch der interreligiöse Dialog dahingehend zu hinterfragen, welche Form des Islams dort jeweils eingebracht wird.

Die Ausbildung der Imame in Deutschland spielt eine wichtige Rolle bei der Unterstützung der säkularen Muslime. Dabei muss die ›absolute Wahrheit‹ des Korans hinterfragt werden, damit liberale Muslime ihren Glauben in der modernen Welt leben könnten. Und dazu muss sich auch die Vermittlung der Religion in den Moscheen ändern, meint Necla Kelek.

Liberale Religionsführer müssen endlich die Gesprächspartner für die Politik werden. Zu diesem Zweck hat Kelek im Januar 2020 den Verein Säkularer Islam Hamburg e.V. (VSI HH e.V.) gegründet, dessen Erste Vorsitzende sie ist und der parteiübergreifend daran arbeitet, solch einen alternativen Weg zu finden, um den Konservativen etwas entgegenzusetzen. 

Kampf gegen die Konservativen

Den Krieg Israels gegen die Terrororganisation Hamas sieht Kelek nicht als Vergeltung oder gar Rachefeldzug, sondern vielmehr als Teil Kampfs gegen den politischen Islam – auch deshalb ginge er alle an. Die Hamas ist die Vertreterin der althergebrachten Sicht, Jerusalem gehöre den Muslimen und Israel habe kein Recht, dort zu sein. 

Unter dem politischem Islam, durch dessen Ausbreitung nicht nur der Judenhass zugenommen hat, sondern auch Christen in muslimischen Ländern verfolgt werden, ist dabei eine Herrschaftsordnung zu verstehen, die einen fundamentalen Gegenentwurf zu Demokratie, Pluralismus und individuellen Freiheitsrechten darstellt. Seine Vertreter streben die Umgestaltung von Staat und Gesellschaft anhand islamischer Normen an.

Machtbewusst agieren seine Vertreter auch in Deutschland, erzeugen eine Vielzahl von Konflikten und setzen die Gesellschaft zunehmend unter Druck. Muslimische Gemeinden sollten selbst den Wunsch haben nachzuweisen, nicht antisemitisch zu sein und menschlichen, nicht menschenfeindlichen Grundsätzen zu folgen, meint Kelek. 

Beispielsweise untersteht die Türkisch Islamische Union der Anstalt für Religion e.V. (DITIB) durch ihren Vorstandsvorsitzenden in Deutschland, dem jeweiligen Religionsattaché der türkischen Botschaft und damit gleichzeitig der direkt dem Amt des türkischen Ministerpräsidenten unterstellten Religionsbehörde Diyanet, dessen Vertreter in Deutschland dieser Attaché ebenfalls ist. 

Darüber hinaus stellt DITIB für ihre rund neunhundert Moscheen in Deutschland fast ausschließlich türkisch sprechende Imame aus der Türkei ein. Kelek dagegen fordert, Imame müssten grundsätzlich in Deutschland mit westlichen Werten ausgebildet werden, damit die liberalen Muslime ihre Jugend nicht an die Konservativen verlieren. 

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