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Ein genialer Dirigent auf politischen Abwegen (Teil 2)

Von Thomas Eppinger

Spricht man mit israelisch-stämmigen Musikern in Deutschland über Daniel Barenboim, kommt einem unwillkürlich Harvey Weinstein in den Sinn. So ähnlich muss es sich angefühlt haben, wenn man mit Hollywood Schauspielerinnen über den Magnaten gesprochen hat, bevor die Affäre hochgekocht ist. Die Aura der Macht bildet einen kaum durchdringbaren Vorhang, gewoben aus der Angst um das eigene Fortkommen. Klassische Musiker haben einen begrenzten Arbeitsmarkt, und in Berlin kann oder will man es sich nicht leisten, offen gegen den Maestro aufzutreten. Man spricht nur unter Zusicherung von Anonymität, und was erzählt wird, passt so gar nicht zum Image des Star-Dirigenten als Versöhner und Mittler zwischen den Welten.


Legende und Realität des West Eastern Divan Orchestra

Von einer extrem gespannten Atmosphäre im West Eastern Divan Orchestra ist die Rede. Man spricht von Mobbing gegen die jüdischen Mitglieder des Ensembles, Juden würden während der Proben wegen des geringsten Fehlers zusammengestaucht, während der Maestro über Fehler der arabisch-stämmigen Musiker mit einer kleinen Bemerkung hinweggehe und den Abschnitt einfach wiederholen lasse. Durch den Meister ermutigt, würden sich die arabischen Orchestermitglieder inzwischen wie Hausherren benehmen, dass Juden und Araber miteinander ausgehen oder gar flirten würden, wie Barenboim in Interviews gern behauptet, sei eine Legende. Wobei viele Musiker inzwischen ohnehin aus Spanien, Russland oder Rumänien stammen würden. Am Anfang sei das alles noch anders gewesen, aber die Stimmung hätte sich von Jahr zu Jahr durch die einseitige Bevorzugung der arabisch-stämmigen Musiker verschlechtert.

Die Musiker würden außerdem miserabel bezahlt, heißt es. Zum Beispiel hätte ein verdienter Musiker das Orchester verlassen müssen, weil er die Reisespesen für eine Tournee vom Gehalt nach seiner Familiengründung nicht mehr bezahlen konnte, der Maestro hätte sein Ansinnen, Spesen ersetzt zu bekommen, empört abgewiesen. Die Musiker würden auch keine Tantiemen erhalten und seien nicht an den Einnahmen aus den Auftritten beteiligt. Gelegentliche Zuwendungen erfolgten, wenn überhaupt, nur in lächerlich anmutender Höhe. Alle Einnahmen würden ausschließlich zu Barenboim oder in die von ihm kontrollierten Stiftungen fließen. Dabei seien die Gagen exorbitant. Allein für ein Konzert in Doha 2011 mit der Staatskapelle Berlin hätte Barenboim einen Scheck in zweistelliger Millionenhöhe erhalten.

Besonders unangenehm sei die ständige politische Agitation Barenboims, die Hetze gegen Israel, während der Proben und privat. Es zähle ausschließlich die palästinensische Sicht auf den Konflikt, wer eine andere Meinung habe, würde sich diese nicht mehr äußern trauen, weder öffentlich in den Social Media noch im Umfeld des Ensembles. Die Berliner Musikwelt sei extrem links, und Barenboim würde zudem noch von einer Menge linker Israelis hofiert, die sich in Berlin angesiedelt hätten. Sich dem Mainstream aus propalästinensischen Stimmen entgegenzustellen, kann Karrieren zerstören, sich ihm anzuschließen, kann sie befördern.

Mit einigen Musikern habe ich persönlich gesprochen, mit anderen per Messenger oder E-Mail kommuniziert. Unabhängig voneinander und ohne zu wissen, mit wem ich sonst noch gesprochen habe, fügten sich ihre Puzzle-Teile ohne Ausnahme zum selben Bild, von dem hier nur ein Teil wiedergegeben ist. Dieses Bild entspricht ganz und gar nicht der heilen Ensemble-Welt, von der man überall liest. Aber es passt zur Ideologie des engsten politischen Weggefährten Barenboims und Co-Gründers des Orchesters, Edward Saïd.


Das Ende des jüdischen Staats

Der Princeton- und Harvard-Absolvent machte an der Columbia University eine glänzende akademische Karriere. In Jerusalem geboren und amerikanischer Staatsbürger, propagierte er einen gemeinsamen Staat für beide Nationen, weil Juden und Palästinenser durch ihre gemeinsame Geschichte voller Gewalt und Ungerechtigkeit untrennbar miteinander verbunden seien. Saïd wurde zu einem der wichtigsten intellektuellen Ansprechpartner westlicher Medien für eine „arabische“ Perspektive auf den Nahen Osten und galt bis zu seinem Tod 2003 als einer der bedeutendsten palästinensischen Fürsprecher in den Vereinigten Staaten.

Ein genialer Dirigent auf politischen Abwegen (Teil 2)
Edward Said in einer Wandmalerei im Westjordanland. Quelle: Briantrejo/Wikimedia Commons

Mit Yassir Arafat überwarf sich Saïd 1993, ein Jahr bevor Arafat der Friedensnobelpreis verliehen wurde. Nicht etwa wegen Arafats terroristischer Aktivitäten, sondern wegen des Abkommens von Oslo, das Saïd rundum ablehnte, weil es Israel ermögliche, seine Siedlungen weiter auszubauen und die Abhängigkeit der palästinensischen Autonomiegebiete von Israel festigen würde. Saïd war entschieden gegen eine Zwei-Staatenlösung. Weder Palästinenser noch Juden sollten das Land alleine besitzen, die Trennung von Juden und Palästinensern in zwei Staaten könne den Konflikt nicht lösen.

Für manche ist das auf den ersten Blick ein verführerisches Konzept. Was spricht schon gegen einen multi-ethnischen Staat, der allen seinen Bürgern auf der Basis einer säkularen Verfassung gleiche Rechte zusichert? Grundsätzlich gar nichts. Nur hat noch nie jemand ernsthaft gefordert, einen solchen Staat auf arabischem Boden zu errichten. Nicht in Marokko, von wo seit 1948 260.000 Juden vertrieben worden sind, nicht in Algerien (140.000 vertriebene Juden), nicht im Irak (135.000), nicht in Iran (120.000) und nicht in Tunesien (100.000), um nur einige zu nennen. Saïd hat die „Naqba“ der Palästinenser in den USA bekannt gemacht, die „Naqba“ der Juden war kein Thema für ihn, sie ist es ebenso wenig für Barenboim.

Die arabischen Staaten sind heute de facto alle „judenrein“, und dieses entsetzliche Wort ist bewusst gewählt. Nur von jenem Staat, der als „nationale Heimstätte für das jüdische Volk“ gegründet worden ist, verlangt man, seine Identität aufzugeben. Denn die Vision Saïds, ein bi-nationaler Staat Israel-Palästina, würde nichts anderes als das Ende von Israel als jüdischem Staat bedeuten. Dass Barenboim und Saïd die Anwendung von Gewalt immer abgelehnt haben, ändert daran nichts. Aus Barenboim spricht die Vision Saïds, man kann den jüdischen Dirigenten nicht verstehen, wenn man den palästinensischen Gelehrten nicht kennt.


Barenboims Lebensziel

Daniel Barenboim gilt seit Jahren als Kandidat für den Friedensnobelpreis. Er ist der Liebling von Politikern wie Sigmar Gabriel, der als deutscher Außenminister Mahmoud Abbas seinen Freund nannte, oder Frank-Walter Steinmeier, der als deutscher Bundespräsident einen Kranz vor Arafats Grab niederlegte. Mit einer solchen historischen Sensibilität ausgestattete Amtsträger stören sich naturgemäß nicht daran, wenn Barenboim die Israelis brüskiert, indem er in Jerusalem ausgerechnet Wagner spielt. Niemand von ihnen käme auf die Idee, eine vergleichbare Provokation bei Konzerten in Doha oder Ramallah zu einzufordern.

Die Medien lieben den Maestro noch mehr als die Politik. Er würde sich „unermüdlich für die Verständigung nicht nur zwischen Palästinensern und Israelis einsetzen, sondern für ein friedvolles Zusammenleben des gesamten Nahen Ostens“, ist über ihn zu lesen, wer über ihn schreibt, huldigt dem „Unfassbaren“, wie ihn die Süddeutsche in einem Portrait nennt. Störende Zwischenrufe wie jener von Thomas Weidauer und Clemens Heni, die über die Verbindungen der von Deutschland mit Millionen Euro geförderten Barenboim-Saïd-Akademie zu antisemitischen, israelfeindlichen Organisationen berichteten, bleiben von den Leitmedien unbeachtet, sie würden nur die Idylle stören.

Der Zeitgeist verlangt nach schönen Worten über Frieden und Versöhnung, und Barenboim liefert sie wie kein Zweiter, untermalt von Symbolik und mit dem Nimbus des Genies. Im gnädigen Dunkel seiner eigenen Inszenierung mag man Daniel Barenboim für einen Versöhner und Friedensstifter halten. Bei Licht betrachtet, betreibt er die Zerstörung Israels mit friedlichen Mitteln.

(Den ersten Teil zu Daniel Barenboim finden Sie hier.)

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