Deutsche Medien: Die ewige „Israelkritik“

Von Alex Feuerherdt

Aus den israelischen Parlamentswahlen ist Benjamin Netanjahu erneut als Sieger hervorgegangen. Das hat in einigen deutschen Medien zu Kommentaren geführt, die nicht einmal vor NS-Vergleichen und antisemitischen Stereotypen zurückschreckten. Doch es gab auch positive Ausnahmen.

Auf Dan Schueftan, den israelischen Sicherheitsberater und geschäftsführenden Direktor des Zentrums für nationale Sicherheit an der Universität in Haifa, geht das Diktum zurück: „Whenever you don’t know what to do: Ask the Europeans. Then do the opposite.“ Zu Deutsch: Wann immer du nicht weißt, was du tun sollst: Frag die Europäer. Dann tu das Gegenteil dessen, wozu sie dir geraten haben. Nun haben die Israelis die Europäer vor den jüngsten Parlamentswahlen zwar nicht um ihre Meinung gebeten, zumal sie keiner Empfehlungen bedürfen. Aber das hat in Europa vor allem viele Medienkommentatoren nicht davon abgehalten, ihnen vorher forsche Ratschläge zu erteilen und sie hinterher darüber zu belehren, was sie alles falsch gemacht haben. Denn bekanntlich wäre der sogenannte Nahostkonflikt längst gelöst, wenn die Israelis nur auf die Europäer und ihre Medien hören würden. Bloß gäbe es dann längst keinen jüdischen Staat mehr, deshalb verlassen sie sich begreiflicherweise lieber auf sich selbst und halten es insoweit mit Schueftans Weisheit.

Jetzt haben sie Benjamin Netanjahu eine fünfte Amtszeit als Premierminister ermöglicht, und das hat nicht zuletzt in Deutschland ein heftiges mediales Übelnehmen und Nachtreten nach sich gezogen. Die ARD-Tagesschau etwa bezeichnete den israelischen Regierungschef in einem Kommentar als „wiedergewählten Spalter“, der mit Verschwörungstheorien Ängste schüre und Zynismus verbreite. Georg Restle, Moderator des ebenfalls öffentlich-rechtlichen Politmagazins Monitor, schrieb auf Twitter, Netanjahus Wahlsieg sei „ein Alptraum für alle, die vom Frieden im Nahen Osten träumen“. In der Süddeutsche Zeitung hieß es: „Rechts geht noch was“, das Land werde „noch deutlich weiter nach rechts rücken“, „rechte Parteien wurden gestärkt“ und „überall zeigt sich der Rechtsruck“. In der FAZ stand zu lesen, die „identitäre Gegenbewegung zu einer liberalen Weltordnung“ habe auch Israel erreicht, wo sich „die Reihen […] wieder einmal geschlossen“ hätten.

Mit diesem Vokabular wurde der jüdische Staat in völliger Verkennung der Wirklichkeit als nazistische Gefahr dargestellt. Besonders deutlich wird das bei der FAZ, deren Autor wohl kaum zufällig die Assoziationen mit der rechtsextremistischen „Identitären Bewegung“ und dem nationalsozialistischen Horst-Wessel-Lied ausgesucht hat. Diese Form der Dämonisierung Israels gehört zum Repertoire des israelbezogenen Antisemitismus, aber damit war der Tiefpunkt in der deutschen Berichterstattung über die israelischen Wahlen noch nicht erreicht. Für diesen sorgte die Frankfurter Rundschau, die den Leitartikel ihrer Israel-Korrespondentin Inge Günther erst mit „Der ewige Bibi“ überschrieb und den Titel kurz darauf in „Der ewige Netanyahu“ änderte.

Journalistische Bankrotterklärung der Frankfurter Rundschau

Deutsche Medien: Die ewige „Israelkritik“
Screenshot: Google

„Der zuständige Redakteur ließ sich dabei offenbar unbewusst von nationalsozialistischem Vokabular inspirieren“, kommentierte Frederik Schindler in der taz diese Schlagzeile. Denn: „Im antisemitischen Propagandafilm ‚Der ewige Jude‘ werden Juden als gefährliche ‚Untermenschen‘ dargestellt, als parasitär, kultur-, rast- und heimatlos.“ Schindler hat Recht. Von der Politikredaktion einer überregionalen Tageszeitung muss man erwarten können, dass ihr dieser historische Vorläufer und diese antisemitische Konnotation bekannt sind. Doch die Assoziation fiel offenbar niemandem auf, obwohl ein solcher Text – zumal, wenn es sich, wie in diesem Fall, um den Leitartikel handelt – üblicherweise durch mehrere Hände und Köpfe geht, bevor er gedruckt und online gestellt wird.

Nachdem es eine Welle der Kritik gab, änderte die FR die Überschrift auf ihrer Website in „Der unverzichtbare Netanyahu“; die Printausgabe war da allerdings schon mit der alten Schlagzeile ausgeliefert. Die Chefredaktion bat schließlich in einer Stellungnahme auf ihrer Website um Entschuldigung für diese „Geschichtsvergessenheit“, wie sie es nannte. Man habe lediglich „auf die Dauer der Amtszeit des israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu hinweisen“ wollen und den NS-Propagandafilm dabei nicht bedacht. Es sei „ganz besonders schwierig […], keine kontaminierten Worte zu verwenden, die rassistische, sexistische oder – wie im konkreten Fall – antisemitische Assoziationen wecken, Stereotype bedienen oder gar falsche Inhalte transportieren“, schrieb die FR weiter. Warum das so kompliziert sein soll, führte sie nicht aus, weshalb die Begründung einer Ausrede gleichkam und das dürftige Statement einer journalistischen Bankrotterklärung.

Noch immer vom NS-Ungeist geprägt

Zudem war nicht nur die Überschrift von Inge Günthers Kommentar hochgradig kritikwürdig, sondern auch der Beitrag selbst. Darin hieß es beispielsweise, Netanjahu sei es „mit dem Griff in die alte Trickkiste“ gelungen, sich „als ‚Opfer‘ linker Medien und [der] Polizei zu verkaufen“, auch wenn er dafür von seinen „Partnern von ultrarechts“ keinen „kostenfreien Persilschein“ bekommen werde. Der Begriff „Persilschein“ wurde nach dem Zweiten Weltkrieg im Kontext der Entlastung von NS-Tätern verwendet, womit der israelische Premierminister auch hier in die Nähe der Nationalsozialisten gerückt wurde. Überdies schrieb Günther, Netanjahus Likud-Partei habe „gewaltigen Appetit, sich besetzte Gebiete einzuverleiben“. Der Weg „zur entmenschlichenden nationalsozialistischen Bildsprache, die Juden als Angst auslösende Heuschreckenplage darstellte“, sei „hier auch nicht mehr weit“, merkte Frederik Schindler dazu treffend an.

„Der Befund der jüngeren Antisemitismusforschung, dass allzu viele Denkmuster, Bilder und eben auch Propagandatexte aus der Nazi‐Ära tief im kollektiven Gedächtnis verankert sind und immer wieder auftauchen, hat sich einmal mehr gezeigt“, hielt der Historiker Philipp Lenhard in einem Beitrag zur medialen Kommentierung der Wahlen in Israel in der Jüdischen Allgemeinen fest. Es sei deutlich geworden, „wie sehr die deutsche Sprache und die deutschen Medien noch heute vom nationalsozialistischen Ungeist geprägt sind, besonders wenn es um die Wahrnehmung Israels geht“. Und das bedeutet auch: „Man muss keine antisemitische Absicht haben, um antisemitisch zu handeln“, wie es die Psychologin und frühere Politikerin der Piratenpartei Marina Weisband auf Twitter formulierte.

Was für die Israelis gezählt hat

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Interaktive Karte zur Knessetwahl 2019

Wie wohltuend nahm sich demgegenüber ein Kommentar von Richard C. Schneider aus. Auf seinem Blog formulierte der frühere Leiter des ARD-Studios in Tel Aviv einige der nachvollziehbaren Fragen, die sich viele Israelis vor ihrer Wahlentscheidung gestellt haben dürften:

„Wäre ein Premier Gantz, ein totaler Novize in Sachen Politik, in der Lage, mit Putin in Moskau auf Augenhöhe zu dealen? Wäre ein Premier Gantz in der Lage, mit dem sprunghaften Trump vernünftig umzugehen oder mit der EU klarzukommen? Könnte ein Premier Gantz, der als Manager einer High-Tech-Company sich wahrlich nicht mit Ruhm und Erfolg bekleckert hat, die israelische Wirtschaft am Laufen halten? Und: Könnte ein Premier Gantz, immerhin ein ehemaliger Generalstabschef der israelische Armee, garantieren, dass die nächsten zehn Jahre ebenso ruhig bleiben werden wie die letzten zehn unter Bibi? […] Ja, es waren die ruhigsten zehn Jahre in der Geschichte Israels, in der Bibi Netanyahu nun regiert. Das zählt für viele Israelis mehr als die Korruptionsvorwürfe.“

Lesenswert ist auch die so differenzierte wie pointierte Analyse des Historikers Michael Wolffsohn auf Bild Online. Er ordnete den Wahlausgang als „Protest gegen die alten, überwiegend euro-amerikanischen Oberschichten und deren wohlhabende Nachfahren in städtischen Nobelvierteln oder Kibbuzim“ ein und hielt fest: „Israels Rechtsparteien werden vor allem von einkommensschwachen, städtischen, afro-asiatischen Juden gewählt. Sie betrachten die alten, wohlhabenden Oberschichten (‚Establishment‘), die seit Jahr und Tag meistens ‚links‘ wählen, als ‚Kaviar-Linke‘.“ Auch die Einwanderer aus der früheren Sowjetunion und ihre Nachfahren hätten sich mehrheitlich für Parteien aus dem rechten Lager entschieden. Aufschlussreich ist zudem das von Wolffsohn aufgeschlüsselte, sehr unterschiedliche Wahlverhalten in Städten wie Tel Aviv und Jerusalem, den Kibbuzim, den jüdischen Siedlungen, dem unter dem Beschuss der Hamas stehenden Ort Sderot oder der größten arabischen Stadt Nazareth.

„Israels Sicherheitspolitik muss aktivistisch, also hart und konsequent sein“, schlussfolgerte Wolffsohn ferner aus dem Wahlergebnis. „Null-Risiko. Besser kleine, harte Schläge als ein großer Krieg.“ Dafür stehe auch Gantz, doch anders als er könne Netanjahu sagen: „Was ihr versprecht, habe ich geliefert.“ Im Oktober 2015 hätten Palästinenser die „Messer-Intifada“ begonnen, doch ihr militärischer und politischer Erfolg sei gleich null: „Durch politische Gewalt oder Terror starben jüngst weniger Israelis als je zuvor.“ Wolfssohns Fazit lautete: „Es mag uns in Deutschland und Europa nicht gefallen, aber die Israelis sind mit ‚Bibis‘ Leistungen nicht unzufrieden.“ Allzu viele deutsche Medien haben diese rationale Erklärung jedoch nicht einmal in Erwägung gezogen – sondern lieber die Israelis darüber belehrt, wie grundfalsch sie sich doch an der Urne verhalten hätten.

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