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Märchenstunde mit dem UNRWA-Chef

UNRWA-Chef Philippe Lazzarini. (© imago images/ZUMA Wire)
UNRWA-Chef Philippe Lazzarini. (© imago images/ZUMA Wire)

Laut Phillipe Lazzarini operiert die UNRWA nach Standards, wie sie überall sonst auf der Welt auch angewandt werden – eine dreiste Irreführung.

Im Interview mit dem Radio Ö1-Mittagsjournal am Dienstag behauptete Philippe Lazzarini, Generalkommissar des UNO-Flüchtlingshilfswerks für die Palästinenser UNRWA, die »Weitergabe des Schutzstatus an Nachkommen der ersten Flüchtlinge sei nicht, wie oft kritisiert, im Fall der Palästinenser einzigartig, sondern weltweiter UNHCR-Standard«. Diese haarsträubende Behauptung sollte nicht unwidersprochen stehen bleiben.

Flüchtlinge weltweit

Für das Flüchtlingshochkommissariat der Vereinten Nationen (UNHCR) gilt gemäß Artikel 1 der Genfer Flüchtlingskonvention von 1951 als Flüchtling jede Person, die

»aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Überzeugung sich außerhalb des Landes befindet, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzt« oder »sich als Staatenlose infolge solcher Ereignisse außerhalb des Landes befindet, in welchem sie ihren gewöhnlichen Aufenthalt hatte«.

Hier stehen jene Personen im Mittelpunkt, die selbst geflohen sind, nicht deren Nachkommen in zweiter, dritter oder vierter Generation. In manchen Fällen bietet das UNHCR auch Familienangehörigen Hilfsleistungen an, doch das geschieht erstens nicht automatisch, sondern auf Basis von Einzelfallprüfungen; zweitens wird diesen Angehörigen nicht der Status von Flüchtlingen zuerkannt; drittens ist damit spätestens bei der Enkelgeneration Schluss, und viertens verlieren Personen allgemein den Flüchtlingsstatus, sobald sie, etwa in ihrem Zufluchtsland, eine neue Staatsbürgerschaft erhalten haben.

Palästinensische »Flüchtlinge«

Die UNWRA operiert auf einer völlig anderen Basis. Für sie gelten als palästinensische Flüchtlinge alle Personen,

»die in der Zeit vom 1. Juni 1946 bis zum 15. Mai 1948 ihren gewöhnlichen Wohnsitz in Palästina hatten und infolge des Konflikts von 1948 sowohl ihre Wohnung als auch ihre Lebensgrundlage verloren haben«.

UNRWA-Leistungen stehen »allen lebenden Personen zur Verfügung, die diese Definition erfüllen, bei der Agentur registriert sind und Unterstützung benötigen«. Und dann heißt es auf der UNRWA-Homepage weiter: »Die Nachkommen von männlichen Palästina-Flüchtlingen, einschließlich adoptierter Kinder, können ebenfalls registriert werden.«

Streng genommen unterscheidet die UNRWA also zwar zwischen den Flüchtlingen im engeren Sinn der Definition und anderen Personen, insbesondere den Nachkommen dieser Flüchtlinge, die ebenfalls registriert werden können. Allerdings nimmt das Hilfswerk diese Unterscheidung selbst nicht ernst, denn sogleich heißt es: »Heute haben rund 5,9 Millionen Palästina-Flüchtlinge Anspruch auf UNRWA-Leistungen« [Hrvg. F. M.] – umstandslos werden hier also alle Nachkommen als Flüchtlinge eingestuft.

Immerwährender Flüchtlingsstatus?

Darüber hinaus bleibt ausschließlich bei Palästinensern der Flüchtlingsstatus auch dann aufrecht, wenn die betreffenden Personen andere Staatsangehörigkeiten angenommen haben. Überall anders erlischt der Flüchtlingsstatus mit der Integration in eine neue Heimat, nicht aber bei den Palästinensern. So werden beispielsweise rund zwei Millionen Palästinenser, die in Jordanien leben, ja, fast alle dort schon geboren wurden und jordanische Staatsbürger sind, von der UNWRA weiterhin als Flüchtlinge geführt.

Von all den anderen Palästinensern ganz abgesehen, die in Jerusalem, dem Gazastreifen und dem Westjordanland leben und das historische Mandatsgebiet Palästina somit nie verlassen haben, sowie all jenen, die sich in Europa, Amerika und anderswo niedergelassen haben und nach UNHCR-Standards längst nicht mehr als Flüchtlinge gelten dürften.

Würde das für alle anderen Flüchtlinge auf der Welt zuständige UNO-Flüchtlingshochkommissariat wirklich auf derselben Grundlage operieren wie die UNWRA es im Fall der Palästinenser tut, hätte es mit etlichen Hunderten Millionen »Flüchtlingen« zu tun.

Der palästinensisch-israelische Konflikt ist bei Weitem nicht der einzige Konflikt auf der Welt, der auch nach Jahrzehnten seines Bestehens noch einer Lösung harrt. Trotzdem konnten Flüchtlingsprobleme fast überall sonst binnen weniger Jahre bewältigt werden. Nur im Fall der Palästinenser nicht, bei denen die Zahl der Flüchtlinge im Laufe der Jahre nicht etwa sinkt, sondern sich seit 1948 fast als verachtfacht hat, Tendenz steigend.

Die UNWRA, der Lazzarini vorsteht, arbeitet nicht an einer Lösung des Problems, mit dem sie befasst ist, sondern trägt eine Mitverantwortung an dessen Aufrechterhaltung. Darüber kann auch der mehr als dreiste Versuch Lazzarinis nicht hinwegtäuschen, die Ö1-Hörer für blöd zu verkaufen.

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