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Mali, Burkina Faso und Niger: Das Ende von Françafrique

»Frankreich tötet Niger«: Demonstration für die Putschisten vor der französischen Botschaft in Niamey
»Frankreich tötet Niger«: Demonstration für die Putschisten vor der französischen Botschaft in Niamey (© Imago Images / Xinhua)

Am 26. Juli stürzten Militärs den Präsidenten Nigers. Mit Mohamed Bazoum verliert Frankreich einen weiteren Verbündeten in der Sahelzone.

Der Putsch im Niger ist bisher der letzte in einer Kette von Staatsstreichen in Subsahara-Afrika. Im August 2020 zwangen aufständische Soldaten den malischen Staatschef Ibrahim Keita zum Rücktritt. Er war unter Druck geraten, weil es ihm nicht gelang, den seit 2012 andauernden dschihadistischen Aufstand im Norden des Landes unter Kontrolle zu bringen. Bereits damals warnten Experten, der Umsturz könnte eine Kettenreaktion auslösen und auch in anderen Staaten der Region geputscht werden.

2022 war es in Burkina Faso soweit: Das Land gilt als das Epizentrum der Dschihadisten in der gesamten Sahelregion. Im Januar erfolgte der erste Putsch, gefolgt von einem zweiten im September, als eine Militärjunta im staatlichen Fernsehen erklärte, Präsident Paul-Henri Damiba abgesetzt zu haben. Doch auch der letzte Staatsstreich konnte die Sicherheitslage im Land nicht verbessern.

In allen drei Staaten hat die Unfähigkeit der Regierungen und ihrer Verbündeten, den dschihadistischen Aufstand unter Kontrolle zu bringen, die Wirtschaft einbrechen lassen und die Wut in der Bevölkerung und im Militär geschürt. Der Sturz gewählter Präsidenten wurde von antifranzösischen und pro-russischen Demonstrationen begleitet. Der Grundtenor: Frankreich, traditioneller Verbündeter der drei Staaten, habe es versäumt, die Bevölkerung vor den Dschihadisten zu schützen. Nun sei es an der Zeit, sich dem angeblich stärkeren Verbündeten Russland zuzuwenden.

Françafrique zerbröselt

Jahrzehnte nachdem Frankreich seine ehemaligen Kolonien in den 1960ern in die Unabhängigkeit entließ, konnte es als »Gendarm von Afrika« eine postkoloniale Hegemonie in der Sahelzone aufrechterhalten. Zuletzt, indem es terroristische Aufständische wie Al-Qaida und den Islamischen Staat in der Region bekämpfte.

Doch nachdem Frankreich bereits seine Truppen aus Mali und Burkina Faso abziehen musste, droht die ehemalige Kolonialmacht mit dem Putsch im Niger nun eine weitere Militärbasis im Sahel zu verlieren. Sollte Bazoum nicht wieder an die Macht kommen, würde dies das Ende der nigrisch-französischen Zusammenarbeit bedeuten, was weitreichende regionale Auswirkungen hätte.

Obwohl es derzeit keine Hinweise darauf gibt, dass Moskau eine aktive Rolle bei dem Staatsstreich gespielt hat, scheint klar, wohin die Reise geht: Fällt Niger unter russischen Einfluss, wird sich das nicht zuletzt auf die Lage im benachbarten Libyen auswirken. So unterstützte Bazoums Regierung die Bemühungen der EU, den Strom afrikanischer Migranten über das Mittelmeer zu stoppen und hat Hunderte von Migranten, die in libyschen Auffanglagern festgehalten wurden, zurückgenommen.

Das Ende dieses Abkommens kann zu einem höheren Migrationsdruck auf Libyen und letztlich die EU führen. Gerät Niger unter russischen Einfluss, eröffnet das außerdem für die im Osten Libyens stationierten Wagner-Truppen die Möglichkeit auf grenzüberschreitende Operationen im südlichen Nachbarland.

Westen auf richtiger Seite?

In zahlreichen afrikanischen Staaten, deren Präsidenten vom Westen unterstützt werden, gibt es große Probleme mit Korruption. So auch im Niger, wohin jährlich bis zu zwei Mrd. Dollar an Entwicklungshilfe gehen. Dennoch bleibt der westafrikanische Staat eines der ärmsten Länder der Welt mit einer Alphabetisierungsrate von nur 37 Prozent.

Aktivisten, Journalisten und Menschenrechtsanwälte fordern seit Jahren die Durchsetzung von Transparenz- und Rechenschaftsmechanismen und die Bestrafung korrupter Regierungen. Tatsächlich geschieht vielfach das Gegenteil. Als Folge des weltweiten Wettbewerbs um staatliche Aufträge, Rohstoffe und wirtschaftliche wie sicherheitspolitische Kooperationen, auch in Konkurrenz zu China, ist der Westen allzu oft bereit wegzusehen, wenn afrikanische Politiker gegen Menschenrechte verstoßen und Gelder veruntreuen.

Die Bevölkerung der afrikanischen Staaten hat diese Politik längst entlarvt: So lehnen die Nigerianer – wie so viele Afrikaner – inzwischen Françafrique mit der gleichen Inbrunst ab, mit der ihre Vorfahren das französische Kolonialreich ablehnten. In der Hoffnung auf bessere Regierungen und verlässlichere ausländische Partner setzen sie auf China und Russland.

Neue Mächte, altes Spiel

Der Rückgang westlichen Einflusses in Subsahara-Afrika kündigt einen neuen Wettlauf um den Kontinent an, ähnlich der Kolonisierung bis zum Ersten Weltkrieg, als europäische Mächte Teile Afrikas annektierten. Nimmt der Hass auf Frankreich zu – und derzeit deutet vieles darauf hin –, kann das zu einem endgültigen Abschluss des Entkolonialisierungsprozesses frankophoner Länder südlich der Sahara führen.

Doch was dann? Als neue Partner stehen Moskau und Peking bereit. Auch die Türkei weitet ihren Einfluss in der Region ständig aus: Die Waffenverkäufe an Afrika stiegen von 83 Mio. Dollar im Jahr 2020 auf 288 Mio. Dollar im Jahr 2021.

Russland konnte durch seine Propaganda-Kampagnen bereits beträchtlichen Einfluss in der Region gewinnen. Sowohl die Militärjunta in Mali als auch die Zentralafrikanische Republik haben Bündnisse mit Moskau geschlossen, bei denen die Gruppe Wagner für die Sicherheit der politischen Führung sorgt und im Austausch dafür politischen Einfluss und Lizenzen zum Ausbeuten der Rohstoffe erhält.

Chinas Präsenz in Afrika ist seit der Jahrtausendwende ständig gewachsen. Bei Infrastrukturprojekten und dem Handel mit Rohstoffen hat China Europa als wichtigsten Partner auf dem Kontinent längst verdrängt.

Diese Entwicklungen sind Vorzeichen einer neuen Weltordnung, in der Ost und West sich entschiedener als zuvor gegenüberstehen. Im Ringen um die Vormacht gewinnen jene Länder an Bedeutung, denen die Großmächte bisher zu wenig Beachtung schenkten: der sogenannte Globale Süden. Ob das die Lage der Menschen in Subsahara-Afrika nachhaltig verbessern wird, wird sich zeigen. Dass jedoch ausgerechnet Russland und China ein offenes Ohr für afrikanische Aktivisten und Menschenrechtsanwälte haben werden, ist zu bezweifeln.

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