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Ukraine-Krieg verschärft Wirtschaftskrise in Ägypten

Durch die Abhängigkeit von Weizenimporten wird Ägypten von der Krise besonders hart getroffen
Durch die Abhängigkeit von Weizenimporten wird Ägypten von der Krise besonders hart getroffen (© Imago Images / ZUMA Wire)

Der ägyptische Premierminister Mostafa Madbouly spricht von der schlimmsten Wirtschaftskrise seit fast hundert Jahren, die vor allem jene Länder besonders treffe, die von Getreideimporten abhängig sind.

Muhannad Talbi

Bis vor einigen Monaten konnte Ahmed Yassin [Name v. d. Red. geändert] mit 5.000 ägyptischen Pfund (251 Euro) geradeso die Bedürfnisse seiner Familie, einer Frau und eines zweijährigen Kindes, decken. Seit dem Beginn des Krieges in der Ukraine ist der junge Mann, der nur unter der Bedingung der Anonymität mit Mena-Watch sprach, jedoch nicht mehr in der Lage, sein Einkommen mit den grundlegenden Ausgaben in Einklang zu bringen, da Ägypten unter den Auswirkungen des Krieges »mehr als jedes andere Land« leidet.

Seit Kriegsbeginn sind die Preise für Grundnahrungsmittel gestiegen und das ägyptische Pfund hat gegenüber dem Dollar etwa fünfzehn Prozent seines Wertes verloren.

Westlichen und arabischen Presseberichten zufolge wurde die ägyptische Wirtschaft durch den Krieg aus mehreren Gründen stärker in Mitleidenschaft gezogen als die anderer Land. Die wichtigsten Gründe dafür sind die Tatsache, dass Ägypten der größte Importeur von Getreide, insbesondere von Weizen, ist, dessen Preise auf dem Weltmarkt in den letzten Monaten erheblich gestiegen sind, der deutliche Anstieg der Ölpreise und der Rückgang der Touristenströme aus Russland und der Ukraine.

Der ägyptische Premierminister Mostafa Madbouly sagte vor einigen Wochen in einer Presseerklärung:

»Wir müssen uns darüber im Klaren sein, dass wir über die schlimmste Krise sprechen, die die Welt seit den 1920er Jahren, also seit fast hundert Jahren, erlebt hat – und die ganze Welt bezeichnet sie als solche.«

Direkte und indirekte Auswirkungen

Einer offiziellen Erklärung zufolge rechnet die Regierung mit direkten und indirekten Auswirkungen des Ukraine-Kriegs auf Ägypten mit Ausgaben, die für die nächsten Monaten auf 23 Mrd. Euro geschätzt werden. Sechs Milliarden von dieser Gesamtsumme stellen direkte Auswirkungen des Ukraine-Kriegs auf den ägyptischen Haushalt infolge des Anstiegs der Getreide- und Ölpreise, der Kreditzinsen und des Rückgangs des Tourismus dar.

Die Weizenpreise stiegen auf ein sehr hohes Niveau, der Tonnenpreis erreichte 435 Dollar gegenüber 270 Dollar vor dem Krieg. Ägypten, der weltweit größte Weizenimporteur, ist nach Angaben der Regierung bei den Getreideeinfuhren weitgehend von Russland und der Ukraine abhängig. Der Preis für ein Barrel Öl stieg von 45 Dollar im Mai 2021 auf 112 Dollar im Mai 2022, was den ägyptischen Haushalt zusätzlich stark belastet.

Außerdem rechnet die Regierung mit einem Rückgang der Einnahmen aus dem Fremdenverkehr, vor allem, weil seit Kriegsanfang weniger Touristen aus der Ukraine und Russland ins Land kommen. Vor dem Krieg, genauer gesagt zwischen Juli 2021 und Januar 2022, machten Touristen aus der Ukraine und Russland nach Angaben der Regierung 31 Prozent der Touristen aus, die Ägypten besuchten.

Darüber hinaus rechnet die Regierung mit indirekten Auswirkungen des Krieges auf den Haushalt in der Höhe von rd, 16,83 Mrd. Euro, die mit Lohnerhöhungen, Renten, Sozialschutzmaßnahmen und Steuerbefreiungen zusammenhängen. Darüber hinaus schätzt sie den Wert des heißen Geldes, das in Erwartung höherer Gewinne im Ausland seit Anfang des Jahres aus Ägypten abgeflossen ist, auf 20 Mrd. Dollar.

Für die kommenden Monate rechnet die Regierung außerdem mit einer Verlangsamung der Investitionen auf dem Privatsektor, einem Anstieg der Schuldzinsen, einer Veränderung der Indikatoren für die Auslandsverschuldung und einem Rückgang der Anziehung ausländischer Direktinvestitionen.

In diesem Zusammenhang sagt Ahmed Yassin gegenüber Mena-Watch:

»Ich weiß, dass wir eine Krise erleben wie andere Länder auch. … Ich sehe in den Fernsehnachrichten, wie die großen Volkswirtschaften der Welt unter den Auswirkungen der Corona-Krise und des Krieges in der Ukraine leiden.

Die Welt muss eine Lösung finden, denn die Entwicklungsländer, insbesondere diejenigen, die von Getreideimporten abhängig sind, sind einer großen Gefahr ausgesetzt, sowohl in wirtschaftlicher als auch in sozialer Hinsicht.«

Lösungsvorschläge

Mitte Mai kündigte die Regierung einen Plan zur Bewältigung der negativen Auswirkungen der Wirtschaftskrise an, die die Welt erfasst hat. Der Plan besteht aus fünf Hauptpunkten,

  • beginnend mit der Aufwertung der einheimischen Produkte und der Industrie,
  • der Förderung ausländischer Direktinvestitionen,
  • der stärkeren Beteiligung des Privatsektors an Investitionen,
  • der Umstrukturierung der Staatsverschuldung sowie Verhandlungen mit dem IWF über ein neues Darlehen
  • und schließlich der Verbesserung des Sozialschutzes.

Im Rahmen dieses Plans sieht die Regierung vor, innerhalb von vier Jahren in Partnerschaft mit dem ägyptischen und dem ausländischen Privatsektor staatliche Vermögenswerte im Wert von 40 Mrd. Dollar zu veräußern, und zwar in der Höhe von 10 Mrd. Dollar pro Jahr.

Der Vorsitzende der ägyptischen Vereinigung der Investoren (Nichtregierungsorganisation), Muharram Helal, attestierte dem Plan, er sei »gut und ganzheitlich, vorausgesetzt, er wird genau umgesetzt, um sein Ziel zu erreichen«.

Der auf Wirtschaftsfragen spezialisierte Journalist Mustafa Abdel Salam ist hingegen der Ansicht, dass die Wirtschaftskrise in Ägypten noch weitere strukturelle Ursachen hat, die durch den russisch-ukrainischen Krieg zusätzlich verschärft wurden. Die schwerwiegendsten seien »die übermäßige Kreditaufnahme im Ausland seit 2016 und die Auswirkungen der Corona-Pandemie«.

Abdel Salam hält die Pläne der Regierung für »unzureichend« und meint, dass »einige davon in die falsche Richtung gehen«. Trotz der großen Risiken beharre man weiterhin darauf, sich auf externe Kredite und heißes Geld zu verlassen, um die Wirtschaft wieder anzukurbeln.

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